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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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Löcher und Beulen, die sie sich auf der Kirmeß in die harten Köpfe schlagen;
und wenn sie einmal vernünftig werden und sich rechtschaffen hinlegen, denken sie
eher an Sakrament und letzte Oelung als an meine Mixturen. Deshalb vielleicht
und nicht blos weil er von Geburt ein Egerländer war, sympathisirte er so wenig
mit dem urwüchsigen Czechenthum und machte nur zu Gunsten des schönen Ge¬
schlechts eine Ausnahme. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, bejam¬
merte er gewöhnlich den unglücklichen Ausgang des altböhmischen Mägdekrieges
und meinte: Die Wlasta, meine Herren und Damen, diese erlauchte Tochter Li-
bnssa's, ist kein tückisches Mordweib gewesen, wie man sie schildert, sondern eine
weise und humane Prinzessin. Sie wollte alles czechische Mannsvolk todtschlagen,
damit ihre Jungfrauen mit Hilfe ausländischer Männer eine lieblichere Menschen-
race in Böhmen hervorbringen könnten...

Franz lächelte, als ich ihm diese Sprüche seines Alten in's Gedächtniß rief.
Ich verdanke ihm doch mehr, antwortete er, als dem ganzen Gymnasium zu G.,
wo ich neben dir sechs Jahre auf der Bank saß. In der That hatte der alte
Holweg seinem Sohn die schätzenswertesten Kenntnisse in Musik und lebenden
Sprachen beigebracht, ehe er ihn auf die Prager Universität schickte. Dabei war
Franz ein hübscher einnehmender Junge, der mit einer mäßigen Börse den H errn
von zu spielen verstand und dem es nie an hinreißender Laune fehlte. So erregte
er bald den Neid, aber auch die Theilnahme seiner jugendlichen Genossen. Damals,
erzählte er mir, wohnte er zufällig auf einem Flur mit Viala, dem bedeutendsten
unter den jüngeren Sprachforschern, ohne ihn zu kennen, aber Viala's Lebensweise
gewann sein Interesse. Sein sanftes Gesicht strahlte stets von innerer Glückselig¬
keit, obwohl er nach Art mancher armen studirenden Bauernsöhne großentheils von
dem Brot und Käse lebte, das seine Eltern ihm wöchentlich durch den Frachtfnhr-
Mann vom Lande schickten. Seine übrigen geringen Bedürfnisse bestritt er durch
"wei, drei Unterrichtsstunden, Tag und Nacht aber widmete er dem Studium der
slavischen Literaturen. Man sah ihn fast nie an einem Vergnügungsort und, un¬
bekannt wie er damals war, fiel er allgemein durch das abgeschabte blaue Röcklein
auf, in welchem er Sommer und Winter seine einsamen Spaziergänge machte.
Kaufte er auf dem Obstmarkt eine Düte Kirschen oder Trauben, so mußte es ein
besonderes Fest sein; oft aber sah man ihn zwischen den Karren- und Korbreihen,
worin die edelste Fülle von Nord- und Südfrüchten, zierlich in grünes Laub ge-
h"lit, zum Verkauf steht, die Hände auf dem Rücken, sinnend und seelenvergnügt
"u/ und abgehen. Ein Bekannter, der ihn beobachtet hatte, fragte, was ihn so
glücklich mache? -- Der Dust, antwortete er; und so war's. Der Duft genügte
ihm und duftgclabt ging er heim zur Nachtwache. Es klingt wie Uebertreibung,
sagte Hvlweg, doch ich kenne solcher Züge mehr von ihm. Genug, die Ausdauer und
Aufopferung dieses Mannes für seine Sache trieb mich, seine persönliche Bekannt¬
schaft zu suche,, und ich wußte dazu kein anderes Mittel, als daß ich ihn bat,
Gr-nbvte.


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Löcher und Beulen, die sie sich auf der Kirmeß in die harten Köpfe schlagen;
und wenn sie einmal vernünftig werden und sich rechtschaffen hinlegen, denken sie
eher an Sakrament und letzte Oelung als an meine Mixturen. Deshalb vielleicht
und nicht blos weil er von Geburt ein Egerländer war, sympathisirte er so wenig
mit dem urwüchsigen Czechenthum und machte nur zu Gunsten des schönen Ge¬
schlechts eine Ausnahme. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, bejam¬
merte er gewöhnlich den unglücklichen Ausgang des altböhmischen Mägdekrieges
und meinte: Die Wlasta, meine Herren und Damen, diese erlauchte Tochter Li-
bnssa's, ist kein tückisches Mordweib gewesen, wie man sie schildert, sondern eine
weise und humane Prinzessin. Sie wollte alles czechische Mannsvolk todtschlagen,
damit ihre Jungfrauen mit Hilfe ausländischer Männer eine lieblichere Menschen-
race in Böhmen hervorbringen könnten...

Franz lächelte, als ich ihm diese Sprüche seines Alten in's Gedächtniß rief.
Ich verdanke ihm doch mehr, antwortete er, als dem ganzen Gymnasium zu G.,
wo ich neben dir sechs Jahre auf der Bank saß. In der That hatte der alte
Holweg seinem Sohn die schätzenswertesten Kenntnisse in Musik und lebenden
Sprachen beigebracht, ehe er ihn auf die Prager Universität schickte. Dabei war
Franz ein hübscher einnehmender Junge, der mit einer mäßigen Börse den H errn
von zu spielen verstand und dem es nie an hinreißender Laune fehlte. So erregte
er bald den Neid, aber auch die Theilnahme seiner jugendlichen Genossen. Damals,
erzählte er mir, wohnte er zufällig auf einem Flur mit Viala, dem bedeutendsten
unter den jüngeren Sprachforschern, ohne ihn zu kennen, aber Viala's Lebensweise
gewann sein Interesse. Sein sanftes Gesicht strahlte stets von innerer Glückselig¬
keit, obwohl er nach Art mancher armen studirenden Bauernsöhne großentheils von
dem Brot und Käse lebte, das seine Eltern ihm wöchentlich durch den Frachtfnhr-
Mann vom Lande schickten. Seine übrigen geringen Bedürfnisse bestritt er durch
»wei, drei Unterrichtsstunden, Tag und Nacht aber widmete er dem Studium der
slavischen Literaturen. Man sah ihn fast nie an einem Vergnügungsort und, un¬
bekannt wie er damals war, fiel er allgemein durch das abgeschabte blaue Röcklein
auf, in welchem er Sommer und Winter seine einsamen Spaziergänge machte.
Kaufte er auf dem Obstmarkt eine Düte Kirschen oder Trauben, so mußte es ein
besonderes Fest sein; oft aber sah man ihn zwischen den Karren- und Korbreihen,
worin die edelste Fülle von Nord- und Südfrüchten, zierlich in grünes Laub ge-
h»lit, zum Verkauf steht, die Hände auf dem Rücken, sinnend und seelenvergnügt
"u/ und abgehen. Ein Bekannter, der ihn beobachtet hatte, fragte, was ihn so
glücklich mache? — Der Dust, antwortete er; und so war's. Der Duft genügte
ihm und duftgclabt ging er heim zur Nachtwache. Es klingt wie Uebertreibung,
sagte Hvlweg, doch ich kenne solcher Züge mehr von ihm. Genug, die Ausdauer und
Aufopferung dieses Mannes für seine Sache trieb mich, seine persönliche Bekannt¬
schaft zu suche,, und ich wußte dazu kein anderes Mittel, als daß ich ihn bat,
Gr-nbvte.


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[0125] Löcher und Beulen, die sie sich auf der Kirmeß in die harten Köpfe schlagen; und wenn sie einmal vernünftig werden und sich rechtschaffen hinlegen, denken sie eher an Sakrament und letzte Oelung als an meine Mixturen. Deshalb vielleicht und nicht blos weil er von Geburt ein Egerländer war, sympathisirte er so wenig mit dem urwüchsigen Czechenthum und machte nur zu Gunsten des schönen Ge¬ schlechts eine Ausnahme. Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, bejam¬ merte er gewöhnlich den unglücklichen Ausgang des altböhmischen Mägdekrieges und meinte: Die Wlasta, meine Herren und Damen, diese erlauchte Tochter Li- bnssa's, ist kein tückisches Mordweib gewesen, wie man sie schildert, sondern eine weise und humane Prinzessin. Sie wollte alles czechische Mannsvolk todtschlagen, damit ihre Jungfrauen mit Hilfe ausländischer Männer eine lieblichere Menschen- race in Böhmen hervorbringen könnten... Franz lächelte, als ich ihm diese Sprüche seines Alten in's Gedächtniß rief. Ich verdanke ihm doch mehr, antwortete er, als dem ganzen Gymnasium zu G., wo ich neben dir sechs Jahre auf der Bank saß. In der That hatte der alte Holweg seinem Sohn die schätzenswertesten Kenntnisse in Musik und lebenden Sprachen beigebracht, ehe er ihn auf die Prager Universität schickte. Dabei war Franz ein hübscher einnehmender Junge, der mit einer mäßigen Börse den H errn von zu spielen verstand und dem es nie an hinreißender Laune fehlte. So erregte er bald den Neid, aber auch die Theilnahme seiner jugendlichen Genossen. Damals, erzählte er mir, wohnte er zufällig auf einem Flur mit Viala, dem bedeutendsten unter den jüngeren Sprachforschern, ohne ihn zu kennen, aber Viala's Lebensweise gewann sein Interesse. Sein sanftes Gesicht strahlte stets von innerer Glückselig¬ keit, obwohl er nach Art mancher armen studirenden Bauernsöhne großentheils von dem Brot und Käse lebte, das seine Eltern ihm wöchentlich durch den Frachtfnhr- Mann vom Lande schickten. Seine übrigen geringen Bedürfnisse bestritt er durch »wei, drei Unterrichtsstunden, Tag und Nacht aber widmete er dem Studium der slavischen Literaturen. Man sah ihn fast nie an einem Vergnügungsort und, un¬ bekannt wie er damals war, fiel er allgemein durch das abgeschabte blaue Röcklein auf, in welchem er Sommer und Winter seine einsamen Spaziergänge machte. Kaufte er auf dem Obstmarkt eine Düte Kirschen oder Trauben, so mußte es ein besonderes Fest sein; oft aber sah man ihn zwischen den Karren- und Korbreihen, worin die edelste Fülle von Nord- und Südfrüchten, zierlich in grünes Laub ge- h»lit, zum Verkauf steht, die Hände auf dem Rücken, sinnend und seelenvergnügt "u/ und abgehen. Ein Bekannter, der ihn beobachtet hatte, fragte, was ihn so glücklich mache? — Der Dust, antwortete er; und so war's. Der Duft genügte ihm und duftgclabt ging er heim zur Nachtwache. Es klingt wie Uebertreibung, sagte Hvlweg, doch ich kenne solcher Züge mehr von ihm. Genug, die Ausdauer und Aufopferung dieses Mannes für seine Sache trieb mich, seine persönliche Bekannt¬ schaft zu suche,, und ich wußte dazu kein anderes Mittel, als daß ich ihn bat, Gr-nbvte. zn n>. . ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/125>, abgerufen am 16.06.2024.