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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band.

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durch das brutale Benehmen mehrerer Schlächter, Tischler und Uhrmacher gestört --
da diese Leute aber später einsahen, daß der Verein in Verfolgung seiner Ansichten
ruhig und entschlossen fortfuhr, mußten sie beschämt ihr rohes Austreten unterlassen.
Der politische Verein zählt 411 Mitglieder. In der Person des Herrn Anton Ascher
hat er neuerdings einen Deputirten zum Frankfurter Dcmokratencongreß entsandt ---
eine Wahl, die von vielen mißbilligt wird, welche die Privatverhältnisse mit dem po¬
litischen Charakter dieses Mannes in Verbindung bringen, anderntheils aber eine Wahl,
die einen Mann getroffen hat, der durch seinen Verstand und große Rednergabe wohl
verdient, als ein Talent bezeichnet zu werden.


II.
Zwei Prinzen und zwei Dynastien.
1.
Der Prinz von Joinville.

Die Presse hat kürzlich anziehende Briefe vom Herzog von Joinville veröffentlicht.
Existenzen wie die seinen gehören zu den Blumen, welche in der großen Mahd von
der Sense der Geschichte zerschnitten werden. Auch er ist. vielleicht ohne Verschulden,
dem Verhängnisse der Orleans verfallen. Auch er muß Vergehen sühnen, von denen
sein Herz nichts wußte. Er ist verbannt, fern dem Vaterlande, dem Ziele seiner Be¬
geisterung und Jugendträume, muß eine Schmach theilen, die dem Jünglinge fremd
geblieben. Denn hat er nicht Hand und Stimme erhoben gegen das System des
Geizes und der Lüge, nicht eine Schrift gegen die Regierung veröffentlicht, und fanden
ihn die Februartage nicht in der Ungnade seines Vaters? So ist der Prinz von
Joinville doppelt zum Märtyrer geworden.

Schon seit einem Jahre hatte ich ein günstiges Vorurtheil für ihn gefaßt und
zwar durch eine Anekdote, die mir aus den besten Quellen von einer Pariserin erzählt
wurde. Damals unterhielt man sich von der Naivetät der jungen Herzogin von Join¬
ville, der brasilianischen Prinzessin. Man fragte sie, ob sie gern in Paris sei und wie
es ihr überhaupt in der neuen Heimath gefalle. in'iziinuio en H^r-uico, ävteste
!es kr-uicais ains j'-an"? ^linvillv" -- war die Antwort. Morgens fand gewöhn¬
lich "reception" in den Tuilerien statt, Empfang des HofzirkclS, wobei immer die
ganze königliche Familie erschien. Einmal kam aber die junge Herzoginn nicht. Die
Königin sagte nachher zu ihr: ,Me>u vin'lui, ^"ni ,^noi ii'^te" Vous tuis-descenclu?" --
"^o ve to xuis." -- "pmiikjuui?" - eine>6ti?." - Pli Vous >In,
lZonc ces vxsiressio"" -- (7el>t .loinville "mi lo M, et it i" rinsoii, vui
cels, vindet"." -- "Ja, es verdummt." -- Der Prinz hat also die Luft, welche
in jenen Räumen weht, um jene Gesichter, Stimmen, Mienen und Geberden weht,
die ganze lähmende Atmosphäre von Langeweile und Ermattung, wohl erkannt und
sich vor der Ansteckung zu wahren gesucht. Damit sage ich aber nicht, daß ein Sohn
des Bürgerkönigs nicht als Prätendent eine Unmöglichkeit in Frankreich ist.


2.
Der Prinz Napoleon von Montfort.

Es gibt schon diesseits eine Vergeltung in den Schicksalen der Völker und Fa¬
milien. Die Dynastie Louis Philipp's hat das Verbannungswort gesprochen über die
napoleoniden und heute schon sitzen zwei Bonapartes in der Nationalversammlung, welche


durch das brutale Benehmen mehrerer Schlächter, Tischler und Uhrmacher gestört —
da diese Leute aber später einsahen, daß der Verein in Verfolgung seiner Ansichten
ruhig und entschlossen fortfuhr, mußten sie beschämt ihr rohes Austreten unterlassen.
Der politische Verein zählt 411 Mitglieder. In der Person des Herrn Anton Ascher
hat er neuerdings einen Deputirten zum Frankfurter Dcmokratencongreß entsandt -—
eine Wahl, die von vielen mißbilligt wird, welche die Privatverhältnisse mit dem po¬
litischen Charakter dieses Mannes in Verbindung bringen, anderntheils aber eine Wahl,
die einen Mann getroffen hat, der durch seinen Verstand und große Rednergabe wohl
verdient, als ein Talent bezeichnet zu werden.


II.
Zwei Prinzen und zwei Dynastien.
1.
Der Prinz von Joinville.

Die Presse hat kürzlich anziehende Briefe vom Herzog von Joinville veröffentlicht.
Existenzen wie die seinen gehören zu den Blumen, welche in der großen Mahd von
der Sense der Geschichte zerschnitten werden. Auch er ist. vielleicht ohne Verschulden,
dem Verhängnisse der Orleans verfallen. Auch er muß Vergehen sühnen, von denen
sein Herz nichts wußte. Er ist verbannt, fern dem Vaterlande, dem Ziele seiner Be¬
geisterung und Jugendträume, muß eine Schmach theilen, die dem Jünglinge fremd
geblieben. Denn hat er nicht Hand und Stimme erhoben gegen das System des
Geizes und der Lüge, nicht eine Schrift gegen die Regierung veröffentlicht, und fanden
ihn die Februartage nicht in der Ungnade seines Vaters? So ist der Prinz von
Joinville doppelt zum Märtyrer geworden.

Schon seit einem Jahre hatte ich ein günstiges Vorurtheil für ihn gefaßt und
zwar durch eine Anekdote, die mir aus den besten Quellen von einer Pariserin erzählt
wurde. Damals unterhielt man sich von der Naivetät der jungen Herzogin von Join¬
ville, der brasilianischen Prinzessin. Man fragte sie, ob sie gern in Paris sei und wie
es ihr überhaupt in der neuen Heimath gefalle. in'iziinuio en H^r-uico, ävteste
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lich „reception" in den Tuilerien statt, Empfang des HofzirkclS, wobei immer die
ganze königliche Familie erschien. Einmal kam aber die junge Herzoginn nicht. Die
Königin sagte nachher zu ihr: ,Me>u vin'lui, ^»ni ,^noi ii'^te« Vous tuis-descenclu?" —
„^o ve to xuis." — „pmiikjuui?" - eine>6ti?." - Pli Vous >In,
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cels, vindet«." — „Ja, es verdummt." — Der Prinz hat also die Luft, welche
in jenen Räumen weht, um jene Gesichter, Stimmen, Mienen und Geberden weht,
die ganze lähmende Atmosphäre von Langeweile und Ermattung, wohl erkannt und
sich vor der Ansteckung zu wahren gesucht. Damit sage ich aber nicht, daß ein Sohn
des Bürgerkönigs nicht als Prätendent eine Unmöglichkeit in Frankreich ist.


2.
Der Prinz Napoleon von Montfort.

Es gibt schon diesseits eine Vergeltung in den Schicksalen der Völker und Fa¬
milien. Die Dynastie Louis Philipp's hat das Verbannungswort gesprochen über die
napoleoniden und heute schon sitzen zwei Bonapartes in der Nationalversammlung, welche


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[0530] durch das brutale Benehmen mehrerer Schlächter, Tischler und Uhrmacher gestört — da diese Leute aber später einsahen, daß der Verein in Verfolgung seiner Ansichten ruhig und entschlossen fortfuhr, mußten sie beschämt ihr rohes Austreten unterlassen. Der politische Verein zählt 411 Mitglieder. In der Person des Herrn Anton Ascher hat er neuerdings einen Deputirten zum Frankfurter Dcmokratencongreß entsandt -— eine Wahl, die von vielen mißbilligt wird, welche die Privatverhältnisse mit dem po¬ litischen Charakter dieses Mannes in Verbindung bringen, anderntheils aber eine Wahl, die einen Mann getroffen hat, der durch seinen Verstand und große Rednergabe wohl verdient, als ein Talent bezeichnet zu werden. II. Zwei Prinzen und zwei Dynastien. 1. Der Prinz von Joinville. Die Presse hat kürzlich anziehende Briefe vom Herzog von Joinville veröffentlicht. Existenzen wie die seinen gehören zu den Blumen, welche in der großen Mahd von der Sense der Geschichte zerschnitten werden. Auch er ist. vielleicht ohne Verschulden, dem Verhängnisse der Orleans verfallen. Auch er muß Vergehen sühnen, von denen sein Herz nichts wußte. Er ist verbannt, fern dem Vaterlande, dem Ziele seiner Be¬ geisterung und Jugendträume, muß eine Schmach theilen, die dem Jünglinge fremd geblieben. Denn hat er nicht Hand und Stimme erhoben gegen das System des Geizes und der Lüge, nicht eine Schrift gegen die Regierung veröffentlicht, und fanden ihn die Februartage nicht in der Ungnade seines Vaters? So ist der Prinz von Joinville doppelt zum Märtyrer geworden. Schon seit einem Jahre hatte ich ein günstiges Vorurtheil für ihn gefaßt und zwar durch eine Anekdote, die mir aus den besten Quellen von einer Pariserin erzählt wurde. Damals unterhielt man sich von der Naivetät der jungen Herzogin von Join¬ ville, der brasilianischen Prinzessin. Man fragte sie, ob sie gern in Paris sei und wie es ihr überhaupt in der neuen Heimath gefalle. in'iziinuio en H^r-uico, ävteste !es kr-uicais ains j'-an«? ^linvillv" — war die Antwort. Morgens fand gewöhn¬ lich „reception" in den Tuilerien statt, Empfang des HofzirkclS, wobei immer die ganze königliche Familie erschien. Einmal kam aber die junge Herzoginn nicht. Die Königin sagte nachher zu ihr: ,Me>u vin'lui, ^»ni ,^noi ii'^te« Vous tuis-descenclu?" — „^o ve to xuis." — „pmiikjuui?" - eine>6ti?." - Pli Vous >In, lZonc ces vxsiressio»» — (7el>t .loinville «mi lo M, et it i» rinsoii, vui cels, vindet«." — „Ja, es verdummt." — Der Prinz hat also die Luft, welche in jenen Räumen weht, um jene Gesichter, Stimmen, Mienen und Geberden weht, die ganze lähmende Atmosphäre von Langeweile und Ermattung, wohl erkannt und sich vor der Ansteckung zu wahren gesucht. Damit sage ich aber nicht, daß ein Sohn des Bürgerkönigs nicht als Prätendent eine Unmöglichkeit in Frankreich ist. 2. Der Prinz Napoleon von Montfort. Es gibt schon diesseits eine Vergeltung in den Schicksalen der Völker und Fa¬ milien. Die Dynastie Louis Philipp's hat das Verbannungswort gesprochen über die napoleoniden und heute schon sitzen zwei Bonapartes in der Nationalversammlung, welche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_276205/530>, abgerufen am 17.06.2024.