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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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gends wußte man sichere Nachrichten, überall gab man andere Gründe des Rück¬
zugs an und berief sich für jeden auf eine Aeußerung Wrangel's, der aufs Höchste
verstimmt, den wahren Grund zu verheimlichen suchte, und nur so viel stellte sich
als gewiß heraus, daß keine Schlacht verloren sei, kein übermächtiger Feind sich
gezeigt hatte und man dennoch die in zwei Tagen fälligen Millionen der jütschen
Kontribution mit Jütland selbst aufgibt, und was viel härter ist, auch Nordschles¬
wig, wo die fast schon erstorbene Hydra der dänischen Propaganda nun auf ein¬
mal eine neue kräftige Thätigkeit entfaltet, indem sie mit Recht auf die Unsicherheit
des deutschen Schuhes hinweist und zeigt, wie die deutsche Wasserkraft stets durch die
deutsche Diplomatie paralysirt werde. Aehnlich streiften auch meine Gedanken, als
ich verstimmt und traurig zu meinen Kameraden zurückkehrte, die mich Aufangs
für einen Fabeldichter hielten. An der Dorfschenke war heute eine ganz besondere
Thätigkeit der Dorfplaudertaschen wahrzunehmen, und mancher höhnische Blick
traf uns bereits.

In der Nacht erhielten wir den Befehl, hierher einzurücken, und schon um
3 Uhr marschirten wir ab. Ans der Apenrader Chaussee war es noch lebhafter
geworden, wie vorgestern; die langen unendliche" Wagenzüge wurden nur durch
große Truppenmassen von Zeit zu Zeit unterbrochen, alles Preußen, die fröhlich
und unbefangen nach Süden zogen, an Berlin und Potsdam und die nächste große
Parade dachten und uns mit dem Zuruf empfingen, wohin wir nun noch wollten,
wir kämen zu spät, es sei Alles vorbei. So zogen sie dahin und dachten Alle
nur an den ehrenvollen Frieden. Immer dichter wurden die Truppencolonnen,
bis uns an den Thoren von Hadersleben Wrangel selbst mit seinem Stäbe be¬
gegnete. Einige Worte der Anerkennung und, daß er uns um Hadersleben gegen
"lie llnbilde zu schützen, dort zurücklasse, war das einzige, was er mit ungewohn¬
tem Ernste zu uus sprach. Bald waren wir hier allein, denn um Mittag verließ
der letzte preußische Soldat die Stadt, und all' der Hohn und die Mißachtung
Deutschlands und des deutschen Soldaten von der einen Seite, die gerechten
Vorwürfe über Unzuverlässigkeit und die Klagen über die zu frühzeitig von ihnen
ausgesprochenen Sympathien für Deutschland von der andern Seite trafen nun
u"s allein. Den Abend hatte die deutsche Partei zu einer letzten kühnen That
sich aufgeschwungen; sie berieth in einer Bürgerversammlnng eine Adresse um
^)nez ^ das deutsche Parlament, und hier erschien jeder uoch einmal unbesorgt
um die dänischen Spione und Denuncianten. Allem auch die dänische Partei,
die hier z^u- bei weitem in der Minderzahl ist, aber sich heute durch Bauern
a"S der Umgegend bedeutend verstärkt hatte, war erschienen, jedoch ohne viel par¬
lamentarisch^ Tact mitzubringen, weshalb denn zu dessen Aufrechterhaltung unsere
Bayonette die Klingel des Präsidenten unterstützen mußten. Dazu genügte sür
diesmal freilich unser h^ßes Erscheinen, jedoch nahm die Aufregung unter den


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gends wußte man sichere Nachrichten, überall gab man andere Gründe des Rück¬
zugs an und berief sich für jeden auf eine Aeußerung Wrangel's, der aufs Höchste
verstimmt, den wahren Grund zu verheimlichen suchte, und nur so viel stellte sich
als gewiß heraus, daß keine Schlacht verloren sei, kein übermächtiger Feind sich
gezeigt hatte und man dennoch die in zwei Tagen fälligen Millionen der jütschen
Kontribution mit Jütland selbst aufgibt, und was viel härter ist, auch Nordschles¬
wig, wo die fast schon erstorbene Hydra der dänischen Propaganda nun auf ein¬
mal eine neue kräftige Thätigkeit entfaltet, indem sie mit Recht auf die Unsicherheit
des deutschen Schuhes hinweist und zeigt, wie die deutsche Wasserkraft stets durch die
deutsche Diplomatie paralysirt werde. Aehnlich streiften auch meine Gedanken, als
ich verstimmt und traurig zu meinen Kameraden zurückkehrte, die mich Aufangs
für einen Fabeldichter hielten. An der Dorfschenke war heute eine ganz besondere
Thätigkeit der Dorfplaudertaschen wahrzunehmen, und mancher höhnische Blick
traf uns bereits.

In der Nacht erhielten wir den Befehl, hierher einzurücken, und schon um
3 Uhr marschirten wir ab. Ans der Apenrader Chaussee war es noch lebhafter
geworden, wie vorgestern; die langen unendliche» Wagenzüge wurden nur durch
große Truppenmassen von Zeit zu Zeit unterbrochen, alles Preußen, die fröhlich
und unbefangen nach Süden zogen, an Berlin und Potsdam und die nächste große
Parade dachten und uns mit dem Zuruf empfingen, wohin wir nun noch wollten,
wir kämen zu spät, es sei Alles vorbei. So zogen sie dahin und dachten Alle
nur an den ehrenvollen Frieden. Immer dichter wurden die Truppencolonnen,
bis uns an den Thoren von Hadersleben Wrangel selbst mit seinem Stäbe be¬
gegnete. Einige Worte der Anerkennung und, daß er uns um Hadersleben gegen
"lie llnbilde zu schützen, dort zurücklasse, war das einzige, was er mit ungewohn¬
tem Ernste zu uus sprach. Bald waren wir hier allein, denn um Mittag verließ
der letzte preußische Soldat die Stadt, und all' der Hohn und die Mißachtung
Deutschlands und des deutschen Soldaten von der einen Seite, die gerechten
Vorwürfe über Unzuverlässigkeit und die Klagen über die zu frühzeitig von ihnen
ausgesprochenen Sympathien für Deutschland von der andern Seite trafen nun
u«s allein. Den Abend hatte die deutsche Partei zu einer letzten kühnen That
sich aufgeschwungen; sie berieth in einer Bürgerversammlnng eine Adresse um
^)nez ^ das deutsche Parlament, und hier erschien jeder uoch einmal unbesorgt
um die dänischen Spione und Denuncianten. Allem auch die dänische Partei,
die hier z^u- bei weitem in der Minderzahl ist, aber sich heute durch Bauern
a"S der Umgegend bedeutend verstärkt hatte, war erschienen, jedoch ohne viel par¬
lamentarisch^ Tact mitzubringen, weshalb denn zu dessen Aufrechterhaltung unsere
Bayonette die Klingel des Präsidenten unterstützen mußten. Dazu genügte sür
diesmal freilich unser h^ßes Erscheinen, jedoch nahm die Aufregung unter den


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[0119] gends wußte man sichere Nachrichten, überall gab man andere Gründe des Rück¬ zugs an und berief sich für jeden auf eine Aeußerung Wrangel's, der aufs Höchste verstimmt, den wahren Grund zu verheimlichen suchte, und nur so viel stellte sich als gewiß heraus, daß keine Schlacht verloren sei, kein übermächtiger Feind sich gezeigt hatte und man dennoch die in zwei Tagen fälligen Millionen der jütschen Kontribution mit Jütland selbst aufgibt, und was viel härter ist, auch Nordschles¬ wig, wo die fast schon erstorbene Hydra der dänischen Propaganda nun auf ein¬ mal eine neue kräftige Thätigkeit entfaltet, indem sie mit Recht auf die Unsicherheit des deutschen Schuhes hinweist und zeigt, wie die deutsche Wasserkraft stets durch die deutsche Diplomatie paralysirt werde. Aehnlich streiften auch meine Gedanken, als ich verstimmt und traurig zu meinen Kameraden zurückkehrte, die mich Aufangs für einen Fabeldichter hielten. An der Dorfschenke war heute eine ganz besondere Thätigkeit der Dorfplaudertaschen wahrzunehmen, und mancher höhnische Blick traf uns bereits. In der Nacht erhielten wir den Befehl, hierher einzurücken, und schon um 3 Uhr marschirten wir ab. Ans der Apenrader Chaussee war es noch lebhafter geworden, wie vorgestern; die langen unendliche» Wagenzüge wurden nur durch große Truppenmassen von Zeit zu Zeit unterbrochen, alles Preußen, die fröhlich und unbefangen nach Süden zogen, an Berlin und Potsdam und die nächste große Parade dachten und uns mit dem Zuruf empfingen, wohin wir nun noch wollten, wir kämen zu spät, es sei Alles vorbei. So zogen sie dahin und dachten Alle nur an den ehrenvollen Frieden. Immer dichter wurden die Truppencolonnen, bis uns an den Thoren von Hadersleben Wrangel selbst mit seinem Stäbe be¬ gegnete. Einige Worte der Anerkennung und, daß er uns um Hadersleben gegen "lie llnbilde zu schützen, dort zurücklasse, war das einzige, was er mit ungewohn¬ tem Ernste zu uus sprach. Bald waren wir hier allein, denn um Mittag verließ der letzte preußische Soldat die Stadt, und all' der Hohn und die Mißachtung Deutschlands und des deutschen Soldaten von der einen Seite, die gerechten Vorwürfe über Unzuverlässigkeit und die Klagen über die zu frühzeitig von ihnen ausgesprochenen Sympathien für Deutschland von der andern Seite trafen nun u«s allein. Den Abend hatte die deutsche Partei zu einer letzten kühnen That sich aufgeschwungen; sie berieth in einer Bürgerversammlnng eine Adresse um ^)nez ^ das deutsche Parlament, und hier erschien jeder uoch einmal unbesorgt um die dänischen Spione und Denuncianten. Allem auch die dänische Partei, die hier z^u- bei weitem in der Minderzahl ist, aber sich heute durch Bauern a"S der Umgegend bedeutend verstärkt hatte, war erschienen, jedoch ohne viel par¬ lamentarisch^ Tact mitzubringen, weshalb denn zu dessen Aufrechterhaltung unsere Bayonette die Klingel des Präsidenten unterstützen mußten. Dazu genügte sür diesmal freilich unser h^ßes Erscheinen, jedoch nahm die Aufregung unter den 15*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/119>, abgerufen am 16.06.2024.