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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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i.
Äus Prag.

Wie traurig auch die Gesichter, wie gedrückt die Stimmungen sind, so fängt doch
die große Mehrzahl der hiesigen Einwohner an, die Fühlhörner, die sie erstarrt an sich
gezogen hatten, wieder auszustrecken und in das Leben der Gegenwart hineinzufühlen.
Man macht bereits wieder Pläne, bespricht die Vergangenheit, die Tagesfragen, in gu¬
ter und böser Meinung, mit Neigung und Haß gegen die Deutschen. Gerechte Ent¬
rüstung erregt hier selbst unter den besonnenen Czechen eine Brochure: Der Slaven-
"ngreß und die neuesten Ereignisse in Prag, ein Beitrag zur Ver¬
ständigung der Völker und zum ewigen Frieden von Carl Malisz,
Mitglied des Slavencongresses. Mannheim 1848 bei Grobe. Einige ge¬
schichtliche Reflexe aus Slaventhum und Böhmens Vergangenheit und das Entstehen
des Slavencongresses sind ziemlich unschuldig, sie verrathen nichts als Unwissenheit und
das naive Berauschtsein von den lockenden Phrasen der Panslavisten; dann folgt eine
Kritik der politischen Maßnahmen Preußens, Oestreichs und des Frankfurter Parlaments
eben so staatsklug als wahr. Z. B.

der Preußenkönig, dessen Soldateska so furchtbar gewüthet, streckte seine Hände
nach der deutschen Kaiserkrone aus, er schickte sein Heer uach Schleswig, er heu¬
chelte, Posen freigeben zu wollen. Seine Kandidatur fand wenig Anklang in
Deutschland, alsbald läßt er sein Heer in Schleswig nnr matt operiren, alsbald
zieht er ganz andere Saiten in Posen auf u. f. w.

Und so geht es sort, durchweg die politische Weisheit eines Mistkäfers, der überall
Schmutz findet und in Kugeln zusammenballt, um seine Eier hineinzulegen. Am un¬
verschämtesten wird das edle, ideale Streben des Burschen, wo er den Ausbruch der
Katastrophe in Prag erzählt. Natürlich haben die Soldaten die ganze Sache angefan¬
gen, natürlich weiß er von dem Mord der Fürstin, von dem Losbrnch vor dem Gcneral-
commando nichts, natürlich hat er die Schüsse, welche vom Gasthof zum blauen Stern
"ut schwarzen Roß durch die Mitglieder des Slavencongresses auf das Militär abge¬
feuert wurden und Ursache waren, daß Franz Graf Thun mit der Nationalgarde in
^e Gasthöfe drang und sie säuberte, nicht gehört. Wohl, diese Schüsse habe ich selbst
gehört und ihre Wirkung gesehen und da sie den Ausbruch des allgemeinen Kampfes
bezeichneten, so mögen sie hier erwähnt werden. Ich selbst stand bei der Nationalgarde,
welche Graf Thun befehligte, und ich sah. daß die ersten Schüsse in dieser Gegend
aus den Fenstern des Gasthofes zum blauen Stern fielen und den Zweck hatten, eine
vorüberfahrende Kanone zu dcnwntiren. Sie tödteten ein Trainpserd der Kanone und
das Pferd blieb zwei Tage auf dem Platze liegen, ein übelriechendes Zeichen der Bru¬
derliebe und Friedenspolitik des Herrn llr. Malisz und seiner Freunde. Hunderte
haben das mit mir gesehen und können es bezeugen. Die Brochure aber verdient in


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Äus Prag.

Wie traurig auch die Gesichter, wie gedrückt die Stimmungen sind, so fängt doch
die große Mehrzahl der hiesigen Einwohner an, die Fühlhörner, die sie erstarrt an sich
gezogen hatten, wieder auszustrecken und in das Leben der Gegenwart hineinzufühlen.
Man macht bereits wieder Pläne, bespricht die Vergangenheit, die Tagesfragen, in gu¬
ter und böser Meinung, mit Neigung und Haß gegen die Deutschen. Gerechte Ent¬
rüstung erregt hier selbst unter den besonnenen Czechen eine Brochure: Der Slaven-
"ngreß und die neuesten Ereignisse in Prag, ein Beitrag zur Ver¬
ständigung der Völker und zum ewigen Frieden von Carl Malisz,
Mitglied des Slavencongresses. Mannheim 1848 bei Grobe. Einige ge¬
schichtliche Reflexe aus Slaventhum und Böhmens Vergangenheit und das Entstehen
des Slavencongresses sind ziemlich unschuldig, sie verrathen nichts als Unwissenheit und
das naive Berauschtsein von den lockenden Phrasen der Panslavisten; dann folgt eine
Kritik der politischen Maßnahmen Preußens, Oestreichs und des Frankfurter Parlaments
eben so staatsklug als wahr. Z. B.

der Preußenkönig, dessen Soldateska so furchtbar gewüthet, streckte seine Hände
nach der deutschen Kaiserkrone aus, er schickte sein Heer uach Schleswig, er heu¬
chelte, Posen freigeben zu wollen. Seine Kandidatur fand wenig Anklang in
Deutschland, alsbald läßt er sein Heer in Schleswig nnr matt operiren, alsbald
zieht er ganz andere Saiten in Posen auf u. f. w.

Und so geht es sort, durchweg die politische Weisheit eines Mistkäfers, der überall
Schmutz findet und in Kugeln zusammenballt, um seine Eier hineinzulegen. Am un¬
verschämtesten wird das edle, ideale Streben des Burschen, wo er den Ausbruch der
Katastrophe in Prag erzählt. Natürlich haben die Soldaten die ganze Sache angefan¬
gen, natürlich weiß er von dem Mord der Fürstin, von dem Losbrnch vor dem Gcneral-
commando nichts, natürlich hat er die Schüsse, welche vom Gasthof zum blauen Stern
"ut schwarzen Roß durch die Mitglieder des Slavencongresses auf das Militär abge¬
feuert wurden und Ursache waren, daß Franz Graf Thun mit der Nationalgarde in
^e Gasthöfe drang und sie säuberte, nicht gehört. Wohl, diese Schüsse habe ich selbst
gehört und ihre Wirkung gesehen und da sie den Ausbruch des allgemeinen Kampfes
bezeichneten, so mögen sie hier erwähnt werden. Ich selbst stand bei der Nationalgarde,
welche Graf Thun befehligte, und ich sah. daß die ersten Schüsse in dieser Gegend
aus den Fenstern des Gasthofes zum blauen Stern fielen und den Zweck hatten, eine
vorüberfahrende Kanone zu dcnwntiren. Sie tödteten ein Trainpserd der Kanone und
das Pferd blieb zwei Tage auf dem Platze liegen, ein übelriechendes Zeichen der Bru¬
derliebe und Friedenspolitik des Herrn llr. Malisz und seiner Freunde. Hunderte
haben das mit mir gesehen und können es bezeugen. Die Brochure aber verdient in


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[0101] T a g e b u eh. i. Äus Prag. Wie traurig auch die Gesichter, wie gedrückt die Stimmungen sind, so fängt doch die große Mehrzahl der hiesigen Einwohner an, die Fühlhörner, die sie erstarrt an sich gezogen hatten, wieder auszustrecken und in das Leben der Gegenwart hineinzufühlen. Man macht bereits wieder Pläne, bespricht die Vergangenheit, die Tagesfragen, in gu¬ ter und böser Meinung, mit Neigung und Haß gegen die Deutschen. Gerechte Ent¬ rüstung erregt hier selbst unter den besonnenen Czechen eine Brochure: Der Slaven- "ngreß und die neuesten Ereignisse in Prag, ein Beitrag zur Ver¬ ständigung der Völker und zum ewigen Frieden von Carl Malisz, Mitglied des Slavencongresses. Mannheim 1848 bei Grobe. Einige ge¬ schichtliche Reflexe aus Slaventhum und Böhmens Vergangenheit und das Entstehen des Slavencongresses sind ziemlich unschuldig, sie verrathen nichts als Unwissenheit und das naive Berauschtsein von den lockenden Phrasen der Panslavisten; dann folgt eine Kritik der politischen Maßnahmen Preußens, Oestreichs und des Frankfurter Parlaments eben so staatsklug als wahr. Z. B. der Preußenkönig, dessen Soldateska so furchtbar gewüthet, streckte seine Hände nach der deutschen Kaiserkrone aus, er schickte sein Heer uach Schleswig, er heu¬ chelte, Posen freigeben zu wollen. Seine Kandidatur fand wenig Anklang in Deutschland, alsbald läßt er sein Heer in Schleswig nnr matt operiren, alsbald zieht er ganz andere Saiten in Posen auf u. f. w. Und so geht es sort, durchweg die politische Weisheit eines Mistkäfers, der überall Schmutz findet und in Kugeln zusammenballt, um seine Eier hineinzulegen. Am un¬ verschämtesten wird das edle, ideale Streben des Burschen, wo er den Ausbruch der Katastrophe in Prag erzählt. Natürlich haben die Soldaten die ganze Sache angefan¬ gen, natürlich weiß er von dem Mord der Fürstin, von dem Losbrnch vor dem Gcneral- commando nichts, natürlich hat er die Schüsse, welche vom Gasthof zum blauen Stern "ut schwarzen Roß durch die Mitglieder des Slavencongresses auf das Militär abge¬ feuert wurden und Ursache waren, daß Franz Graf Thun mit der Nationalgarde in ^e Gasthöfe drang und sie säuberte, nicht gehört. Wohl, diese Schüsse habe ich selbst gehört und ihre Wirkung gesehen und da sie den Ausbruch des allgemeinen Kampfes bezeichneten, so mögen sie hier erwähnt werden. Ich selbst stand bei der Nationalgarde, welche Graf Thun befehligte, und ich sah. daß die ersten Schüsse in dieser Gegend aus den Fenstern des Gasthofes zum blauen Stern fielen und den Zweck hatten, eine vorüberfahrende Kanone zu dcnwntiren. Sie tödteten ein Trainpserd der Kanone und das Pferd blieb zwei Tage auf dem Platze liegen, ein übelriechendes Zeichen der Bru¬ derliebe und Friedenspolitik des Herrn llr. Malisz und seiner Freunde. Hunderte haben das mit mir gesehen und können es bezeugen. Die Brochure aber verdient in Grenzboten. III. »z«^ >Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/101>, abgerufen am 16.06.2024.