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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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Man stelle sich nun vor, welche Wirkung die großen Ereignisse und Ideen
der neuesten Zeit auf eine solche Bevölkerung hervorbringen mußten: auf einen
Fürsten, der noch immer, obgleich an Jahren gereist, ein Kind geblieben; auf
einen sittenlosen, hochmüthigen, streng dem Feudalweseu anhangenden Adel, der
noch mit allen seineu Ansprüchen und Bestrebungen im Junkerthume früherer Jahr¬
hunderte wurzelte, und endlich ans einen der Thierheit kaum entwachsenen Bauern¬
stand , dessen Bildung absichtlich, durch die jämmerlichsten Schuleinrichtungen, zu¬
rückgehalten war, um, wenn anch nicht mehr dem Namen nach, doch fundo,
noch Hörige sich im Bauer zu erhalten! -- Zu den Ohren dieser Unglücklichen
drangen nun völlig unvorbereitet, urplötzlich, die großen Worte und Ideen der
Zeit: er vernahm zuerst im Leben, daß auch er wirklich ein Mensch, ein zur Frei¬
heit und zur Gleichheit vor dem Gesetze berechtigter Mensch sei, er, der seither
wie ein Kettenhund behandelt worden war! Er richtete sich ans, schaute um sich
und ein grimmiger Haß gegen seine Peiniger erfüllte alsbald seine Seele. So
sahen wir in Mecklenburg sich einen Bauernaufruhr organisiren, der die furcht¬
barsten Gräuel in seinem Gefolge hat und nicht nur das Land selbst mit Ver¬
derben, sondern damit ganz Deutschland bedroht, da überall Zündstoff genug
aufgehäuft ist.

Unsre Leser dürften vielleicht auch aus unserer Feder eine Aufklärung über
die allen Fernstehenden unbegreiflichen schwedisch-norwegischen Sympathien für
Dänemark wünschen, und wir glauben sie geben zu können. Diese, bei dem seit
Jahrhunderten zwischen Dänemark und Schweden bestehenden brennenden National¬
hasse allerdings höchst auffälligen Sympathien sind das Werk Derer, die eine
skandinavische Union erstreben, und ihre Zahl ist so groß in allen drei
Reichen, auch sind die Umstände so günstig für diese mächtige Partei, daß sie
höchst wahrscheinlich ihr Ziel erreichen werden. -- Der Thron Dänemarks ist,
wenn auch noch scheinbar besetzt, "Z" tante" erledigt: der König sowohl, als sein
vermeintlicher Nachfolger, der Prinz Ferdinand, sind un beerbt, und es ist
bei Mer Dänen ausgemacht, daß der hessische Prinz niemals, schon weil er ein
geborener Deutscher, den dänischen Thron besteigen solle. Aus gleicher Ursache
sind andre Agnaten, z. B. die Angustenbnrger, von der Krone ausgeschlossen,
und Dänemark gleichsam als ein Wahlreich zu betrachten. Man möchte es wieder
zu der alten Macht, zu der frühern Größe, zu dem längst entschwundenen Glänze
erstehen sehen, was allein dnrch die Vereinigung aller drei Reiche, wie unter der
großen Margaretha, bewirkt werden könnte. Man designirt König Oscar zum
Träger der dreifachen Krone. Um sich nun auch bei dem Theile der dänischen
Nation, der zur Zeit noch nicht für die scandinavische Union schwärmt, beliebt
zu machen, mußten sowohl Oscar, als seine Schweden und Norweger Sympa¬
thien zur Schau tragen, mußten beide sich, dem übrigen Europa gegenüber, in
eine höchst gefährliche und seltsame Position begeben, in eine mehr als bewaffnete


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Man stelle sich nun vor, welche Wirkung die großen Ereignisse und Ideen
der neuesten Zeit auf eine solche Bevölkerung hervorbringen mußten: auf einen
Fürsten, der noch immer, obgleich an Jahren gereist, ein Kind geblieben; auf
einen sittenlosen, hochmüthigen, streng dem Feudalweseu anhangenden Adel, der
noch mit allen seineu Ansprüchen und Bestrebungen im Junkerthume früherer Jahr¬
hunderte wurzelte, und endlich ans einen der Thierheit kaum entwachsenen Bauern¬
stand , dessen Bildung absichtlich, durch die jämmerlichsten Schuleinrichtungen, zu¬
rückgehalten war, um, wenn anch nicht mehr dem Namen nach, doch fundo,
noch Hörige sich im Bauer zu erhalten! — Zu den Ohren dieser Unglücklichen
drangen nun völlig unvorbereitet, urplötzlich, die großen Worte und Ideen der
Zeit: er vernahm zuerst im Leben, daß auch er wirklich ein Mensch, ein zur Frei¬
heit und zur Gleichheit vor dem Gesetze berechtigter Mensch sei, er, der seither
wie ein Kettenhund behandelt worden war! Er richtete sich ans, schaute um sich
und ein grimmiger Haß gegen seine Peiniger erfüllte alsbald seine Seele. So
sahen wir in Mecklenburg sich einen Bauernaufruhr organisiren, der die furcht¬
barsten Gräuel in seinem Gefolge hat und nicht nur das Land selbst mit Ver¬
derben, sondern damit ganz Deutschland bedroht, da überall Zündstoff genug
aufgehäuft ist.

Unsre Leser dürften vielleicht auch aus unserer Feder eine Aufklärung über
die allen Fernstehenden unbegreiflichen schwedisch-norwegischen Sympathien für
Dänemark wünschen, und wir glauben sie geben zu können. Diese, bei dem seit
Jahrhunderten zwischen Dänemark und Schweden bestehenden brennenden National¬
hasse allerdings höchst auffälligen Sympathien sind das Werk Derer, die eine
skandinavische Union erstreben, und ihre Zahl ist so groß in allen drei
Reichen, auch sind die Umstände so günstig für diese mächtige Partei, daß sie
höchst wahrscheinlich ihr Ziel erreichen werden. — Der Thron Dänemarks ist,
wenn auch noch scheinbar besetzt, «Z« tante» erledigt: der König sowohl, als sein
vermeintlicher Nachfolger, der Prinz Ferdinand, sind un beerbt, und es ist
bei Mer Dänen ausgemacht, daß der hessische Prinz niemals, schon weil er ein
geborener Deutscher, den dänischen Thron besteigen solle. Aus gleicher Ursache
sind andre Agnaten, z. B. die Angustenbnrger, von der Krone ausgeschlossen,
und Dänemark gleichsam als ein Wahlreich zu betrachten. Man möchte es wieder
zu der alten Macht, zu der frühern Größe, zu dem längst entschwundenen Glänze
erstehen sehen, was allein dnrch die Vereinigung aller drei Reiche, wie unter der
großen Margaretha, bewirkt werden könnte. Man designirt König Oscar zum
Träger der dreifachen Krone. Um sich nun auch bei dem Theile der dänischen
Nation, der zur Zeit noch nicht für die scandinavische Union schwärmt, beliebt
zu machen, mußten sowohl Oscar, als seine Schweden und Norweger Sympa¬
thien zur Schau tragen, mußten beide sich, dem übrigen Europa gegenüber, in
eine höchst gefährliche und seltsame Position begeben, in eine mehr als bewaffnete


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[0519] Man stelle sich nun vor, welche Wirkung die großen Ereignisse und Ideen der neuesten Zeit auf eine solche Bevölkerung hervorbringen mußten: auf einen Fürsten, der noch immer, obgleich an Jahren gereist, ein Kind geblieben; auf einen sittenlosen, hochmüthigen, streng dem Feudalweseu anhangenden Adel, der noch mit allen seineu Ansprüchen und Bestrebungen im Junkerthume früherer Jahr¬ hunderte wurzelte, und endlich ans einen der Thierheit kaum entwachsenen Bauern¬ stand , dessen Bildung absichtlich, durch die jämmerlichsten Schuleinrichtungen, zu¬ rückgehalten war, um, wenn anch nicht mehr dem Namen nach, doch fundo, noch Hörige sich im Bauer zu erhalten! — Zu den Ohren dieser Unglücklichen drangen nun völlig unvorbereitet, urplötzlich, die großen Worte und Ideen der Zeit: er vernahm zuerst im Leben, daß auch er wirklich ein Mensch, ein zur Frei¬ heit und zur Gleichheit vor dem Gesetze berechtigter Mensch sei, er, der seither wie ein Kettenhund behandelt worden war! Er richtete sich ans, schaute um sich und ein grimmiger Haß gegen seine Peiniger erfüllte alsbald seine Seele. So sahen wir in Mecklenburg sich einen Bauernaufruhr organisiren, der die furcht¬ barsten Gräuel in seinem Gefolge hat und nicht nur das Land selbst mit Ver¬ derben, sondern damit ganz Deutschland bedroht, da überall Zündstoff genug aufgehäuft ist. Unsre Leser dürften vielleicht auch aus unserer Feder eine Aufklärung über die allen Fernstehenden unbegreiflichen schwedisch-norwegischen Sympathien für Dänemark wünschen, und wir glauben sie geben zu können. Diese, bei dem seit Jahrhunderten zwischen Dänemark und Schweden bestehenden brennenden National¬ hasse allerdings höchst auffälligen Sympathien sind das Werk Derer, die eine skandinavische Union erstreben, und ihre Zahl ist so groß in allen drei Reichen, auch sind die Umstände so günstig für diese mächtige Partei, daß sie höchst wahrscheinlich ihr Ziel erreichen werden. — Der Thron Dänemarks ist, wenn auch noch scheinbar besetzt, «Z« tante» erledigt: der König sowohl, als sein vermeintlicher Nachfolger, der Prinz Ferdinand, sind un beerbt, und es ist bei Mer Dänen ausgemacht, daß der hessische Prinz niemals, schon weil er ein geborener Deutscher, den dänischen Thron besteigen solle. Aus gleicher Ursache sind andre Agnaten, z. B. die Angustenbnrger, von der Krone ausgeschlossen, und Dänemark gleichsam als ein Wahlreich zu betrachten. Man möchte es wieder zu der alten Macht, zu der frühern Größe, zu dem längst entschwundenen Glänze erstehen sehen, was allein dnrch die Vereinigung aller drei Reiche, wie unter der großen Margaretha, bewirkt werden könnte. Man designirt König Oscar zum Träger der dreifachen Krone. Um sich nun auch bei dem Theile der dänischen Nation, der zur Zeit noch nicht für die scandinavische Union schwärmt, beliebt zu machen, mußten sowohl Oscar, als seine Schweden und Norweger Sympa¬ thien zur Schau tragen, mußten beide sich, dem übrigen Europa gegenüber, in eine höchst gefährliche und seltsame Position begeben, in eine mehr als bewaffnete Srmzboten, »> 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/519>, abgerufen am 17.06.2024.