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Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band.

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Preußen haben als Volk so viel Selbstgefühl und politische Einsicht, daß wir we¬
der für unsern Fürsten die Ehre eines altfränkischen Titels brauchen, noch die
Ansicht hegen, daß aus einer Verbindung mit den anderen Brüderstämmen die
nächsten.und größesten Vortheile uns zufallen werden.

Von Oestreich spreche ich hier nicht, seine jetzige Regierung wird schwerlich
eine Verbindung der kleineren Länder und Preußens verhindern können, eintreten
in den neuen Bund kann sie sicher nicht.

Die kleineren deutschen Staaten aber führen in unsern Augen -- das soll
hier endlich gerade herausgesagt sei" -- nur ein Scheinleben, sie sind in Wahr¬
heit gar keine Staaten mehr, sie waren auch bis jetzt nur eine Lüge. So lange
die Welt ruhig im alten Gleise ging, existirten sie so fort; jetzt wo das Leben
des Menschengeschlechts in starke Strömung gekommen ist, beweist sich ihre Un¬
möglichkeit. Sie haben keine Kraft, die besten ihrer Regierungen, die gebildetsten
Stämme haben in sich nicht Kraft und Dauerbarkeit genug, sich allein zu behaup¬
ten. Das soll man recht verstehen. Nicht das ist ihr größtes Unglück, daß sie
keine politischen "Erinnerungen" besitzen, sie könnten ja vielleicht aus freier Hand
etwas Vernünftiges machen, was für ihre Enkel ein Stolz und eine Geschichte
würde; anch das ist Preußen gegenüber nicht ihr Unglück, daß sie in der Kultur
zurückgeblieben wären; im Gegentheil, das sächsische Volk z. B. und die Baden-
ser sind uns Preußen in Manchem der Volkserziehung sehr voraus, sondern sie
haben deshalb keine Kraft, weil ihre Elemente nicht genug Mannigfaltigkeit ha¬
ben. Das erste Erforderniß zu einem gesunden Staatsleben ist Einheit in seinem
Plan, in seiner Idee, im Ganzen und Großen; das zweite ist Mannigfaltigkeit
und Verschiedenheit in den einzelnen Theilen, in Bodenbeschaffenheit, Größe deS
Grundbesitzes, industrieller Entwickelung, ja auch Mannigfaltigkeit in den Dialek¬
ten derselben Sprache, in dem Schnitt der Gesichter, der Röcke und der Tempe¬
ramente desselben Volkes. Daß solche Verschiedenheiten sich nur auf größerem
Ländergcbiet nebeneinander ausbreiten können, versteht sich von selbst; und des¬
halb, zumeist deshalb, muß ein Staat auch eine gewisse ansehnliche Größe haben,
um auf die Länge zu gedeihen.

Wenn in einer Landschaft bei dichter Bevölkerung der Ackerbau vorzugsweise
in den Händen kleiner Wirthe ist, muß es andere Gegenden geben, wo er in grö¬
ßeren Komplexen zusammengezogen mehr reinen Ueberschuß und in Hungerjahren
größere Vorräthe gibt, und wieder andere, wo die Industrie ihre Schornsteine
und Dampfkessel auf dem Untergrunde errichtet hat, und zwar eine Industrie, die
auf den verschiedenartigsten Rohstoffen einer mannigfaltigen Boden-Cultur beruht,
denn eine Gegend, wo nur vorzugsweise Spitzen geklöppelt oder Linnen gewebt,
oder Messerklingen geschlagen werden, hat von Zeit zu Zeit mit Noth und Elend
zu kämpfen, der Staat muß dadurch in keine andere Sorgen kommen, als in vä¬
terliche. Und weiter, wenn das feurige Naturell, die leichte Empfänglichkeit des


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Preußen haben als Volk so viel Selbstgefühl und politische Einsicht, daß wir we¬
der für unsern Fürsten die Ehre eines altfränkischen Titels brauchen, noch die
Ansicht hegen, daß aus einer Verbindung mit den anderen Brüderstämmen die
nächsten.und größesten Vortheile uns zufallen werden.

Von Oestreich spreche ich hier nicht, seine jetzige Regierung wird schwerlich
eine Verbindung der kleineren Länder und Preußens verhindern können, eintreten
in den neuen Bund kann sie sicher nicht.

Die kleineren deutschen Staaten aber führen in unsern Augen — das soll
hier endlich gerade herausgesagt sei» — nur ein Scheinleben, sie sind in Wahr¬
heit gar keine Staaten mehr, sie waren auch bis jetzt nur eine Lüge. So lange
die Welt ruhig im alten Gleise ging, existirten sie so fort; jetzt wo das Leben
des Menschengeschlechts in starke Strömung gekommen ist, beweist sich ihre Un¬
möglichkeit. Sie haben keine Kraft, die besten ihrer Regierungen, die gebildetsten
Stämme haben in sich nicht Kraft und Dauerbarkeit genug, sich allein zu behaup¬
ten. Das soll man recht verstehen. Nicht das ist ihr größtes Unglück, daß sie
keine politischen „Erinnerungen" besitzen, sie könnten ja vielleicht aus freier Hand
etwas Vernünftiges machen, was für ihre Enkel ein Stolz und eine Geschichte
würde; anch das ist Preußen gegenüber nicht ihr Unglück, daß sie in der Kultur
zurückgeblieben wären; im Gegentheil, das sächsische Volk z. B. und die Baden-
ser sind uns Preußen in Manchem der Volkserziehung sehr voraus, sondern sie
haben deshalb keine Kraft, weil ihre Elemente nicht genug Mannigfaltigkeit ha¬
ben. Das erste Erforderniß zu einem gesunden Staatsleben ist Einheit in seinem
Plan, in seiner Idee, im Ganzen und Großen; das zweite ist Mannigfaltigkeit
und Verschiedenheit in den einzelnen Theilen, in Bodenbeschaffenheit, Größe deS
Grundbesitzes, industrieller Entwickelung, ja auch Mannigfaltigkeit in den Dialek¬
ten derselben Sprache, in dem Schnitt der Gesichter, der Röcke und der Tempe¬
ramente desselben Volkes. Daß solche Verschiedenheiten sich nur auf größerem
Ländergcbiet nebeneinander ausbreiten können, versteht sich von selbst; und des¬
halb, zumeist deshalb, muß ein Staat auch eine gewisse ansehnliche Größe haben,
um auf die Länge zu gedeihen.

Wenn in einer Landschaft bei dichter Bevölkerung der Ackerbau vorzugsweise
in den Händen kleiner Wirthe ist, muß es andere Gegenden geben, wo er in grö¬
ßeren Komplexen zusammengezogen mehr reinen Ueberschuß und in Hungerjahren
größere Vorräthe gibt, und wieder andere, wo die Industrie ihre Schornsteine
und Dampfkessel auf dem Untergrunde errichtet hat, und zwar eine Industrie, die
auf den verschiedenartigsten Rohstoffen einer mannigfaltigen Boden-Cultur beruht,
denn eine Gegend, wo nur vorzugsweise Spitzen geklöppelt oder Linnen gewebt,
oder Messerklingen geschlagen werden, hat von Zeit zu Zeit mit Noth und Elend
zu kämpfen, der Staat muß dadurch in keine andere Sorgen kommen, als in vä¬
terliche. Und weiter, wenn das feurige Naturell, die leichte Empfänglichkeit des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 8, 1849, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341563_277987/218>, abgerufen am 17.06.2024.