Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht auf die Staatsform an, sondern darauf, daß alle Welt gleiche Arbeit und
gleiche Genüsse habe. Auch diesen Communismus mußte der moderne Proteus
durchmachen; er erkannte, daß die Concurrenz der Feind der Gleichheit sei und
daß der Staat am geschicktesten sei, dem Arbeiter Brot zu geben. Natürlich der
freie Staat, die Demokratie oder die Anarchie; aber wenn diese, warum nicht
vorläufig auch der alte Polizeistaat? Vorläufig! Herr Julius befreundete sich mit
dem Gedanken der königl. prcuß, Seehandlung, er bekämpfte mit der ihm eigenen
Heftigkeit die abstracten Liberalen und trat in der nen errichteten Zeitungshalle,
die mit einem sehr praktischen Leseiustitut verbunden ward, als praktischer Mann
ziemlich in allen Fragen auf Seite der Regierung, gegen die Opposition. Er
unterstützte sie nicht vom Standpunkte des Rechts aus, soudern durch den revolutio¬
nären Grundsatz: til. korn" c'est in, loi.

Arnold Rüge hatte llurecht, ihm damals vorzuwerfen, daß er in dem Stu¬
dium der Jesuiten gelernt habe, sich zu der entgegenstehenden Partei durchzu¬
schwindeln. Julius vertheidigte den Staat nicht als ein Gläubiger, sondern mit
sophistischer Freiheit. Er blieb Revolutionär, auch in seinem Kampfe gegen die
Liberalen; eben so wie die Bauer'sche Schule, die zuletzt in echt Berliner Witzen
ä la Glasbrenner im Charlottenburger Wochenblatt den Standpunkt des Libera¬
lismus kritisirten.

Als die Revolution ausbrach, war die Zeitungshalle bereits der sammele
Platz der Radikalen. Gleich in den ersten Tagen der neuen Freiheit empörte sie
die Bourgeoisie durch einen gefährlichen Artikel mit communistischen Anflug. Die
tollgewordene Bourgeoisie rückte dem Redacteur mit Säbeln und Piken ans den
Leib , und dieser ließ sich seitdem in deu Straßen nicht anders sehen, als mit
einem^furchtbaren Mordgewehr auf den Schultern.

^Wenn man die jetzigen Radikalen -- deren bester Spiegel vielleicht die Re-
form sein möchte -- in ihrem unruhigen Treiben verfolgt, so erkennt man leicht
die alte Schule wieder. Es ist ihnen alles nicht gut genug; sie lösen alle positi¬
ven Verhältnisse auf, sie treiben abstracte Kritik, wie die alten Sophisten. Sie
sind "Kr a lebt er," wie ihr aufrichtiger und populärer Gesiuuungsgeuosse sich
selber nennt, ohne speciellen Zweck; sie donnern gegen die Nativnalitätsschnurren
der Deutschen, nehmen aber die polnische, dänische, französische, czcchische und
andere Nationalitäten in Schutz; sie donnern gegen die Pfaffen und ringen gleich
darauf über die Schändlichkeit des preußischen Gouvernements die Hände, die fromme
polnische Jugend in ihrer atheistischen Schule zur Gottlosigkeit anzuhalten u. f. w.^

Sieht man diese Versammlung an, wo Herr Buffey neben Rande und dem
^heimerath sitzt, so ist die abstracte Furcht vor jeder Gesinnung, jeder Partei,
Zweck, der hervorstechende Charakter. Jeder Einzelne hat in jedem beson¬
dern Far besondere Meinung; und er hat in jedem Augenblick eine andere.


nicht auf die Staatsform an, sondern darauf, daß alle Welt gleiche Arbeit und
gleiche Genüsse habe. Auch diesen Communismus mußte der moderne Proteus
durchmachen; er erkannte, daß die Concurrenz der Feind der Gleichheit sei und
daß der Staat am geschicktesten sei, dem Arbeiter Brot zu geben. Natürlich der
freie Staat, die Demokratie oder die Anarchie; aber wenn diese, warum nicht
vorläufig auch der alte Polizeistaat? Vorläufig! Herr Julius befreundete sich mit
dem Gedanken der königl. prcuß, Seehandlung, er bekämpfte mit der ihm eigenen
Heftigkeit die abstracten Liberalen und trat in der nen errichteten Zeitungshalle,
die mit einem sehr praktischen Leseiustitut verbunden ward, als praktischer Mann
ziemlich in allen Fragen auf Seite der Regierung, gegen die Opposition. Er
unterstützte sie nicht vom Standpunkte des Rechts aus, soudern durch den revolutio¬
nären Grundsatz: til. korn« c'est in, loi.

Arnold Rüge hatte llurecht, ihm damals vorzuwerfen, daß er in dem Stu¬
dium der Jesuiten gelernt habe, sich zu der entgegenstehenden Partei durchzu¬
schwindeln. Julius vertheidigte den Staat nicht als ein Gläubiger, sondern mit
sophistischer Freiheit. Er blieb Revolutionär, auch in seinem Kampfe gegen die
Liberalen; eben so wie die Bauer'sche Schule, die zuletzt in echt Berliner Witzen
ä la Glasbrenner im Charlottenburger Wochenblatt den Standpunkt des Libera¬
lismus kritisirten.

Als die Revolution ausbrach, war die Zeitungshalle bereits der sammele
Platz der Radikalen. Gleich in den ersten Tagen der neuen Freiheit empörte sie
die Bourgeoisie durch einen gefährlichen Artikel mit communistischen Anflug. Die
tollgewordene Bourgeoisie rückte dem Redacteur mit Säbeln und Piken ans den
Leib , und dieser ließ sich seitdem in deu Straßen nicht anders sehen, als mit
einem^furchtbaren Mordgewehr auf den Schultern.

^Wenn man die jetzigen Radikalen — deren bester Spiegel vielleicht die Re-
form sein möchte — in ihrem unruhigen Treiben verfolgt, so erkennt man leicht
die alte Schule wieder. Es ist ihnen alles nicht gut genug; sie lösen alle positi¬
ven Verhältnisse auf, sie treiben abstracte Kritik, wie die alten Sophisten. Sie
sind „Kr a lebt er," wie ihr aufrichtiger und populärer Gesiuuungsgeuosse sich
selber nennt, ohne speciellen Zweck; sie donnern gegen die Nativnalitätsschnurren
der Deutschen, nehmen aber die polnische, dänische, französische, czcchische und
andere Nationalitäten in Schutz; sie donnern gegen die Pfaffen und ringen gleich
darauf über die Schändlichkeit des preußischen Gouvernements die Hände, die fromme
polnische Jugend in ihrer atheistischen Schule zur Gottlosigkeit anzuhalten u. f. w.^

Sieht man diese Versammlung an, wo Herr Buffey neben Rande und dem
^heimerath sitzt, so ist die abstracte Furcht vor jeder Gesinnung, jeder Partei,
Zweck, der hervorstechende Charakter. Jeder Einzelne hat in jedem beson¬
dern Far besondere Meinung; und er hat in jedem Augenblick eine andere.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/277463"/>
          <p xml:id="ID_97" prev="#ID_96"> nicht auf die Staatsform an, sondern darauf, daß alle Welt gleiche Arbeit und<lb/>
gleiche Genüsse habe. Auch diesen Communismus mußte der moderne Proteus<lb/>
durchmachen; er erkannte, daß die Concurrenz der Feind der Gleichheit sei und<lb/>
daß der Staat am geschicktesten sei, dem Arbeiter Brot zu geben. Natürlich der<lb/>
freie Staat, die Demokratie oder die Anarchie; aber wenn diese, warum nicht<lb/>
vorläufig auch der alte Polizeistaat? Vorläufig! Herr Julius befreundete sich mit<lb/>
dem Gedanken der königl. prcuß, Seehandlung, er bekämpfte mit der ihm eigenen<lb/>
Heftigkeit die abstracten Liberalen und trat in der nen errichteten Zeitungshalle,<lb/>
die mit einem sehr praktischen Leseiustitut verbunden ward, als praktischer Mann<lb/>
ziemlich in allen Fragen auf Seite der Regierung, gegen die Opposition. Er<lb/>
unterstützte sie nicht vom Standpunkte des Rechts aus, soudern durch den revolutio¬<lb/>
nären Grundsatz: til. korn« c'est in, loi.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_98"> Arnold Rüge hatte llurecht, ihm damals vorzuwerfen, daß er in dem Stu¬<lb/>
dium der Jesuiten gelernt habe, sich zu der entgegenstehenden Partei durchzu¬<lb/>
schwindeln. Julius vertheidigte den Staat nicht als ein Gläubiger, sondern mit<lb/>
sophistischer Freiheit. Er blieb Revolutionär, auch in seinem Kampfe gegen die<lb/>
Liberalen; eben so wie die Bauer'sche Schule, die zuletzt in echt Berliner Witzen<lb/>
ä la Glasbrenner im Charlottenburger Wochenblatt den Standpunkt des Libera¬<lb/>
lismus kritisirten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_99"> Als die Revolution ausbrach, war die Zeitungshalle bereits der sammele<lb/>
Platz der Radikalen. Gleich in den ersten Tagen der neuen Freiheit empörte sie<lb/>
die Bourgeoisie durch einen gefährlichen Artikel mit communistischen Anflug. Die<lb/>
tollgewordene Bourgeoisie rückte dem Redacteur mit Säbeln und Piken ans den<lb/>
Leib , und dieser ließ sich seitdem in deu Straßen nicht anders sehen, als mit<lb/>
einem^furchtbaren Mordgewehr auf den Schultern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_100"> ^Wenn man die jetzigen Radikalen &#x2014; deren bester Spiegel vielleicht die Re-<lb/>
form sein möchte &#x2014; in ihrem unruhigen Treiben verfolgt, so erkennt man leicht<lb/>
die alte Schule wieder. Es ist ihnen alles nicht gut genug; sie lösen alle positi¬<lb/>
ven Verhältnisse auf, sie treiben abstracte Kritik, wie die alten Sophisten. Sie<lb/>
sind &#x201E;Kr a lebt er," wie ihr aufrichtiger und populärer Gesiuuungsgeuosse sich<lb/>
selber nennt, ohne speciellen Zweck; sie donnern gegen die Nativnalitätsschnurren<lb/>
der Deutschen, nehmen aber die polnische, dänische, französische, czcchische und<lb/>
andere Nationalitäten in Schutz; sie donnern gegen die Pfaffen und ringen gleich<lb/>
darauf über die Schändlichkeit des preußischen Gouvernements die Hände, die fromme<lb/>
polnische Jugend in ihrer atheistischen Schule zur Gottlosigkeit anzuhalten u. f. w.^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_101"> Sieht man diese Versammlung an, wo Herr Buffey neben Rande und dem<lb/>
^heimerath sitzt, so ist die abstracte Furcht vor jeder Gesinnung, jeder Partei,<lb/>
Zweck, der hervorstechende Charakter. Jeder Einzelne hat in jedem beson¬<lb/>
dern Far    besondere Meinung; und er hat in jedem Augenblick eine andere.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0033] nicht auf die Staatsform an, sondern darauf, daß alle Welt gleiche Arbeit und gleiche Genüsse habe. Auch diesen Communismus mußte der moderne Proteus durchmachen; er erkannte, daß die Concurrenz der Feind der Gleichheit sei und daß der Staat am geschicktesten sei, dem Arbeiter Brot zu geben. Natürlich der freie Staat, die Demokratie oder die Anarchie; aber wenn diese, warum nicht vorläufig auch der alte Polizeistaat? Vorläufig! Herr Julius befreundete sich mit dem Gedanken der königl. prcuß, Seehandlung, er bekämpfte mit der ihm eigenen Heftigkeit die abstracten Liberalen und trat in der nen errichteten Zeitungshalle, die mit einem sehr praktischen Leseiustitut verbunden ward, als praktischer Mann ziemlich in allen Fragen auf Seite der Regierung, gegen die Opposition. Er unterstützte sie nicht vom Standpunkte des Rechts aus, soudern durch den revolutio¬ nären Grundsatz: til. korn« c'est in, loi. Arnold Rüge hatte llurecht, ihm damals vorzuwerfen, daß er in dem Stu¬ dium der Jesuiten gelernt habe, sich zu der entgegenstehenden Partei durchzu¬ schwindeln. Julius vertheidigte den Staat nicht als ein Gläubiger, sondern mit sophistischer Freiheit. Er blieb Revolutionär, auch in seinem Kampfe gegen die Liberalen; eben so wie die Bauer'sche Schule, die zuletzt in echt Berliner Witzen ä la Glasbrenner im Charlottenburger Wochenblatt den Standpunkt des Libera¬ lismus kritisirten. Als die Revolution ausbrach, war die Zeitungshalle bereits der sammele Platz der Radikalen. Gleich in den ersten Tagen der neuen Freiheit empörte sie die Bourgeoisie durch einen gefährlichen Artikel mit communistischen Anflug. Die tollgewordene Bourgeoisie rückte dem Redacteur mit Säbeln und Piken ans den Leib , und dieser ließ sich seitdem in deu Straßen nicht anders sehen, als mit einem^furchtbaren Mordgewehr auf den Schultern. ^Wenn man die jetzigen Radikalen — deren bester Spiegel vielleicht die Re- form sein möchte — in ihrem unruhigen Treiben verfolgt, so erkennt man leicht die alte Schule wieder. Es ist ihnen alles nicht gut genug; sie lösen alle positi¬ ven Verhältnisse auf, sie treiben abstracte Kritik, wie die alten Sophisten. Sie sind „Kr a lebt er," wie ihr aufrichtiger und populärer Gesiuuungsgeuosse sich selber nennt, ohne speciellen Zweck; sie donnern gegen die Nativnalitätsschnurren der Deutschen, nehmen aber die polnische, dänische, französische, czcchische und andere Nationalitäten in Schutz; sie donnern gegen die Pfaffen und ringen gleich darauf über die Schändlichkeit des preußischen Gouvernements die Hände, die fromme polnische Jugend in ihrer atheistischen Schule zur Gottlosigkeit anzuhalten u. f. w.^ Sieht man diese Versammlung an, wo Herr Buffey neben Rande und dem ^heimerath sitzt, so ist die abstracte Furcht vor jeder Gesinnung, jeder Partei, Zweck, der hervorstechende Charakter. Jeder Einzelne hat in jedem beson¬ dern Far besondere Meinung; und er hat in jedem Augenblick eine andere.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/33
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 7, 1848, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341561_277429/33>, abgerufen am 24.05.2024.