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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ans Verträge zwischen Fürsten und ihren Unterthanen. Denn wenn der Fürst,
weil er der Stärkere ist, durch einseitigen Beschluß ein Rechtsverhältniß aufhebt,
so setzt er sich von der andern Seite derselben Einseitigkeit aus.

Ich sagte, die Propositionen seien ein bedenkliches Präeedenz sür die Er¬
furter Versammlung gewesen. Sie waren eigentlich noch etwas Schlimmeres,
oder wenigstens war die Stellung des Erfurter Parlaments eine viel mißlichere,
als die der preußischen Stände. Denn die letzteren beruhen nicht blos; auf dein
Rechtsboden der Verfassung vom 5. December, ihre Eristenz ist eine innere Noth¬
wendigkeit. Die Existenz des Erfurter Parlaments dagegen hatte keine andere
Grundlage, als das Bündnis; vom Mai. Sobald die Fürsten in diesem
Bündnis; keine weitere Verpflichtung sahen, als die des einen Fürsten gegen den
Andern, von welcher der eine den Andern lösen könnte, nicht eine gemeinsame
Verpflichtung gegen einen Dritten -- so war die ganze Thätigkeit deö Parlaments
eine Illusion.

Ich komme hier auf den Grundfehler, von dem sich die liberale Partei noch
immer nicht losmachen kann. Weil ihr Interesse -- das Zustandekommen eines
mächtigen deutschen Bundesstaats -- mit dein Interesse Preußens --- sich zu ar-
rondiren -- und mit dem Interesse der kleinen Fürsten -- einen Schlitz gegen
die Demokratie zu haben -- bis aus eine" gewisse" Puukt zusammengeht,
so überläßt sie sich allzugern der Fiction, es gehe überhaupt zusammen, und
versetzt sich dadurch fortwährend in die unangenehme Lage, von ihren Gegnern
verhöhnt zu werden. Sie wiederholt der preußischen Regierung beständig: ,,Dn
nullst ja dasselbe wie wir, warum bedieust du dich nicht der Mittel, die wir dir
empfehlen?" und erhält jedesmal die Antwort: "wir wollen ganz und gar nHht
dasselbe, und ihr werdet uns gefälligst die Wahl der Mittel zu unsern Zwecken
überlassen."

Die liberale Partei heftet sich zu ängstlich an jede letzte Form, in welcher
die Wirklichkeit sich ihrem Ideal nähert, und glaubt jedesmal, nur in dieser Form
sei eS zu verwirkliche,;, nud es sei in dieser Form nur zu verwirklichen, wenn
sie sich daran betheiligte. Sie sollte vielmehr, da ihr die unmittelbare Macht
genommen ist, da aber ihr Princip, weil es das vernünftige ist, sich durch das
Zusammenwirken der verschiedenen Interessen dennoch durchsetzen, muß, sich darauf
beschränken, durch ihren passiven Beistand, und dnrch ihre Theilnahme, so weit
diese gefordert wird, und soweit sie mit Ehre geleistet werden kann, den eigent¬
lichen Actenrö die Sache zu erleichtern. Sie sollte vor Allem vermeiden, sich auf¬
zudrängen, und sie sollte sich hüten, zu sanguinisch zu sei".

Bei dem Beginn des Reichstags mußte sie, gewarnt durch die Vorgänge
im Januar, bevor sie sich aus irgend eine Thätigkeit einliest, den verbündeten Re¬
gierungen die Frage vorlege,;: "seid ihr Willens, eurer rechtliche" Verpflichtung,
im Fall der Annahme von Seiten des Parlaments, euern Verfassungsentwurf zu


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ans Verträge zwischen Fürsten und ihren Unterthanen. Denn wenn der Fürst,
weil er der Stärkere ist, durch einseitigen Beschluß ein Rechtsverhältniß aufhebt,
so setzt er sich von der andern Seite derselben Einseitigkeit aus.

Ich sagte, die Propositionen seien ein bedenkliches Präeedenz sür die Er¬
furter Versammlung gewesen. Sie waren eigentlich noch etwas Schlimmeres,
oder wenigstens war die Stellung des Erfurter Parlaments eine viel mißlichere,
als die der preußischen Stände. Denn die letzteren beruhen nicht blos; auf dein
Rechtsboden der Verfassung vom 5. December, ihre Eristenz ist eine innere Noth¬
wendigkeit. Die Existenz des Erfurter Parlaments dagegen hatte keine andere
Grundlage, als das Bündnis; vom Mai. Sobald die Fürsten in diesem
Bündnis; keine weitere Verpflichtung sahen, als die des einen Fürsten gegen den
Andern, von welcher der eine den Andern lösen könnte, nicht eine gemeinsame
Verpflichtung gegen einen Dritten — so war die ganze Thätigkeit deö Parlaments
eine Illusion.

Ich komme hier auf den Grundfehler, von dem sich die liberale Partei noch
immer nicht losmachen kann. Weil ihr Interesse — das Zustandekommen eines
mächtigen deutschen Bundesstaats — mit dein Interesse Preußens —- sich zu ar-
rondiren — und mit dem Interesse der kleinen Fürsten — einen Schlitz gegen
die Demokratie zu haben — bis aus eine» gewisse» Puukt zusammengeht,
so überläßt sie sich allzugern der Fiction, es gehe überhaupt zusammen, und
versetzt sich dadurch fortwährend in die unangenehme Lage, von ihren Gegnern
verhöhnt zu werden. Sie wiederholt der preußischen Regierung beständig: ,,Dn
nullst ja dasselbe wie wir, warum bedieust du dich nicht der Mittel, die wir dir
empfehlen?" und erhält jedesmal die Antwort: „wir wollen ganz und gar nHht
dasselbe, und ihr werdet uns gefälligst die Wahl der Mittel zu unsern Zwecken
überlassen."

Die liberale Partei heftet sich zu ängstlich an jede letzte Form, in welcher
die Wirklichkeit sich ihrem Ideal nähert, und glaubt jedesmal, nur in dieser Form
sei eS zu verwirkliche,;, nud es sei in dieser Form nur zu verwirklichen, wenn
sie sich daran betheiligte. Sie sollte vielmehr, da ihr die unmittelbare Macht
genommen ist, da aber ihr Princip, weil es das vernünftige ist, sich durch das
Zusammenwirken der verschiedenen Interessen dennoch durchsetzen, muß, sich darauf
beschränken, durch ihren passiven Beistand, und dnrch ihre Theilnahme, so weit
diese gefordert wird, und soweit sie mit Ehre geleistet werden kann, den eigent¬
lichen Actenrö die Sache zu erleichtern. Sie sollte vor Allem vermeiden, sich auf¬
zudrängen, und sie sollte sich hüten, zu sanguinisch zu sei».

Bei dem Beginn des Reichstags mußte sie, gewarnt durch die Vorgänge
im Januar, bevor sie sich aus irgend eine Thätigkeit einliest, den verbündeten Re¬
gierungen die Frage vorlege,;: „seid ihr Willens, eurer rechtliche» Verpflichtung,
im Fall der Annahme von Seiten des Parlaments, euern Verfassungsentwurf zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/331>, abgerufen am 17.06.2024.