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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Ein Regiernngsmann, der weniger als die genannten Herrn geneigt ist
sanguinische Hoffnungen aufzumuntern, besprach im töte u toto mit einem Privat¬
mann jüngst die Gerüchte von der bevorstehenden Aushebung des Ausnahmezu¬
standes. "Heben wir den Belagerungszustand auf", sagte er achselzuckend, "so
belagert man uns; das Preßgeselz kaun beim größten Eifer des Staatsanwalts
und bei der besten Gesinnung der künftigen Geschwornen nicht verhindern, daß
von den hiesigen Druckereien die gefährlichsten Sturmpetitionen gegen uns aus-
laufen. Alle feindlichen Nationalitäten finden Spielraum zur Wiederaufnahme
ihres Kampfes gegen deu Gesammtstaat; die Magyaren, die Galizier, die Italiener,
die Wiener verklagen dann die Armee wegen tausend großer nud kleiner Gewalt¬
thaten, über die noch lange nicht das nöthige Gras gewachsen ist, und haben wir
die Macht, Genugthuung zu gebe" für jeden Unsinn der Generäle? Vor Allem
aber müßten wir den Reichstag berufen, von'dem Ihr ja das Heil der Welt
erwartet. Soll der Reichstag kein Kremsier scher werden, so müßte vorher der
passive Widerstand der Magyaren gebrochen sein, der bis jetzt von keiner nach-
märzlichen Einrichtung mehr als den Namen aufkommen läßt; mußten die Wala-
chen, die Jllirier und die Sachsen von ihrer Nationalitateubrnnst curirt sein.
Angenommen jedoch, wir wären nicht gezwungen, die NeichStagSmitglieder vou
der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken selbst zu ernennen, so würde auch
der vernünftigste Reichstag Unmöglichkeiten verlangen und das Nothwendigste ver¬
weigern; verlangen würde er eine Verminderung des Heeres, verweigern die
Erhöhung der Staatsschuld. DaS siud sehr löbliche ökonomische Vorschläge, wenn
man von der Voraussetzung ausgeht, daß Oestreich nach dein Buchstaben der
Märzverfassuug ein idyllisches Leben führen, die ehrwürdigen Traditionen so vieler
Jahrhunderte mit einem Mal aufgeben nud nirgends im Auslande, nicht in Ita¬
lien, nicht, in Deutschland, den geringsten Ehrgeiz zeigen soll. Die Aufhebung
des Belagerungszustandes, in deu wir uus einmal eingelebt haben, erfordert mehr
Muth, mehr Anstrengung und Selbstaufopferung als Sie denken; sie'ist ein
Schritt in eine unbekannte, wenigstens nur theoretisch bekannte Zukunft; was wir
in Oestreich seit 1848 von angeblich friedlicher Entwicklung auf parlamentarischem.
Wege gesehen haben, ist nicht geeignet, rechtes Vertraue" auf die allgemeine
Reise dafür einzuflößen. Streng genommen, lieber Freund, ist der Normalzustand
hier nicht eher möglich, als bis das übrige Europa in das normale Geleise zu¬
rückgekehrt, bis die deutsche, die dänische, die italienische und die französische Frage
dauernd entschieden ist. Doch, ich will Ihnen zugeben, eine Suspension des
Ausnahmezustandes auf vierzehn Tage, drei Wochen wär' allenfalls ein Versuch,
der keine Gefahr hat."

Man weiß sogar, daß General Melden sich mit Unmuth über die Ewigkeit
des Belageruugszustaudes ausgesprochen hat; aber Melden würde trotzdem nicht
zur Beseitigung der Militärherrschaft rathen; er wünscht nur von einem umbaut-


19*

Ein Regiernngsmann, der weniger als die genannten Herrn geneigt ist
sanguinische Hoffnungen aufzumuntern, besprach im töte u toto mit einem Privat¬
mann jüngst die Gerüchte von der bevorstehenden Aushebung des Ausnahmezu¬
standes. „Heben wir den Belagerungszustand auf", sagte er achselzuckend, „so
belagert man uns; das Preßgeselz kaun beim größten Eifer des Staatsanwalts
und bei der besten Gesinnung der künftigen Geschwornen nicht verhindern, daß
von den hiesigen Druckereien die gefährlichsten Sturmpetitionen gegen uns aus-
laufen. Alle feindlichen Nationalitäten finden Spielraum zur Wiederaufnahme
ihres Kampfes gegen deu Gesammtstaat; die Magyaren, die Galizier, die Italiener,
die Wiener verklagen dann die Armee wegen tausend großer nud kleiner Gewalt¬
thaten, über die noch lange nicht das nöthige Gras gewachsen ist, und haben wir
die Macht, Genugthuung zu gebe» für jeden Unsinn der Generäle? Vor Allem
aber müßten wir den Reichstag berufen, von'dem Ihr ja das Heil der Welt
erwartet. Soll der Reichstag kein Kremsier scher werden, so müßte vorher der
passive Widerstand der Magyaren gebrochen sein, der bis jetzt von keiner nach-
märzlichen Einrichtung mehr als den Namen aufkommen läßt; mußten die Wala-
chen, die Jllirier und die Sachsen von ihrer Nationalitateubrnnst curirt sein.
Angenommen jedoch, wir wären nicht gezwungen, die NeichStagSmitglieder vou
der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken selbst zu ernennen, so würde auch
der vernünftigste Reichstag Unmöglichkeiten verlangen und das Nothwendigste ver¬
weigern; verlangen würde er eine Verminderung des Heeres, verweigern die
Erhöhung der Staatsschuld. DaS siud sehr löbliche ökonomische Vorschläge, wenn
man von der Voraussetzung ausgeht, daß Oestreich nach dein Buchstaben der
Märzverfassuug ein idyllisches Leben führen, die ehrwürdigen Traditionen so vieler
Jahrhunderte mit einem Mal aufgeben nud nirgends im Auslande, nicht in Ita¬
lien, nicht, in Deutschland, den geringsten Ehrgeiz zeigen soll. Die Aufhebung
des Belagerungszustandes, in deu wir uus einmal eingelebt haben, erfordert mehr
Muth, mehr Anstrengung und Selbstaufopferung als Sie denken; sie'ist ein
Schritt in eine unbekannte, wenigstens nur theoretisch bekannte Zukunft; was wir
in Oestreich seit 1848 von angeblich friedlicher Entwicklung auf parlamentarischem.
Wege gesehen haben, ist nicht geeignet, rechtes Vertraue» auf die allgemeine
Reise dafür einzuflößen. Streng genommen, lieber Freund, ist der Normalzustand
hier nicht eher möglich, als bis das übrige Europa in das normale Geleise zu¬
rückgekehrt, bis die deutsche, die dänische, die italienische und die französische Frage
dauernd entschieden ist. Doch, ich will Ihnen zugeben, eine Suspension des
Ausnahmezustandes auf vierzehn Tage, drei Wochen wär' allenfalls ein Versuch,
der keine Gefahr hat."

Man weiß sogar, daß General Melden sich mit Unmuth über die Ewigkeit
des Belageruugszustaudes ausgesprochen hat; aber Melden würde trotzdem nicht
zur Beseitigung der Militärherrschaft rathen; er wünscht nur von einem umbaut-


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[0155] Ein Regiernngsmann, der weniger als die genannten Herrn geneigt ist sanguinische Hoffnungen aufzumuntern, besprach im töte u toto mit einem Privat¬ mann jüngst die Gerüchte von der bevorstehenden Aushebung des Ausnahmezu¬ standes. „Heben wir den Belagerungszustand auf", sagte er achselzuckend, „so belagert man uns; das Preßgeselz kaun beim größten Eifer des Staatsanwalts und bei der besten Gesinnung der künftigen Geschwornen nicht verhindern, daß von den hiesigen Druckereien die gefährlichsten Sturmpetitionen gegen uns aus- laufen. Alle feindlichen Nationalitäten finden Spielraum zur Wiederaufnahme ihres Kampfes gegen deu Gesammtstaat; die Magyaren, die Galizier, die Italiener, die Wiener verklagen dann die Armee wegen tausend großer nud kleiner Gewalt¬ thaten, über die noch lange nicht das nöthige Gras gewachsen ist, und haben wir die Macht, Genugthuung zu gebe» für jeden Unsinn der Generäle? Vor Allem aber müßten wir den Reichstag berufen, von'dem Ihr ja das Heil der Welt erwartet. Soll der Reichstag kein Kremsier scher werden, so müßte vorher der passive Widerstand der Magyaren gebrochen sein, der bis jetzt von keiner nach- märzlichen Einrichtung mehr als den Namen aufkommen läßt; mußten die Wala- chen, die Jllirier und die Sachsen von ihrer Nationalitateubrnnst curirt sein. Angenommen jedoch, wir wären nicht gezwungen, die NeichStagSmitglieder vou der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken selbst zu ernennen, so würde auch der vernünftigste Reichstag Unmöglichkeiten verlangen und das Nothwendigste ver¬ weigern; verlangen würde er eine Verminderung des Heeres, verweigern die Erhöhung der Staatsschuld. DaS siud sehr löbliche ökonomische Vorschläge, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, daß Oestreich nach dein Buchstaben der Märzverfassuug ein idyllisches Leben führen, die ehrwürdigen Traditionen so vieler Jahrhunderte mit einem Mal aufgeben nud nirgends im Auslande, nicht in Ita¬ lien, nicht, in Deutschland, den geringsten Ehrgeiz zeigen soll. Die Aufhebung des Belagerungszustandes, in deu wir uus einmal eingelebt haben, erfordert mehr Muth, mehr Anstrengung und Selbstaufopferung als Sie denken; sie'ist ein Schritt in eine unbekannte, wenigstens nur theoretisch bekannte Zukunft; was wir in Oestreich seit 1848 von angeblich friedlicher Entwicklung auf parlamentarischem. Wege gesehen haben, ist nicht geeignet, rechtes Vertraue» auf die allgemeine Reise dafür einzuflößen. Streng genommen, lieber Freund, ist der Normalzustand hier nicht eher möglich, als bis das übrige Europa in das normale Geleise zu¬ rückgekehrt, bis die deutsche, die dänische, die italienische und die französische Frage dauernd entschieden ist. Doch, ich will Ihnen zugeben, eine Suspension des Ausnahmezustandes auf vierzehn Tage, drei Wochen wär' allenfalls ein Versuch, der keine Gefahr hat." Man weiß sogar, daß General Melden sich mit Unmuth über die Ewigkeit des Belageruugszustaudes ausgesprochen hat; aber Melden würde trotzdem nicht zur Beseitigung der Militärherrschaft rathen; er wünscht nur von einem umbaut- 19*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/155>, abgerufen am 26.05.2024.