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Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

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heit erregt und eine Versammlung von Vaterlandsvereiusdepntirten zu Dresden
hat sich dafür ausgesprochen, das Ministerium solle die bisherige Verfassung ein¬
seitig aufhebe" und eine constituircnde Versammlung einberufen, um dem Lande
neue demokratische Institutionen zu geben. Das ist offenbar der Weg der Revo¬
lution. In absolut regierten Staaten, wie in Oestreich und Preußen, ist er
nicht zu vermeiden, wenn man in die neue Phase des konstitutionellen Lebens
übertreten muß; eS ist besser, daß eine aus den Urwähler hervorgegangene Con¬
stituante sich mit der Krone über die neue Staatsform, vereinbart, als daß dieselbe
sie einseitig octroyirt. In Staaten dagegen, die sich bereits einer urkundlichen
Verfassung erfreuen, ist ein solcher Weg eben so unnöthig als ungesetzlich und ge¬
fährlich. Es wäre ein Staatsstreich, wie ihn, nur in umgekehrtem Sinn, 1838
der König von Hannover durchgeführt. Bei solchen Streitfragen, wo das soge¬
nannte Volk seine abweichende Ansicht von seinen Vertretern mit einem gewissen
Ungestüm laut werdeu läßt, wird die Stimme der Centralgewalt ein sehr wesent¬
liches Gewicht in die Wagschale zu Gunsten der guten Sache werfen.

Für die innern Angelegenheiten Deutschlands kann die Centralgewalt nur
segensreich sein. Weit schlimmer wird mir zu Muthe, wenn ich an die auswär¬
tigen denke und ich muß gestehen, daß mich hier nur der Gedanke beruhigt, das
neuerwählte Ministerium ist offenbar etwas noch weit Provisorischeres, als die
Centralgewalt selbst.

Ich will mich darüber näher erklären.

Diejenigen Portefeuilles, welche für das Reich zunächst Wichtigkeit haben, l
sind das des Aeußeren, des Kriegs und des .Handels. Die Finanzverwaltung >
wird vor der Hand wenig zu thun haben, die Rechtspflege eben so wenig. Das
Ministerium, welchem die internationalen Beziehungen anvertraut wurden, mußte
als das bedeutendste an der Spitze der übrigen stehen. Zu diesem schwierigen
Posten war ein Mann deS unbedingten Vertrauens nothwendig, denn die Mei-
nung thut hier vorläufig mehr zur Sache, als Geschicklichkeit und vielleicht selbst
Gar"leer. In diesem Augenblick gibt es in ganz Deutschland nur Einen Mann,
d^' ihn mit Erfolg ausfüllen konnte, nur Einen Mann des unbedingten Vertrauens.
Daß Gagern der kritischen und gewiß höchst undankbaren Stellung eines Mi-
nisterpräsidenten die sichere und vielleicht ehrenvollere eines Kammerpräsidenten
^'gezogen hat, ist zu beklagen und kaum zu rechtfertige,^ in solchen Fällen ist
^der verpflichtet, auch die schönste Popularität auf's Spiel zu setzen. Cano-
^-Asen^ ^ man an seiner Stelle vorschlug, ist nicht der Mann, der eine re-
^lmionä> Zeit zu beherrschen im Staude ist. Für seine Wahl sprach eigentlich
die Rücksicht auf Preußen , das mit der Centralgewalt in eine nähere Be¬
gehung zu setzen allerdings eine der wesentlichen Aufgaben des Neichsministeriums
sem müßte. Die Gründe, welche Herrn Camphausen bestimmten, die ihm ange¬
botene Stellung abzulehnen, sind nicht recht deutlich, es scheint, als ob die Aus-
Gr-n'

Men. III. lzj/ ^


heit erregt und eine Versammlung von Vaterlandsvereiusdepntirten zu Dresden
hat sich dafür ausgesprochen, das Ministerium solle die bisherige Verfassung ein¬
seitig aufhebe» und eine constituircnde Versammlung einberufen, um dem Lande
neue demokratische Institutionen zu geben. Das ist offenbar der Weg der Revo¬
lution. In absolut regierten Staaten, wie in Oestreich und Preußen, ist er
nicht zu vermeiden, wenn man in die neue Phase des konstitutionellen Lebens
übertreten muß; eS ist besser, daß eine aus den Urwähler hervorgegangene Con¬
stituante sich mit der Krone über die neue Staatsform, vereinbart, als daß dieselbe
sie einseitig octroyirt. In Staaten dagegen, die sich bereits einer urkundlichen
Verfassung erfreuen, ist ein solcher Weg eben so unnöthig als ungesetzlich und ge¬
fährlich. Es wäre ein Staatsstreich, wie ihn, nur in umgekehrtem Sinn, 1838
der König von Hannover durchgeführt. Bei solchen Streitfragen, wo das soge¬
nannte Volk seine abweichende Ansicht von seinen Vertretern mit einem gewissen
Ungestüm laut werdeu läßt, wird die Stimme der Centralgewalt ein sehr wesent¬
liches Gewicht in die Wagschale zu Gunsten der guten Sache werfen.

Für die innern Angelegenheiten Deutschlands kann die Centralgewalt nur
segensreich sein. Weit schlimmer wird mir zu Muthe, wenn ich an die auswär¬
tigen denke und ich muß gestehen, daß mich hier nur der Gedanke beruhigt, das
neuerwählte Ministerium ist offenbar etwas noch weit Provisorischeres, als die
Centralgewalt selbst.

Ich will mich darüber näher erklären.

Diejenigen Portefeuilles, welche für das Reich zunächst Wichtigkeit haben, l
sind das des Aeußeren, des Kriegs und des .Handels. Die Finanzverwaltung >
wird vor der Hand wenig zu thun haben, die Rechtspflege eben so wenig. Das
Ministerium, welchem die internationalen Beziehungen anvertraut wurden, mußte
als das bedeutendste an der Spitze der übrigen stehen. Zu diesem schwierigen
Posten war ein Mann deS unbedingten Vertrauens nothwendig, denn die Mei-
nung thut hier vorläufig mehr zur Sache, als Geschicklichkeit und vielleicht selbst
Gar«leer. In diesem Augenblick gibt es in ganz Deutschland nur Einen Mann,
d^' ihn mit Erfolg ausfüllen konnte, nur Einen Mann des unbedingten Vertrauens.
Daß Gagern der kritischen und gewiß höchst undankbaren Stellung eines Mi-
nisterpräsidenten die sichere und vielleicht ehrenvollere eines Kammerpräsidenten
^'gezogen hat, ist zu beklagen und kaum zu rechtfertige,^ in solchen Fällen ist
^der verpflichtet, auch die schönste Popularität auf's Spiel zu setzen. Cano-
^-Asen^ ^ man an seiner Stelle vorschlug, ist nicht der Mann, der eine re-
^lmionä> Zeit zu beherrschen im Staude ist. Für seine Wahl sprach eigentlich
die Rücksicht auf Preußen , das mit der Centralgewalt in eine nähere Be¬
gehung zu setzen allerdings eine der wesentlichen Aufgaben des Neichsministeriums
sem müßte. Die Gründe, welche Herrn Camphausen bestimmten, die ihm ange¬
botene Stellung abzulehnen, sind nicht recht deutlich, es scheint, als ob die Aus-
Gr-n'

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[0141] heit erregt und eine Versammlung von Vaterlandsvereiusdepntirten zu Dresden hat sich dafür ausgesprochen, das Ministerium solle die bisherige Verfassung ein¬ seitig aufhebe» und eine constituircnde Versammlung einberufen, um dem Lande neue demokratische Institutionen zu geben. Das ist offenbar der Weg der Revo¬ lution. In absolut regierten Staaten, wie in Oestreich und Preußen, ist er nicht zu vermeiden, wenn man in die neue Phase des konstitutionellen Lebens übertreten muß; eS ist besser, daß eine aus den Urwähler hervorgegangene Con¬ stituante sich mit der Krone über die neue Staatsform, vereinbart, als daß dieselbe sie einseitig octroyirt. In Staaten dagegen, die sich bereits einer urkundlichen Verfassung erfreuen, ist ein solcher Weg eben so unnöthig als ungesetzlich und ge¬ fährlich. Es wäre ein Staatsstreich, wie ihn, nur in umgekehrtem Sinn, 1838 der König von Hannover durchgeführt. Bei solchen Streitfragen, wo das soge¬ nannte Volk seine abweichende Ansicht von seinen Vertretern mit einem gewissen Ungestüm laut werdeu läßt, wird die Stimme der Centralgewalt ein sehr wesent¬ liches Gewicht in die Wagschale zu Gunsten der guten Sache werfen. Für die innern Angelegenheiten Deutschlands kann die Centralgewalt nur segensreich sein. Weit schlimmer wird mir zu Muthe, wenn ich an die auswär¬ tigen denke und ich muß gestehen, daß mich hier nur der Gedanke beruhigt, das neuerwählte Ministerium ist offenbar etwas noch weit Provisorischeres, als die Centralgewalt selbst. Ich will mich darüber näher erklären. Diejenigen Portefeuilles, welche für das Reich zunächst Wichtigkeit haben, l sind das des Aeußeren, des Kriegs und des .Handels. Die Finanzverwaltung > wird vor der Hand wenig zu thun haben, die Rechtspflege eben so wenig. Das Ministerium, welchem die internationalen Beziehungen anvertraut wurden, mußte als das bedeutendste an der Spitze der übrigen stehen. Zu diesem schwierigen Posten war ein Mann deS unbedingten Vertrauens nothwendig, denn die Mei- nung thut hier vorläufig mehr zur Sache, als Geschicklichkeit und vielleicht selbst Gar«leer. In diesem Augenblick gibt es in ganz Deutschland nur Einen Mann, d^' ihn mit Erfolg ausfüllen konnte, nur Einen Mann des unbedingten Vertrauens. Daß Gagern der kritischen und gewiß höchst undankbaren Stellung eines Mi- nisterpräsidenten die sichere und vielleicht ehrenvollere eines Kammerpräsidenten ^'gezogen hat, ist zu beklagen und kaum zu rechtfertige,^ in solchen Fällen ist ^der verpflichtet, auch die schönste Popularität auf's Spiel zu setzen. Cano- ^-Asen^ ^ man an seiner Stelle vorschlug, ist nicht der Mann, der eine re- ^lmionä> Zeit zu beherrschen im Staude ist. Für seine Wahl sprach eigentlich die Rücksicht auf Preußen , das mit der Centralgewalt in eine nähere Be¬ gehung zu setzen allerdings eine der wesentlichen Aufgaben des Neichsministeriums sem müßte. Die Gründe, welche Herrn Camphausen bestimmten, die ihm ange¬ botene Stellung abzulehnen, sind nicht recht deutlich, es scheint, als ob die Aus- Gr-n' Men. III. lzj/ ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/141>, abgerufen am 16.06.2024.