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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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dehnung, welche die Centralgewalt für ihre Souveränität gegenüber den einzelnen
Staaten, namentlich nach den Verhandlungen über die hanöversche Frage in An¬
spruch nimmt, mit seinen politischen Grundsätzen nicht in Einklang stand. Herr
Camphausen ist einer der redlichsten und gewissenhaftesten Männer, die sich unter
den politischen Charakteren unserer Zeit finden mögen; aber diese Gewissenhaftig¬
keit ist zugleich Bedenklichkeit nach allen Seiten hin, er möchte Alles berücksich¬
tigen, Alles schonen, und würde es mit Allen verderben. Einen "kühnen Griff"
zu thun, wie Gagern, und wie es unsere Zeit gebieterisch erheischt, dazu ist er
nicht der Mann. Er hat keinen Zug von Genialität. Aber dennoch hätten wir
seine Wahl der des Baron von Schmerling vorgezogen, und wir können mir
hoffen, und sehr ernstlich wünschen, daß ihm das Portefeuille der auswärtigen
Angelegenheiten nur für den Augenblick, d. h. nur bis zur Rückkehr des Erzher¬
zogs aus Wien anvertraut sein werde. Wir wollen absehen von der Jnconve-
nienz, die darin liegt, einem Oestreicher die Reichsverweserschaft, einem Oestreicher
das Ministerpräsidium und die innern Angelegenheiten, einem Oestreicher die aus¬
wärtige Politik übertragen zu sehn; absehen von der Demüthigung Preußens,
das bisher mit der Führung der diplomatischen Verhandlungen in London und
Kopenhagen beauftragt war, und das nun wie ein Schulknabe zurückstehen, das
nun dem Prinzen und dem Minister einer Macht, die sich bis dahin an dem
Kriege gar nicht betheiligt hat, Alles überlassen muß -- wir wollen, sage
ich, absehn von diesen Jnconvenicnzen, obgleich das schwer fällt, aber es ist noch
ein viel ernsteres Bedenken darin. Dieses Bedenken ist Italien.

Bekanntlich ist der nationale Enthusiasmus der Versammlung jetzt im Siebe"
Punkt. Sie hat das ausgedehnte Bewaffiiungssystem des Ausschusses angenommen,
und darin sind wir vollkommen mit ihr einverstanden. Aber es juckt sie nun auch
gar zu sehr, ihr Selbstgefühl rechts und links auszulassen, wie den Fuchs vor
dem ersten Napierjungen. Wenn man die donnernden Anklagen gegen den rebel¬
lischen (Rebell ist eine Hauptkategorie der Frankfurter) Herzog von Schleswig hört,
der sich freventlich gegen das (damals noch gar nicht existirende) Reich empört habe,
die Drohung, man wolle dem Krieg nicht eher ein Ende machen, bis nicht etwa
blos die Herzogthümer von den Dänen geräumt, sondern auch der Sundzoll aus¬
gehoben sei; man wolle keinen Fuß breit deutscher Erde abtreten n. s. w., so wird
einem doch etwas bange, um die Besonnenheit des deutschen Volks.

Von der Einsetzung einer Regierung durch Dänemark, das Reich und etwa Eng¬
land gemeinschaftlich, kann natürlich keine Rede sein. Aber eben so wenig ist ein
Recht vorhanden, den Herzog abzusetzen. Die Entfernung aller dänischen Beamten
und Truppen, die Einberufung einer constituirenden Versammlung und eines aus
der Majorität derselben hervorgehenden Ministeriums und die Garantie der Frei¬
heit der Herzogthümer durch den deutschen Bund -- das wären wohl die einfach¬
sten Grundlagen des Friedens, denn sie sind die Grundlagen des Rechts.


dehnung, welche die Centralgewalt für ihre Souveränität gegenüber den einzelnen
Staaten, namentlich nach den Verhandlungen über die hanöversche Frage in An¬
spruch nimmt, mit seinen politischen Grundsätzen nicht in Einklang stand. Herr
Camphausen ist einer der redlichsten und gewissenhaftesten Männer, die sich unter
den politischen Charakteren unserer Zeit finden mögen; aber diese Gewissenhaftig¬
keit ist zugleich Bedenklichkeit nach allen Seiten hin, er möchte Alles berücksich¬
tigen, Alles schonen, und würde es mit Allen verderben. Einen „kühnen Griff"
zu thun, wie Gagern, und wie es unsere Zeit gebieterisch erheischt, dazu ist er
nicht der Mann. Er hat keinen Zug von Genialität. Aber dennoch hätten wir
seine Wahl der des Baron von Schmerling vorgezogen, und wir können mir
hoffen, und sehr ernstlich wünschen, daß ihm das Portefeuille der auswärtigen
Angelegenheiten nur für den Augenblick, d. h. nur bis zur Rückkehr des Erzher¬
zogs aus Wien anvertraut sein werde. Wir wollen absehen von der Jnconve-
nienz, die darin liegt, einem Oestreicher die Reichsverweserschaft, einem Oestreicher
das Ministerpräsidium und die innern Angelegenheiten, einem Oestreicher die aus¬
wärtige Politik übertragen zu sehn; absehen von der Demüthigung Preußens,
das bisher mit der Führung der diplomatischen Verhandlungen in London und
Kopenhagen beauftragt war, und das nun wie ein Schulknabe zurückstehen, das
nun dem Prinzen und dem Minister einer Macht, die sich bis dahin an dem
Kriege gar nicht betheiligt hat, Alles überlassen muß — wir wollen, sage
ich, absehn von diesen Jnconvenicnzen, obgleich das schwer fällt, aber es ist noch
ein viel ernsteres Bedenken darin. Dieses Bedenken ist Italien.

Bekanntlich ist der nationale Enthusiasmus der Versammlung jetzt im Siebe»
Punkt. Sie hat das ausgedehnte Bewaffiiungssystem des Ausschusses angenommen,
und darin sind wir vollkommen mit ihr einverstanden. Aber es juckt sie nun auch
gar zu sehr, ihr Selbstgefühl rechts und links auszulassen, wie den Fuchs vor
dem ersten Napierjungen. Wenn man die donnernden Anklagen gegen den rebel¬
lischen (Rebell ist eine Hauptkategorie der Frankfurter) Herzog von Schleswig hört,
der sich freventlich gegen das (damals noch gar nicht existirende) Reich empört habe,
die Drohung, man wolle dem Krieg nicht eher ein Ende machen, bis nicht etwa
blos die Herzogthümer von den Dänen geräumt, sondern auch der Sundzoll aus¬
gehoben sei; man wolle keinen Fuß breit deutscher Erde abtreten n. s. w., so wird
einem doch etwas bange, um die Besonnenheit des deutschen Volks.

Von der Einsetzung einer Regierung durch Dänemark, das Reich und etwa Eng¬
land gemeinschaftlich, kann natürlich keine Rede sein. Aber eben so wenig ist ein
Recht vorhanden, den Herzog abzusetzen. Die Entfernung aller dänischen Beamten
und Truppen, die Einberufung einer constituirenden Versammlung und eines aus
der Majorität derselben hervorgehenden Ministeriums und die Garantie der Frei¬
heit der Herzogthümer durch den deutschen Bund — das wären wohl die einfach¬
sten Grundlagen des Friedens, denn sie sind die Grundlagen des Rechts.


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[0142] dehnung, welche die Centralgewalt für ihre Souveränität gegenüber den einzelnen Staaten, namentlich nach den Verhandlungen über die hanöversche Frage in An¬ spruch nimmt, mit seinen politischen Grundsätzen nicht in Einklang stand. Herr Camphausen ist einer der redlichsten und gewissenhaftesten Männer, die sich unter den politischen Charakteren unserer Zeit finden mögen; aber diese Gewissenhaftig¬ keit ist zugleich Bedenklichkeit nach allen Seiten hin, er möchte Alles berücksich¬ tigen, Alles schonen, und würde es mit Allen verderben. Einen „kühnen Griff" zu thun, wie Gagern, und wie es unsere Zeit gebieterisch erheischt, dazu ist er nicht der Mann. Er hat keinen Zug von Genialität. Aber dennoch hätten wir seine Wahl der des Baron von Schmerling vorgezogen, und wir können mir hoffen, und sehr ernstlich wünschen, daß ihm das Portefeuille der auswärtigen Angelegenheiten nur für den Augenblick, d. h. nur bis zur Rückkehr des Erzher¬ zogs aus Wien anvertraut sein werde. Wir wollen absehen von der Jnconve- nienz, die darin liegt, einem Oestreicher die Reichsverweserschaft, einem Oestreicher das Ministerpräsidium und die innern Angelegenheiten, einem Oestreicher die aus¬ wärtige Politik übertragen zu sehn; absehen von der Demüthigung Preußens, das bisher mit der Führung der diplomatischen Verhandlungen in London und Kopenhagen beauftragt war, und das nun wie ein Schulknabe zurückstehen, das nun dem Prinzen und dem Minister einer Macht, die sich bis dahin an dem Kriege gar nicht betheiligt hat, Alles überlassen muß — wir wollen, sage ich, absehn von diesen Jnconvenicnzen, obgleich das schwer fällt, aber es ist noch ein viel ernsteres Bedenken darin. Dieses Bedenken ist Italien. Bekanntlich ist der nationale Enthusiasmus der Versammlung jetzt im Siebe» Punkt. Sie hat das ausgedehnte Bewaffiiungssystem des Ausschusses angenommen, und darin sind wir vollkommen mit ihr einverstanden. Aber es juckt sie nun auch gar zu sehr, ihr Selbstgefühl rechts und links auszulassen, wie den Fuchs vor dem ersten Napierjungen. Wenn man die donnernden Anklagen gegen den rebel¬ lischen (Rebell ist eine Hauptkategorie der Frankfurter) Herzog von Schleswig hört, der sich freventlich gegen das (damals noch gar nicht existirende) Reich empört habe, die Drohung, man wolle dem Krieg nicht eher ein Ende machen, bis nicht etwa blos die Herzogthümer von den Dänen geräumt, sondern auch der Sundzoll aus¬ gehoben sei; man wolle keinen Fuß breit deutscher Erde abtreten n. s. w., so wird einem doch etwas bange, um die Besonnenheit des deutschen Volks. Von der Einsetzung einer Regierung durch Dänemark, das Reich und etwa Eng¬ land gemeinschaftlich, kann natürlich keine Rede sein. Aber eben so wenig ist ein Recht vorhanden, den Herzog abzusetzen. Die Entfernung aller dänischen Beamten und Truppen, die Einberufung einer constituirenden Versammlung und eines aus der Majorität derselben hervorgehenden Ministeriums und die Garantie der Frei¬ heit der Herzogthümer durch den deutschen Bund — das wären wohl die einfach¬ sten Grundlagen des Friedens, denn sie sind die Grundlagen des Rechts.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/142>, abgerufen am 16.06.2024.