Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

verschrobenen Styl, der ungefähr in der nämlichen Art durch das ganze Stück
fortgeht, entspricht auch der Inhalt. Von sämmtlichen Personen, die darin auf¬
treten, ist keine einzige, die auch uur einen Augenblick wüßte, was sie eigentlich
will. Maßlose Empfindsamkeit ohne alle Spur eines echten Gefühls.

Wenn mau ein so bedeutendes Talent, einen so leichten, gewandten, nach
allen Richtungen hin empfänglichen Geist, wie Gichkow, betrachtet, so sollte mau
wohl die Hoffnung nicht aufgeben, daß er sich aus seinen Irrwegen noch einmal
zurechtfinden und eine seinen Gaben angemessene Stellung in der Literatur ein¬
nehmen konnte. Andrerseits ist es aber schwer zu sagen, nach welcher Seite hin
mau diesen Fortschritt eigentlich erwarten soll. In der Poesie ist kaum noch
etwas von ihm zu hoffen. Wenn man gegen zwanzig Theaterstücke geschrieben
hat, und sich noch in den wüsten Bildern, den unklaren Empfindungen, den un¬
bestimmten Charakteren des Werner, Sämige u. s. w. bewegt, so kommt man
auch uicht mehr heraus. -- Der Politik hat sich Gichkow zu sehr entfremdet, um
darin etwas mehr zu leisten, als die vormärzliche, bloß formale Opposition.
Von seiner letzten Thätigkeit, der dramaturgischen, geben die vorliegenden Blätter
einige Proben. Zu einer praktischen Wirksamkeit scheint sich aber anch in dieser
Sphäre seine Persönlichkeit nicht zu eignen.

Gichkow ist vou einem großen, im Ganzen doch schädlichen Einfluß
auf die deutsche Literatur gewesen. Durch thu hat die persönliche Eitelkeit, die
nur sich selber zum Gegenstand nimmt, und auf das Objective gänzlich verzichtet,
eine unerträgliche Ausdehnung gewonnen: jene abstracte Ruhmsucht, der es nicht
um Erfüllung eines klaren Zweckes zu thun ist, souderu uur um Geltendmachung
der Person. -- Dieses Ziel hat Gichkow erreicht, durch ein weitverzweigtes,
organisirtes Cliquenwesen. Er ist ein berühmter Mann geworden, und er wird
anch in der Literaturgeschichte als vorzüglichster Repräsentant einer vollkommen
siechen und haltnngSlvsen Zeit erscheinen. In dieser rein negativen Bedeutung
ist er auch consequent geblieben, so consequent, daß man kaum einen Entwicke-
lungsproceß bei ihm verfolgt; von der Wally all bis zu seinem Ottfried. Seine
Metamorphosen sind ganz äußerlich, nach den wechselnden Bedürfnissen des
Publicums eingerichtet. Er scheint jetzt anch wieder zu der alten Form zurück¬
kehren zu wollen; das Theater hat seinen Reiz für ihn verloren, und Blasedow,
Seraphine u. s. w., die Weltschmerz-Novellen tauchen in einer neuen Umhüllung
wieder ans. Diesmal nach französischer Manier im Feuilleton einer Zeitung.

Ein Gesammtbild seiner Thätigkeit wäre ein nicht uninteressanter Beitrag zu
unserer Culturgeschichte. Wir gedenken darauf zurückzukommen.




verschrobenen Styl, der ungefähr in der nämlichen Art durch das ganze Stück
fortgeht, entspricht auch der Inhalt. Von sämmtlichen Personen, die darin auf¬
treten, ist keine einzige, die auch uur einen Augenblick wüßte, was sie eigentlich
will. Maßlose Empfindsamkeit ohne alle Spur eines echten Gefühls.

Wenn mau ein so bedeutendes Talent, einen so leichten, gewandten, nach
allen Richtungen hin empfänglichen Geist, wie Gichkow, betrachtet, so sollte mau
wohl die Hoffnung nicht aufgeben, daß er sich aus seinen Irrwegen noch einmal
zurechtfinden und eine seinen Gaben angemessene Stellung in der Literatur ein¬
nehmen konnte. Andrerseits ist es aber schwer zu sagen, nach welcher Seite hin
mau diesen Fortschritt eigentlich erwarten soll. In der Poesie ist kaum noch
etwas von ihm zu hoffen. Wenn man gegen zwanzig Theaterstücke geschrieben
hat, und sich noch in den wüsten Bildern, den unklaren Empfindungen, den un¬
bestimmten Charakteren des Werner, Sämige u. s. w. bewegt, so kommt man
auch uicht mehr heraus. — Der Politik hat sich Gichkow zu sehr entfremdet, um
darin etwas mehr zu leisten, als die vormärzliche, bloß formale Opposition.
Von seiner letzten Thätigkeit, der dramaturgischen, geben die vorliegenden Blätter
einige Proben. Zu einer praktischen Wirksamkeit scheint sich aber anch in dieser
Sphäre seine Persönlichkeit nicht zu eignen.

Gichkow ist vou einem großen, im Ganzen doch schädlichen Einfluß
auf die deutsche Literatur gewesen. Durch thu hat die persönliche Eitelkeit, die
nur sich selber zum Gegenstand nimmt, und auf das Objective gänzlich verzichtet,
eine unerträgliche Ausdehnung gewonnen: jene abstracte Ruhmsucht, der es nicht
um Erfüllung eines klaren Zweckes zu thun ist, souderu uur um Geltendmachung
der Person. — Dieses Ziel hat Gichkow erreicht, durch ein weitverzweigtes,
organisirtes Cliquenwesen. Er ist ein berühmter Mann geworden, und er wird
anch in der Literaturgeschichte als vorzüglichster Repräsentant einer vollkommen
siechen und haltnngSlvsen Zeit erscheinen. In dieser rein negativen Bedeutung
ist er auch consequent geblieben, so consequent, daß man kaum einen Entwicke-
lungsproceß bei ihm verfolgt; von der Wally all bis zu seinem Ottfried. Seine
Metamorphosen sind ganz äußerlich, nach den wechselnden Bedürfnissen des
Publicums eingerichtet. Er scheint jetzt anch wieder zu der alten Form zurück¬
kehren zu wollen; das Theater hat seinen Reiz für ihn verloren, und Blasedow,
Seraphine u. s. w., die Weltschmerz-Novellen tauchen in einer neuen Umhüllung
wieder ans. Diesmal nach französischer Manier im Feuilleton einer Zeitung.

Ein Gesammtbild seiner Thätigkeit wäre ein nicht uninteressanter Beitrag zu
unserer Culturgeschichte. Wir gedenken darauf zurückzukommen.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185753"/>
            <p xml:id="ID_1594" prev="#ID_1593"> verschrobenen Styl, der ungefähr in der nämlichen Art durch das ganze Stück<lb/>
fortgeht, entspricht auch der Inhalt. Von sämmtlichen Personen, die darin auf¬<lb/>
treten, ist keine einzige, die auch uur einen Augenblick wüßte, was sie eigentlich<lb/>
will.  Maßlose Empfindsamkeit ohne alle Spur eines echten Gefühls.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1595"> Wenn mau ein so bedeutendes Talent, einen so leichten, gewandten, nach<lb/>
allen Richtungen hin empfänglichen Geist, wie Gichkow, betrachtet, so sollte mau<lb/>
wohl die Hoffnung nicht aufgeben, daß er sich aus seinen Irrwegen noch einmal<lb/>
zurechtfinden und eine seinen Gaben angemessene Stellung in der Literatur ein¬<lb/>
nehmen konnte. Andrerseits ist es aber schwer zu sagen, nach welcher Seite hin<lb/>
mau diesen Fortschritt eigentlich erwarten soll. In der Poesie ist kaum noch<lb/>
etwas von ihm zu hoffen. Wenn man gegen zwanzig Theaterstücke geschrieben<lb/>
hat, und sich noch in den wüsten Bildern, den unklaren Empfindungen, den un¬<lb/>
bestimmten Charakteren des Werner, Sämige u. s. w. bewegt, so kommt man<lb/>
auch uicht mehr heraus. &#x2014; Der Politik hat sich Gichkow zu sehr entfremdet, um<lb/>
darin etwas mehr zu leisten, als die vormärzliche, bloß formale Opposition.<lb/>
Von seiner letzten Thätigkeit, der dramaturgischen, geben die vorliegenden Blätter<lb/>
einige Proben. Zu einer praktischen Wirksamkeit scheint sich aber anch in dieser<lb/>
Sphäre seine Persönlichkeit nicht zu eignen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1596"> Gichkow ist vou einem großen, im Ganzen doch schädlichen Einfluß<lb/>
auf die deutsche Literatur gewesen. Durch thu hat die persönliche Eitelkeit, die<lb/>
nur sich selber zum Gegenstand nimmt, und auf das Objective gänzlich verzichtet,<lb/>
eine unerträgliche Ausdehnung gewonnen: jene abstracte Ruhmsucht, der es nicht<lb/>
um Erfüllung eines klaren Zweckes zu thun ist, souderu uur um Geltendmachung<lb/>
der Person. &#x2014; Dieses Ziel hat Gichkow erreicht, durch ein weitverzweigtes,<lb/>
organisirtes Cliquenwesen. Er ist ein berühmter Mann geworden, und er wird<lb/>
anch in der Literaturgeschichte als vorzüglichster Repräsentant einer vollkommen<lb/>
siechen und haltnngSlvsen Zeit erscheinen. In dieser rein negativen Bedeutung<lb/>
ist er auch consequent geblieben, so consequent, daß man kaum einen Entwicke-<lb/>
lungsproceß bei ihm verfolgt; von der Wally all bis zu seinem Ottfried. Seine<lb/>
Metamorphosen sind ganz äußerlich, nach den wechselnden Bedürfnissen des<lb/>
Publicums eingerichtet. Er scheint jetzt anch wieder zu der alten Form zurück¬<lb/>
kehren zu wollen; das Theater hat seinen Reiz für ihn verloren, und Blasedow,<lb/>
Seraphine u. s. w., die Weltschmerz-Novellen tauchen in einer neuen Umhüllung<lb/>
wieder ans.  Diesmal nach französischer Manier im Feuilleton einer Zeitung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1597"> Ein Gesammtbild seiner Thätigkeit wäre ein nicht uninteressanter Beitrag zu<lb/>
unserer Culturgeschichte.  Wir gedenken darauf zurückzukommen.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] verschrobenen Styl, der ungefähr in der nämlichen Art durch das ganze Stück fortgeht, entspricht auch der Inhalt. Von sämmtlichen Personen, die darin auf¬ treten, ist keine einzige, die auch uur einen Augenblick wüßte, was sie eigentlich will. Maßlose Empfindsamkeit ohne alle Spur eines echten Gefühls. Wenn mau ein so bedeutendes Talent, einen so leichten, gewandten, nach allen Richtungen hin empfänglichen Geist, wie Gichkow, betrachtet, so sollte mau wohl die Hoffnung nicht aufgeben, daß er sich aus seinen Irrwegen noch einmal zurechtfinden und eine seinen Gaben angemessene Stellung in der Literatur ein¬ nehmen konnte. Andrerseits ist es aber schwer zu sagen, nach welcher Seite hin mau diesen Fortschritt eigentlich erwarten soll. In der Poesie ist kaum noch etwas von ihm zu hoffen. Wenn man gegen zwanzig Theaterstücke geschrieben hat, und sich noch in den wüsten Bildern, den unklaren Empfindungen, den un¬ bestimmten Charakteren des Werner, Sämige u. s. w. bewegt, so kommt man auch uicht mehr heraus. — Der Politik hat sich Gichkow zu sehr entfremdet, um darin etwas mehr zu leisten, als die vormärzliche, bloß formale Opposition. Von seiner letzten Thätigkeit, der dramaturgischen, geben die vorliegenden Blätter einige Proben. Zu einer praktischen Wirksamkeit scheint sich aber anch in dieser Sphäre seine Persönlichkeit nicht zu eignen. Gichkow ist vou einem großen, im Ganzen doch schädlichen Einfluß auf die deutsche Literatur gewesen. Durch thu hat die persönliche Eitelkeit, die nur sich selber zum Gegenstand nimmt, und auf das Objective gänzlich verzichtet, eine unerträgliche Ausdehnung gewonnen: jene abstracte Ruhmsucht, der es nicht um Erfüllung eines klaren Zweckes zu thun ist, souderu uur um Geltendmachung der Person. — Dieses Ziel hat Gichkow erreicht, durch ein weitverzweigtes, organisirtes Cliquenwesen. Er ist ein berühmter Mann geworden, und er wird anch in der Literaturgeschichte als vorzüglichster Repräsentant einer vollkommen siechen und haltnngSlvsen Zeit erscheinen. In dieser rein negativen Bedeutung ist er auch consequent geblieben, so consequent, daß man kaum einen Entwicke- lungsproceß bei ihm verfolgt; von der Wally all bis zu seinem Ottfried. Seine Metamorphosen sind ganz äußerlich, nach den wechselnden Bedürfnissen des Publicums eingerichtet. Er scheint jetzt anch wieder zu der alten Form zurück¬ kehren zu wollen; das Theater hat seinen Reiz für ihn verloren, und Blasedow, Seraphine u. s. w., die Weltschmerz-Novellen tauchen in einer neuen Umhüllung wieder ans. Diesmal nach französischer Manier im Feuilleton einer Zeitung. Ein Gesammtbild seiner Thätigkeit wäre ein nicht uninteressanter Beitrag zu unserer Culturgeschichte. Wir gedenken darauf zurückzukommen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/416>, abgerufen am 19.05.2024.