Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

baren Posten abgelöst zu werden und die Verantwortlichkeit für so manche Un-
liebenswürdigkeit vom Ministerpräsidenten Schwarzenberg, in dessen Interesse sie
zuletzt immer geschieht, übernommen zu sehen.

Der mittheilsame Ncgieruugsmann oben hat gewiß in so fern Recht, als
unser Cabinet in der sklavischsten Abhängigkeit von all den Staaten lebt, über die
es mit scheinbarer Herrschsucht seinen Einfluß zu behaupten strebt. Nicht berechtigte
Herrschsucht, nicht lebendige Expansionskraft, sondern hypochondrische Angst und
Mißgunst bezeichnet die auswärtige Politik des heutigen, wie des vormärzlichen
Oestreich. Metternich's rastloses Streben beschränkte sich darauf, alle Nachbarn
im Zustande der Lethargie zu erhalten, nicht damit Oestreich einen Vorsprung
gewinne, sondern damit es selber nicht zu einer modernen Tätigkeit gezwungen
werde; -r 1^ Jeukinsou im Vicar von Wakefield könnte er sagen: Hätte ich nur
halb so viel Geist und schlaflose Nächte auf die Durchführung der nöthigsten Re¬
formen verwandt, wie ich auf heillose Intriguen verschwendete, so hätte ich
Oestreich die schlimmsten Gräuel des Bürgerkrieges erspart und mein Name wäre
in und außerhalb der Monarchie gesegnet. Fürst Schwarzenberg verfolgt, weni¬
ger mit dem Talent, als mit der Hartnäckigkeit seines exilirten Meisters denselben
Zweck wie er. Oestreich gewinnt dnrch die Triumphe seiner negativen Politik im
Auslande nichts Positives, weder einen Fußbreit Landes, noch einen Schatten
von Ehre, nichts als reichlichere Schulden und einen höhern Grad eingebildeter
Sicherheit. Um seine Existenz glaubt es zu kämpfen, indem eS überall, im Nor¬
den, Süden und Westen, jegliche Consolidirung der öffentlichen Verhältnisse zu
hintertreiben sucht. Wenn Deutschland stark genug wird, um seine Ehre nicht
von russischer Anmaßung in Staub treten zu lassen, hält sich Schwarzenberg für
geschlagen. Sogar ein Grau Menschenverstand und Menschlichkeit in Neapel
schiene ihm gefährlich für Oestreich. Italien ist der traurigste Beweis, daß die
Herrschaft Oestreichs im Auslande energisch reactionär ist. Nirgendwo ist sein
Einfluß unbestrittener als in Parma, Modena, Toskana, Rom und Neapel;
seine Truppen haben den größten Theil des Kirchenstaates besetzt, Pio Nouv be¬
absichtigt sogar, sich nach Bologna unter ihren Schutz zu begeben, Toskana steht
vollständig unter östreichischen Protectorat, Neapel ist dem Wiener Cabinet blind
ergeben. Nun nur erinnern uns noch der Emphase, mit welcher unsere inspirir-
ter Zeitungen voriges Jahr die Welt versicherten, das jetzige Oestreich, welches
den eigenen Völkern eine Verfassung gegeben, werde seinen Einfluß aus Italien
ebenfalls zur Begünstigung des Fortschritts geltend machen, so daß die Liberalen
der Halbinsel künstig ihre Blicke sehnsuchtsvoll nach Wien statt nach Paris richten
würden!! Wir haben seitdem vergebens irgend einen, wenn auch noch so sauften
Protest Schwarzenberg'S gegen die lächerlichen Edicte der römischen Cardinäle oder
gegen die ungenirter Wvrtbrnche Ferdinand's von Neapel erwartet.

In Oestreich selbst scheint das Cabinet -- und wir freuen uus, ihm doch


baren Posten abgelöst zu werden und die Verantwortlichkeit für so manche Un-
liebenswürdigkeit vom Ministerpräsidenten Schwarzenberg, in dessen Interesse sie
zuletzt immer geschieht, übernommen zu sehen.

Der mittheilsame Ncgieruugsmann oben hat gewiß in so fern Recht, als
unser Cabinet in der sklavischsten Abhängigkeit von all den Staaten lebt, über die
es mit scheinbarer Herrschsucht seinen Einfluß zu behaupten strebt. Nicht berechtigte
Herrschsucht, nicht lebendige Expansionskraft, sondern hypochondrische Angst und
Mißgunst bezeichnet die auswärtige Politik des heutigen, wie des vormärzlichen
Oestreich. Metternich's rastloses Streben beschränkte sich darauf, alle Nachbarn
im Zustande der Lethargie zu erhalten, nicht damit Oestreich einen Vorsprung
gewinne, sondern damit es selber nicht zu einer modernen Tätigkeit gezwungen
werde; -r 1^ Jeukinsou im Vicar von Wakefield könnte er sagen: Hätte ich nur
halb so viel Geist und schlaflose Nächte auf die Durchführung der nöthigsten Re¬
formen verwandt, wie ich auf heillose Intriguen verschwendete, so hätte ich
Oestreich die schlimmsten Gräuel des Bürgerkrieges erspart und mein Name wäre
in und außerhalb der Monarchie gesegnet. Fürst Schwarzenberg verfolgt, weni¬
ger mit dem Talent, als mit der Hartnäckigkeit seines exilirten Meisters denselben
Zweck wie er. Oestreich gewinnt dnrch die Triumphe seiner negativen Politik im
Auslande nichts Positives, weder einen Fußbreit Landes, noch einen Schatten
von Ehre, nichts als reichlichere Schulden und einen höhern Grad eingebildeter
Sicherheit. Um seine Existenz glaubt es zu kämpfen, indem eS überall, im Nor¬
den, Süden und Westen, jegliche Consolidirung der öffentlichen Verhältnisse zu
hintertreiben sucht. Wenn Deutschland stark genug wird, um seine Ehre nicht
von russischer Anmaßung in Staub treten zu lassen, hält sich Schwarzenberg für
geschlagen. Sogar ein Grau Menschenverstand und Menschlichkeit in Neapel
schiene ihm gefährlich für Oestreich. Italien ist der traurigste Beweis, daß die
Herrschaft Oestreichs im Auslande energisch reactionär ist. Nirgendwo ist sein
Einfluß unbestrittener als in Parma, Modena, Toskana, Rom und Neapel;
seine Truppen haben den größten Theil des Kirchenstaates besetzt, Pio Nouv be¬
absichtigt sogar, sich nach Bologna unter ihren Schutz zu begeben, Toskana steht
vollständig unter östreichischen Protectorat, Neapel ist dem Wiener Cabinet blind
ergeben. Nun nur erinnern uns noch der Emphase, mit welcher unsere inspirir-
ter Zeitungen voriges Jahr die Welt versicherten, das jetzige Oestreich, welches
den eigenen Völkern eine Verfassung gegeben, werde seinen Einfluß aus Italien
ebenfalls zur Begünstigung des Fortschritts geltend machen, so daß die Liberalen
der Halbinsel künstig ihre Blicke sehnsuchtsvoll nach Wien statt nach Paris richten
würden!! Wir haben seitdem vergebens irgend einen, wenn auch noch so sauften
Protest Schwarzenberg'S gegen die lächerlichen Edicte der römischen Cardinäle oder
gegen die ungenirter Wvrtbrnche Ferdinand's von Neapel erwartet.

In Oestreich selbst scheint das Cabinet — und wir freuen uus, ihm doch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185492"/>
          <p xml:id="ID_437" prev="#ID_436"> baren Posten abgelöst zu werden und die Verantwortlichkeit für so manche Un-<lb/>
liebenswürdigkeit vom Ministerpräsidenten Schwarzenberg, in dessen Interesse sie<lb/>
zuletzt immer geschieht, übernommen zu sehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_438"> Der mittheilsame Ncgieruugsmann oben hat gewiß in so fern Recht, als<lb/>
unser Cabinet in der sklavischsten Abhängigkeit von all den Staaten lebt, über die<lb/>
es mit scheinbarer Herrschsucht seinen Einfluß zu behaupten strebt. Nicht berechtigte<lb/>
Herrschsucht, nicht lebendige Expansionskraft, sondern hypochondrische Angst und<lb/>
Mißgunst bezeichnet die auswärtige Politik des heutigen, wie des vormärzlichen<lb/>
Oestreich. Metternich's rastloses Streben beschränkte sich darauf, alle Nachbarn<lb/>
im Zustande der Lethargie zu erhalten, nicht damit Oestreich einen Vorsprung<lb/>
gewinne, sondern damit es selber nicht zu einer modernen Tätigkeit gezwungen<lb/>
werde; -r 1^ Jeukinsou im Vicar von Wakefield könnte er sagen: Hätte ich nur<lb/>
halb so viel Geist und schlaflose Nächte auf die Durchführung der nöthigsten Re¬<lb/>
formen verwandt, wie ich auf heillose Intriguen verschwendete, so hätte ich<lb/>
Oestreich die schlimmsten Gräuel des Bürgerkrieges erspart und mein Name wäre<lb/>
in und außerhalb der Monarchie gesegnet. Fürst Schwarzenberg verfolgt, weni¬<lb/>
ger mit dem Talent, als mit der Hartnäckigkeit seines exilirten Meisters denselben<lb/>
Zweck wie er. Oestreich gewinnt dnrch die Triumphe seiner negativen Politik im<lb/>
Auslande nichts Positives, weder einen Fußbreit Landes, noch einen Schatten<lb/>
von Ehre, nichts als reichlichere Schulden und einen höhern Grad eingebildeter<lb/>
Sicherheit. Um seine Existenz glaubt es zu kämpfen, indem eS überall, im Nor¬<lb/>
den, Süden und Westen, jegliche Consolidirung der öffentlichen Verhältnisse zu<lb/>
hintertreiben sucht. Wenn Deutschland stark genug wird, um seine Ehre nicht<lb/>
von russischer Anmaßung in Staub treten zu lassen, hält sich Schwarzenberg für<lb/>
geschlagen. Sogar ein Grau Menschenverstand und Menschlichkeit in Neapel<lb/>
schiene ihm gefährlich für Oestreich. Italien ist der traurigste Beweis, daß die<lb/>
Herrschaft Oestreichs im Auslande energisch reactionär ist. Nirgendwo ist sein<lb/>
Einfluß unbestrittener als in Parma, Modena, Toskana, Rom und Neapel;<lb/>
seine Truppen haben den größten Theil des Kirchenstaates besetzt, Pio Nouv be¬<lb/>
absichtigt sogar, sich nach Bologna unter ihren Schutz zu begeben, Toskana steht<lb/>
vollständig unter östreichischen Protectorat, Neapel ist dem Wiener Cabinet blind<lb/>
ergeben. Nun nur erinnern uns noch der Emphase, mit welcher unsere inspirir-<lb/>
ter Zeitungen voriges Jahr die Welt versicherten, das jetzige Oestreich, welches<lb/>
den eigenen Völkern eine Verfassung gegeben, werde seinen Einfluß aus Italien<lb/>
ebenfalls zur Begünstigung des Fortschritts geltend machen, so daß die Liberalen<lb/>
der Halbinsel künstig ihre Blicke sehnsuchtsvoll nach Wien statt nach Paris richten<lb/>
würden!! Wir haben seitdem vergebens irgend einen, wenn auch noch so sauften<lb/>
Protest Schwarzenberg'S gegen die lächerlichen Edicte der römischen Cardinäle oder<lb/>
gegen die ungenirter Wvrtbrnche Ferdinand's von Neapel erwartet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_439" next="#ID_440"> In Oestreich selbst scheint das Cabinet &#x2014; und wir freuen uus, ihm doch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0156] baren Posten abgelöst zu werden und die Verantwortlichkeit für so manche Un- liebenswürdigkeit vom Ministerpräsidenten Schwarzenberg, in dessen Interesse sie zuletzt immer geschieht, übernommen zu sehen. Der mittheilsame Ncgieruugsmann oben hat gewiß in so fern Recht, als unser Cabinet in der sklavischsten Abhängigkeit von all den Staaten lebt, über die es mit scheinbarer Herrschsucht seinen Einfluß zu behaupten strebt. Nicht berechtigte Herrschsucht, nicht lebendige Expansionskraft, sondern hypochondrische Angst und Mißgunst bezeichnet die auswärtige Politik des heutigen, wie des vormärzlichen Oestreich. Metternich's rastloses Streben beschränkte sich darauf, alle Nachbarn im Zustande der Lethargie zu erhalten, nicht damit Oestreich einen Vorsprung gewinne, sondern damit es selber nicht zu einer modernen Tätigkeit gezwungen werde; -r 1^ Jeukinsou im Vicar von Wakefield könnte er sagen: Hätte ich nur halb so viel Geist und schlaflose Nächte auf die Durchführung der nöthigsten Re¬ formen verwandt, wie ich auf heillose Intriguen verschwendete, so hätte ich Oestreich die schlimmsten Gräuel des Bürgerkrieges erspart und mein Name wäre in und außerhalb der Monarchie gesegnet. Fürst Schwarzenberg verfolgt, weni¬ ger mit dem Talent, als mit der Hartnäckigkeit seines exilirten Meisters denselben Zweck wie er. Oestreich gewinnt dnrch die Triumphe seiner negativen Politik im Auslande nichts Positives, weder einen Fußbreit Landes, noch einen Schatten von Ehre, nichts als reichlichere Schulden und einen höhern Grad eingebildeter Sicherheit. Um seine Existenz glaubt es zu kämpfen, indem eS überall, im Nor¬ den, Süden und Westen, jegliche Consolidirung der öffentlichen Verhältnisse zu hintertreiben sucht. Wenn Deutschland stark genug wird, um seine Ehre nicht von russischer Anmaßung in Staub treten zu lassen, hält sich Schwarzenberg für geschlagen. Sogar ein Grau Menschenverstand und Menschlichkeit in Neapel schiene ihm gefährlich für Oestreich. Italien ist der traurigste Beweis, daß die Herrschaft Oestreichs im Auslande energisch reactionär ist. Nirgendwo ist sein Einfluß unbestrittener als in Parma, Modena, Toskana, Rom und Neapel; seine Truppen haben den größten Theil des Kirchenstaates besetzt, Pio Nouv be¬ absichtigt sogar, sich nach Bologna unter ihren Schutz zu begeben, Toskana steht vollständig unter östreichischen Protectorat, Neapel ist dem Wiener Cabinet blind ergeben. Nun nur erinnern uns noch der Emphase, mit welcher unsere inspirir- ter Zeitungen voriges Jahr die Welt versicherten, das jetzige Oestreich, welches den eigenen Völkern eine Verfassung gegeben, werde seinen Einfluß aus Italien ebenfalls zur Begünstigung des Fortschritts geltend machen, so daß die Liberalen der Halbinsel künstig ihre Blicke sehnsuchtsvoll nach Wien statt nach Paris richten würden!! Wir haben seitdem vergebens irgend einen, wenn auch noch so sauften Protest Schwarzenberg'S gegen die lächerlichen Edicte der römischen Cardinäle oder gegen die ungenirter Wvrtbrnche Ferdinand's von Neapel erwartet. In Oestreich selbst scheint das Cabinet — und wir freuen uus, ihm doch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/156
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/156>, abgerufen am 17.06.2024.