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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Allein Rußland hat ganz andere Mittel in seiner Hand, die widerstrebenden
Elemente allmälig zu absorbiren. Es ist nicht bloß die Allmacht des Cäsars, die
den Thron erhält, nicht bloß sein Heer und seine Beamten: es ist zunächst eine
große, mächtige, starke und in ihrem Wesen völlig einheitliche Nationalität, als
deren Vertreter und in deren Sinn er seinen Unterthanen Gesetze gibt; es ist
ferner eine sehr einseitige, sehr sinnliche, sehr wenig cultivirte und darum um so in¬
tensivere Religion, die dein heiligen Rußland die Waffen gegen die Heiden schärft.

In Ostreich fehlt beides. Ans welche Nationalität soll das Kaiserthum sich
stutzen? Auf die slavische? Das wird in diesem Augenblicke nicht dem ausschwei¬
fendsten Panslavisten mehr einfallen. Slovakische nud serbische Obergespane in
Ungarn! So bleibt nur die deutsche übrig, für die außer dem'Umstand, daß der
Kaiser selbst und die Beamten ihr angehören, auch noch die Rücksicht aus ihre
höhere Bildung zu sprechen scheint. Aber so tüchtig die deutschen Bewohner der
einzelnen östreichischen Provinzen auch unzweifelhaft sind, der muntere Wiener,
der gemüthliche Oestreicher, der gleichfalls gemüthliche Tyroler, der fleißige
Sachse ". s. w., als Nation betrachtet, in ihrer Gesammtheit, als autonome,
treibende Kraft, sind sie nicht sähig, die andern Böller zu absorbiren, ja sie stehn
an intensiver Energie den Czechen, den Magyaren, selbst den Serben nach. In
Rußland ist es möglich, daß mit der Zeit alle Stämme russisirt werde"; an eine
Germanisirung der Ungarn, der Raizen u> f. w. ist aber uicht zu denken.

ES ist daher ein eitles Unternehmen, durch deutsche Beamte den Schein der
Germanisirung hervorzubringen, der die Betheilgte" uur erbittert, ohne eine wirk¬
liche Frucht zu tragen. Der Belagerungszustand und die Militärherrschaft reicht
hier nicht ans; nicht einmal aller der Herrschaft der Waffe" finden die deutschen
Beamten das Ansehen, das man der nationalen Obrigkeit bereitwillig zugestand.
So lange man sie nicht offen herauswerfen kann, setzt man ihnen den passiven
Widerstand entgegen, der vollkommen genügt, ihre Stellung unhaltbar zu machen.
Der Berfasser schildert diesen Widerstand mit einer gewissen boshaften Gemüth¬
lichkeit.

Am unglückseligsten aber wirkt der Einfall der Negierung, die sogenannte
Staatsreligion zu Hilfe z" nehmen. Die Begünstigung des Katholicismus von
Seiten der Deutschen hat die ungarischen Edelleute ans einmal wieder an ihren
Protestantismus erinnert, und sie haben nnn ein neues, legitimes Moment der
Opposition. stach welcher Seite hin auch die Regierung uniformiren will, das
Volk in seiner Individualität tritt ihr überall als compacte Masse gegenüber.

Auf diese Weise geht es nicht, das will erkannt sein. Will Oestreich über¬
haupt in Ungarn regieren, so kann es das nnr mit Hilfe -desjenigen Theils der
nationalen Partei, die überhaupt noch mit ihr in Verbindung steht. Die natio¬
nale Partei wird sie aber nur gegen sehr wesentliche Eoneessionen unterstützen, sie nur
unter dieser Bedingung unterstützen können, und unter diesen Concessionen wird


Allein Rußland hat ganz andere Mittel in seiner Hand, die widerstrebenden
Elemente allmälig zu absorbiren. Es ist nicht bloß die Allmacht des Cäsars, die
den Thron erhält, nicht bloß sein Heer und seine Beamten: es ist zunächst eine
große, mächtige, starke und in ihrem Wesen völlig einheitliche Nationalität, als
deren Vertreter und in deren Sinn er seinen Unterthanen Gesetze gibt; es ist
ferner eine sehr einseitige, sehr sinnliche, sehr wenig cultivirte und darum um so in¬
tensivere Religion, die dein heiligen Rußland die Waffen gegen die Heiden schärft.

In Ostreich fehlt beides. Ans welche Nationalität soll das Kaiserthum sich
stutzen? Auf die slavische? Das wird in diesem Augenblicke nicht dem ausschwei¬
fendsten Panslavisten mehr einfallen. Slovakische nud serbische Obergespane in
Ungarn! So bleibt nur die deutsche übrig, für die außer dem'Umstand, daß der
Kaiser selbst und die Beamten ihr angehören, auch noch die Rücksicht aus ihre
höhere Bildung zu sprechen scheint. Aber so tüchtig die deutschen Bewohner der
einzelnen östreichischen Provinzen auch unzweifelhaft sind, der muntere Wiener,
der gemüthliche Oestreicher, der gleichfalls gemüthliche Tyroler, der fleißige
Sachse ». s. w., als Nation betrachtet, in ihrer Gesammtheit, als autonome,
treibende Kraft, sind sie nicht sähig, die andern Böller zu absorbiren, ja sie stehn
an intensiver Energie den Czechen, den Magyaren, selbst den Serben nach. In
Rußland ist es möglich, daß mit der Zeit alle Stämme russisirt werde»; an eine
Germanisirung der Ungarn, der Raizen u> f. w. ist aber uicht zu denken.

ES ist daher ein eitles Unternehmen, durch deutsche Beamte den Schein der
Germanisirung hervorzubringen, der die Betheilgte» uur erbittert, ohne eine wirk¬
liche Frucht zu tragen. Der Belagerungszustand und die Militärherrschaft reicht
hier nicht ans; nicht einmal aller der Herrschaft der Waffe» finden die deutschen
Beamten das Ansehen, das man der nationalen Obrigkeit bereitwillig zugestand.
So lange man sie nicht offen herauswerfen kann, setzt man ihnen den passiven
Widerstand entgegen, der vollkommen genügt, ihre Stellung unhaltbar zu machen.
Der Berfasser schildert diesen Widerstand mit einer gewissen boshaften Gemüth¬
lichkeit.

Am unglückseligsten aber wirkt der Einfall der Negierung, die sogenannte
Staatsreligion zu Hilfe z» nehmen. Die Begünstigung des Katholicismus von
Seiten der Deutschen hat die ungarischen Edelleute ans einmal wieder an ihren
Protestantismus erinnert, und sie haben nnn ein neues, legitimes Moment der
Opposition. stach welcher Seite hin auch die Regierung uniformiren will, das
Volk in seiner Individualität tritt ihr überall als compacte Masse gegenüber.

Auf diese Weise geht es nicht, das will erkannt sein. Will Oestreich über¬
haupt in Ungarn regieren, so kann es das nnr mit Hilfe -desjenigen Theils der
nationalen Partei, die überhaupt noch mit ihr in Verbindung steht. Die natio¬
nale Partei wird sie aber nur gegen sehr wesentliche Eoneessionen unterstützen, sie nur
unter dieser Bedingung unterstützen können, und unter diesen Concessionen wird


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[0348] Allein Rußland hat ganz andere Mittel in seiner Hand, die widerstrebenden Elemente allmälig zu absorbiren. Es ist nicht bloß die Allmacht des Cäsars, die den Thron erhält, nicht bloß sein Heer und seine Beamten: es ist zunächst eine große, mächtige, starke und in ihrem Wesen völlig einheitliche Nationalität, als deren Vertreter und in deren Sinn er seinen Unterthanen Gesetze gibt; es ist ferner eine sehr einseitige, sehr sinnliche, sehr wenig cultivirte und darum um so in¬ tensivere Religion, die dein heiligen Rußland die Waffen gegen die Heiden schärft. In Ostreich fehlt beides. Ans welche Nationalität soll das Kaiserthum sich stutzen? Auf die slavische? Das wird in diesem Augenblicke nicht dem ausschwei¬ fendsten Panslavisten mehr einfallen. Slovakische nud serbische Obergespane in Ungarn! So bleibt nur die deutsche übrig, für die außer dem'Umstand, daß der Kaiser selbst und die Beamten ihr angehören, auch noch die Rücksicht aus ihre höhere Bildung zu sprechen scheint. Aber so tüchtig die deutschen Bewohner der einzelnen östreichischen Provinzen auch unzweifelhaft sind, der muntere Wiener, der gemüthliche Oestreicher, der gleichfalls gemüthliche Tyroler, der fleißige Sachse ». s. w., als Nation betrachtet, in ihrer Gesammtheit, als autonome, treibende Kraft, sind sie nicht sähig, die andern Böller zu absorbiren, ja sie stehn an intensiver Energie den Czechen, den Magyaren, selbst den Serben nach. In Rußland ist es möglich, daß mit der Zeit alle Stämme russisirt werde»; an eine Germanisirung der Ungarn, der Raizen u> f. w. ist aber uicht zu denken. ES ist daher ein eitles Unternehmen, durch deutsche Beamte den Schein der Germanisirung hervorzubringen, der die Betheilgte» uur erbittert, ohne eine wirk¬ liche Frucht zu tragen. Der Belagerungszustand und die Militärherrschaft reicht hier nicht ans; nicht einmal aller der Herrschaft der Waffe» finden die deutschen Beamten das Ansehen, das man der nationalen Obrigkeit bereitwillig zugestand. So lange man sie nicht offen herauswerfen kann, setzt man ihnen den passiven Widerstand entgegen, der vollkommen genügt, ihre Stellung unhaltbar zu machen. Der Berfasser schildert diesen Widerstand mit einer gewissen boshaften Gemüth¬ lichkeit. Am unglückseligsten aber wirkt der Einfall der Negierung, die sogenannte Staatsreligion zu Hilfe z» nehmen. Die Begünstigung des Katholicismus von Seiten der Deutschen hat die ungarischen Edelleute ans einmal wieder an ihren Protestantismus erinnert, und sie haben nnn ein neues, legitimes Moment der Opposition. stach welcher Seite hin auch die Regierung uniformiren will, das Volk in seiner Individualität tritt ihr überall als compacte Masse gegenüber. Auf diese Weise geht es nicht, das will erkannt sein. Will Oestreich über¬ haupt in Ungarn regieren, so kann es das nnr mit Hilfe -desjenigen Theils der nationalen Partei, die überhaupt noch mit ihr in Verbindung steht. Die natio¬ nale Partei wird sie aber nur gegen sehr wesentliche Eoneessionen unterstützen, sie nur unter dieser Bedingung unterstützen können, und unter diesen Concessionen wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/348>, abgerufen am 17.06.2024.