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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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redete sie zweimal ein, sie aber hörte mich nicht. Die Brille auf ihre Nase ge¬
drückt, saß sie da in ihren Schooß starrend. Dort lag ein neuer Fünfthalerschein,
sie starrte wie magnetisirt darauf und mit Erschrecken sah ich, wie sie träumerisch
und unwillkürlich ihre Hand erhob und'die Pantomime der beiden Engel wieder¬
holte. Indem ich in glücklichem Leichtsinn schon damals dachte: diese Kassenscheine
stören Handel und Verkehr, ging ich weiter und trat in ein Wirthshaus. Am
Ladentisch stand ein Mann, starrte wie magnetisirt auf einen Fünfthalcrschein, er¬
hob seine Hand und wiederholte träumerisch die Pantomime Ihrer Engel. Be¬
stürzt entfloh ich. Vor der Stadt, vor der Schwelle des letzten Hauses spielte ein
Kind, es lachte so glücklich und ich jubelte, hier endlich sah ich keinen Kassenschein.
Da plötzlich pausirte die Freude des Kindes, ein Zug von Mißvergnügen trat aus
sein rundes Antlitz, es erhob die Hand und wiederholte träumerisch die Pantomime
Ihrer Engel. Und so war es überall in unserem Vaterlande, jeder Mensch, der
die unglückseligen Kassenscheine erblickte oder auch uur in ihre Nähe kam, fuhr
betroffen mit der Hand nach oben und vollzog die Pantomime an seinem Kopf.
Von dem Tage kam Mißtrauen in die Welt, Mißtraue" erzeugte Haß, Haß er¬
zeugte Emeuten. Sie, Magistrat von Hannover, sind der Urheber unserer Geld¬
krisis, unserer Revolutionen. Es wird mir sehr schwer, diese fürchterliche Anklage
gegen Sie auszusprechen, aber wie ein Blitzstrahl durchzuckt die Wahrheit das
Dunkel, in welchem Sie Ihre Unthat verhüllten. Die bewußte Pantomime, Ihre
Pantomime war es, die Louis Philipp machte, als er mit seiner Königin zu Paris
in die Droschke stieg, dieselbe Geberde wiederholten Lamartine und seine Freunde
jeden Tag ihrer Regierung, alle Regenten, alle Volker wiederholen sie täglich;
ich sah zu Berlin einen Blousemncmn im Mvrgengran nach der großen Nacht auf
eiuer einsamen Barrikade liegen, hinter ihm kochten einige Studenten Kaffee, der
Mann schlief, aber selbst im Schlafe hob er seine Hand und machte jene Panto¬
mime; sie ist der Geist unserer Zeit, sie ist die charakteristische Geberde der mo¬
dernen Revolution geworden, eine Art grauenhafter, stummer Marseillaise. --
Wie? Magistrat von Hannover, Sie wagen sich noch zu vertheidigen, Sie murmeln
"och etwas von: Zufall, Sie trauen sich noch an das Urtheil der Nachwelt zu
appelliren? Traurig und ohne Groll sage ich Ihnen, Ihr Läugnen ist umsonst.
Mit demselben Recht, mit dem Sie verneinen, Urheber und Anstifter der gegen¬
wärtigen teuflischen Unordnung zu sein, könnten Sie anch jede andere Unthat ab-
^ugnen, die in neuer und alter Zeit begangen winde. Sie konnten z. B. behaupt
das Gespenst der Reaction gehe nicht in allen Hauptstädten Deutschlands,
^"e Cigarre rauchend spazieren, der Prinz von Preußen habe nicht beim Schein
einer Blendlaterne die Brücken von Berlin mit einem vergoldeten Hammer ver¬
nagelt; ja Sie könnten mit demselben Recht jede geschichtliche Thatsache verfälschen
und z B. erklären, der Sicherheitsausschuß in Wien sei nichts, als ein verspä¬
tetes CarnevalsconM, und der große Volksfreund, Abgeordneter Zitz aus Mainz,


redete sie zweimal ein, sie aber hörte mich nicht. Die Brille auf ihre Nase ge¬
drückt, saß sie da in ihren Schooß starrend. Dort lag ein neuer Fünfthalerschein,
sie starrte wie magnetisirt darauf und mit Erschrecken sah ich, wie sie träumerisch
und unwillkürlich ihre Hand erhob und'die Pantomime der beiden Engel wieder¬
holte. Indem ich in glücklichem Leichtsinn schon damals dachte: diese Kassenscheine
stören Handel und Verkehr, ging ich weiter und trat in ein Wirthshaus. Am
Ladentisch stand ein Mann, starrte wie magnetisirt auf einen Fünfthalcrschein, er¬
hob seine Hand und wiederholte träumerisch die Pantomime Ihrer Engel. Be¬
stürzt entfloh ich. Vor der Stadt, vor der Schwelle des letzten Hauses spielte ein
Kind, es lachte so glücklich und ich jubelte, hier endlich sah ich keinen Kassenschein.
Da plötzlich pausirte die Freude des Kindes, ein Zug von Mißvergnügen trat aus
sein rundes Antlitz, es erhob die Hand und wiederholte träumerisch die Pantomime
Ihrer Engel. Und so war es überall in unserem Vaterlande, jeder Mensch, der
die unglückseligen Kassenscheine erblickte oder auch uur in ihre Nähe kam, fuhr
betroffen mit der Hand nach oben und vollzog die Pantomime an seinem Kopf.
Von dem Tage kam Mißtrauen in die Welt, Mißtraue» erzeugte Haß, Haß er¬
zeugte Emeuten. Sie, Magistrat von Hannover, sind der Urheber unserer Geld¬
krisis, unserer Revolutionen. Es wird mir sehr schwer, diese fürchterliche Anklage
gegen Sie auszusprechen, aber wie ein Blitzstrahl durchzuckt die Wahrheit das
Dunkel, in welchem Sie Ihre Unthat verhüllten. Die bewußte Pantomime, Ihre
Pantomime war es, die Louis Philipp machte, als er mit seiner Königin zu Paris
in die Droschke stieg, dieselbe Geberde wiederholten Lamartine und seine Freunde
jeden Tag ihrer Regierung, alle Regenten, alle Volker wiederholen sie täglich;
ich sah zu Berlin einen Blousemncmn im Mvrgengran nach der großen Nacht auf
eiuer einsamen Barrikade liegen, hinter ihm kochten einige Studenten Kaffee, der
Mann schlief, aber selbst im Schlafe hob er seine Hand und machte jene Panto¬
mime; sie ist der Geist unserer Zeit, sie ist die charakteristische Geberde der mo¬
dernen Revolution geworden, eine Art grauenhafter, stummer Marseillaise. —
Wie? Magistrat von Hannover, Sie wagen sich noch zu vertheidigen, Sie murmeln
"och etwas von: Zufall, Sie trauen sich noch an das Urtheil der Nachwelt zu
appelliren? Traurig und ohne Groll sage ich Ihnen, Ihr Läugnen ist umsonst.
Mit demselben Recht, mit dem Sie verneinen, Urheber und Anstifter der gegen¬
wärtigen teuflischen Unordnung zu sein, könnten Sie anch jede andere Unthat ab-
^ugnen, die in neuer und alter Zeit begangen winde. Sie konnten z. B. behaupt
das Gespenst der Reaction gehe nicht in allen Hauptstädten Deutschlands,
^"e Cigarre rauchend spazieren, der Prinz von Preußen habe nicht beim Schein
einer Blendlaterne die Brücken von Berlin mit einem vergoldeten Hammer ver¬
nagelt; ja Sie könnten mit demselben Recht jede geschichtliche Thatsache verfälschen
und z B. erklären, der Sicherheitsausschuß in Wien sei nichts, als ein verspä¬
tetes CarnevalsconM, und der große Volksfreund, Abgeordneter Zitz aus Mainz,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/123>, abgerufen am 16.06.2024.