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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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ihre Sympathien für Rußland sein mögen. Die Haltung der Ungarn gegen die
russischen Heerführer und umgekehrt hat Oestreich schwer beleidigt. In Be¬
ziehung auf die Donaufürstenthümer kann Oestreichs Nachgiebigkeit nicht über eine
gewisse Grenze Hinausgehen, um so weniger, da die nicht unirten Südslave" seit
der Aufhebung des PMe,1tu>u rcgkuir rechtlich zu dem Oberhaupt der griechischen
Kirche ungefähr in dem nämlichen Verhältniß stehn, wie die römischen Katholi¬
ken zum Papst, und da die Apostel des Panslavismus grade aus östreichischen
Gebiet einen hinreichenden Spielraum finden, um ans den großen Messias des
slavischen Volks hinzuweisen. Oestreich möchte gern unabhängig sein von seinem
übermächtigen Verbündeten, und Kaiser Nikolaus weiß das so gut als wir; dar¬
um liegt ihm darau, Oestreich in Deutschland nicht zu mächtig werden zu lassen.
Andrerseits kann ihm an einem ernsthaften Zwist zwischen Oestreich und Preußen
nicht liegen, weil er ihrer Allianz bedarf, um die von Frankreich her drohende
Revoln.ion zu bekämpfe". Es sieht also jetzt so aus, als wolle er in den deut¬
schen Verwirrungen den Vermittler spielen, und zwar zu Gunsten Preußens.
Leider haben wir Ursache zu glaube", daß Preußen diese Vermittelung dnrch eine
Concession erkauft hat, eine Concession in der Schleswig-holsteiujcheu Frage,
über die wir nur zu bald ius Klare gehest werden möchten.

In allen diesen Fragen, von denen Preußens Politik in der nächsten Zu-
kunft wesentlich bestimmt wird, kann die liberale Partei nichts fördern und nichts
hindern. Dem Einfluß dieser Fragen gegenüber ist der Einfluß sämmtlicher Par¬
lamente, die in den nächsten Jahren gehalten, und sämmtlicher Zeitungen, die
geschrieben werden können, von geringem Gewicht.

Darum hat sie doch nicht zu feiern. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, sich
zu organisiren, um bei einem neuen Umschwung der Dinge in sämmtlichen deutschen
Staaten nach einem gemeinsamen Plan die Negierung übernehmen zu können.
Daß sie das im März 48 nicht konnte, daß Camphausen, Stüve, Pfordten, Römer,
Gagern n. s. w., ohne gemeinsamen Plan, zum Theil gegen einander handelten, und
ihrer historischen Grundlage nach handeln mußten, ist der hauptsächlichste Grund
für deu Fall der liberale" Partei.

Durch das Programm vo" Gotha, d. h. durch den materiellen Inhalt desselben,
ist der liberalen Partei diese Basis gegeben, aus der sie vorläufig in den einzelnen
Kammern und in der Presse operiren kann, später, wenn es dazu kommt, -- es ist
das keine Prätention, jede Partei hat die Verpflichtung, sich diese Eventualität
vor Augen zu stellen, -- in den Regierungen.

Der Reichstag der Union, wenn er zu Stande kommt, kann auf die Parteibildung
von vortheilhaftem Einfluß sein, vor Allem, weil er ein Gegengewicht bildet gegen
den Einfluß Oestreichs ans Preußen; er tan" aber auch schädlich wirke", weil er
sie zu leicht in Schlingen verlockt, ans denen sich kein politisch ehrenvoller Ausgang


ihre Sympathien für Rußland sein mögen. Die Haltung der Ungarn gegen die
russischen Heerführer und umgekehrt hat Oestreich schwer beleidigt. In Be¬
ziehung auf die Donaufürstenthümer kann Oestreichs Nachgiebigkeit nicht über eine
gewisse Grenze Hinausgehen, um so weniger, da die nicht unirten Südslave» seit
der Aufhebung des PMe,1tu>u rcgkuir rechtlich zu dem Oberhaupt der griechischen
Kirche ungefähr in dem nämlichen Verhältniß stehn, wie die römischen Katholi¬
ken zum Papst, und da die Apostel des Panslavismus grade aus östreichischen
Gebiet einen hinreichenden Spielraum finden, um ans den großen Messias des
slavischen Volks hinzuweisen. Oestreich möchte gern unabhängig sein von seinem
übermächtigen Verbündeten, und Kaiser Nikolaus weiß das so gut als wir; dar¬
um liegt ihm darau, Oestreich in Deutschland nicht zu mächtig werden zu lassen.
Andrerseits kann ihm an einem ernsthaften Zwist zwischen Oestreich und Preußen
nicht liegen, weil er ihrer Allianz bedarf, um die von Frankreich her drohende
Revoln.ion zu bekämpfe». Es sieht also jetzt so aus, als wolle er in den deut¬
schen Verwirrungen den Vermittler spielen, und zwar zu Gunsten Preußens.
Leider haben wir Ursache zu glaube», daß Preußen diese Vermittelung dnrch eine
Concession erkauft hat, eine Concession in der Schleswig-holsteiujcheu Frage,
über die wir nur zu bald ius Klare gehest werden möchten.

In allen diesen Fragen, von denen Preußens Politik in der nächsten Zu-
kunft wesentlich bestimmt wird, kann die liberale Partei nichts fördern und nichts
hindern. Dem Einfluß dieser Fragen gegenüber ist der Einfluß sämmtlicher Par¬
lamente, die in den nächsten Jahren gehalten, und sämmtlicher Zeitungen, die
geschrieben werden können, von geringem Gewicht.

Darum hat sie doch nicht zu feiern. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, sich
zu organisiren, um bei einem neuen Umschwung der Dinge in sämmtlichen deutschen
Staaten nach einem gemeinsamen Plan die Negierung übernehmen zu können.
Daß sie das im März 48 nicht konnte, daß Camphausen, Stüve, Pfordten, Römer,
Gagern n. s. w., ohne gemeinsamen Plan, zum Theil gegen einander handelten, und
ihrer historischen Grundlage nach handeln mußten, ist der hauptsächlichste Grund
für deu Fall der liberale» Partei.

Durch das Programm vo» Gotha, d. h. durch den materiellen Inhalt desselben,
ist der liberalen Partei diese Basis gegeben, aus der sie vorläufig in den einzelnen
Kammern und in der Presse operiren kann, später, wenn es dazu kommt, — es ist
das keine Prätention, jede Partei hat die Verpflichtung, sich diese Eventualität
vor Augen zu stellen, — in den Regierungen.

Der Reichstag der Union, wenn er zu Stande kommt, kann auf die Parteibildung
von vortheilhaftem Einfluß sein, vor Allem, weil er ein Gegengewicht bildet gegen
den Einfluß Oestreichs ans Preußen; er tan» aber auch schädlich wirke», weil er
sie zu leicht in Schlingen verlockt, ans denen sich kein politisch ehrenvoller Ausgang


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[0335] ihre Sympathien für Rußland sein mögen. Die Haltung der Ungarn gegen die russischen Heerführer und umgekehrt hat Oestreich schwer beleidigt. In Be¬ ziehung auf die Donaufürstenthümer kann Oestreichs Nachgiebigkeit nicht über eine gewisse Grenze Hinausgehen, um so weniger, da die nicht unirten Südslave» seit der Aufhebung des PMe,1tu>u rcgkuir rechtlich zu dem Oberhaupt der griechischen Kirche ungefähr in dem nämlichen Verhältniß stehn, wie die römischen Katholi¬ ken zum Papst, und da die Apostel des Panslavismus grade aus östreichischen Gebiet einen hinreichenden Spielraum finden, um ans den großen Messias des slavischen Volks hinzuweisen. Oestreich möchte gern unabhängig sein von seinem übermächtigen Verbündeten, und Kaiser Nikolaus weiß das so gut als wir; dar¬ um liegt ihm darau, Oestreich in Deutschland nicht zu mächtig werden zu lassen. Andrerseits kann ihm an einem ernsthaften Zwist zwischen Oestreich und Preußen nicht liegen, weil er ihrer Allianz bedarf, um die von Frankreich her drohende Revoln.ion zu bekämpfe». Es sieht also jetzt so aus, als wolle er in den deut¬ schen Verwirrungen den Vermittler spielen, und zwar zu Gunsten Preußens. Leider haben wir Ursache zu glaube», daß Preußen diese Vermittelung dnrch eine Concession erkauft hat, eine Concession in der Schleswig-holsteiujcheu Frage, über die wir nur zu bald ius Klare gehest werden möchten. In allen diesen Fragen, von denen Preußens Politik in der nächsten Zu- kunft wesentlich bestimmt wird, kann die liberale Partei nichts fördern und nichts hindern. Dem Einfluß dieser Fragen gegenüber ist der Einfluß sämmtlicher Par¬ lamente, die in den nächsten Jahren gehalten, und sämmtlicher Zeitungen, die geschrieben werden können, von geringem Gewicht. Darum hat sie doch nicht zu feiern. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, sich zu organisiren, um bei einem neuen Umschwung der Dinge in sämmtlichen deutschen Staaten nach einem gemeinsamen Plan die Negierung übernehmen zu können. Daß sie das im März 48 nicht konnte, daß Camphausen, Stüve, Pfordten, Römer, Gagern n. s. w., ohne gemeinsamen Plan, zum Theil gegen einander handelten, und ihrer historischen Grundlage nach handeln mußten, ist der hauptsächlichste Grund für deu Fall der liberale» Partei. Durch das Programm vo» Gotha, d. h. durch den materiellen Inhalt desselben, ist der liberalen Partei diese Basis gegeben, aus der sie vorläufig in den einzelnen Kammern und in der Presse operiren kann, später, wenn es dazu kommt, — es ist das keine Prätention, jede Partei hat die Verpflichtung, sich diese Eventualität vor Augen zu stellen, — in den Regierungen. Der Reichstag der Union, wenn er zu Stande kommt, kann auf die Parteibildung von vortheilhaftem Einfluß sein, vor Allem, weil er ein Gegengewicht bildet gegen den Einfluß Oestreichs ans Preußen; er tan» aber auch schädlich wirke», weil er sie zu leicht in Schlingen verlockt, ans denen sich kein politisch ehrenvoller Ausgang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/335>, abgerufen am 10.06.2024.