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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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bekannt, daß der Bart ein heiliges Symbol der orthodoxen und also eben der
loyalsten Juden ist; man müßte also erst eine Commission niedersetzen, die die
Qualitäten eines revolutionären Bartes genauer angeben müßte, was bei
den starken Conturen derselben, durch welche sie mit den eigentlichen Judenbärten
fast identisch sind, sehr schwer fallen durste.

Schließlich will ich Sie noch auf ein kleines Werkchen aufmerksam machen,
welches in London in eleganter Ausstattung uuter dem Titel: "Ungarns gutes
Recht, vou einem Diplomaten" bei W. M. Watts 1850 erschienen ist, und wel¬
ches ich dieser Tage durchzulesen Gelegenheit hatte. Hier wollen viele PnlSti
als den Verfasser desselben nennen, allein, obwohl das Werkchen im Ganzen gut
gehalten ist, und in zwei dünnen Heften eine ziemlich deutliche und wahre Dar¬
stellung des ungarischen Staatslebens in deu letzten drei Jahrhunderten liefert,
so glaube ich doch mit Sicherheit behaupten zu können, daß es weder von Pulski,
noch vou irgend einem "Diplomaten" versaßt sei. Darauf deuten manche
ganz undiplomatische Ausdrücke, wie: "der Bastard eiuer Jüdin von einem deut¬
schen Fürsten", "die Raubritter von Aargau" (Habsburg) u. s. w., und die noch
weniger diplomatische Behauptung des Verfassers, daß ein unverantwortliches
Königthum ein Unsinn sei. Diese wenigen Schnitzer ausgenommen, ist das Büch¬
lein mit Geist und Wahrheitsliebe geschrieben, wovon die leitende Idee des Ver¬
fassers ein genügendes Zeugniß gibt.

Es ist eine sehr wichtige und sür die folgenden Schicksale Ungarns höchst-
bedeuteude Thatsache, daß die Reformation mit dem Antritt der habsburgischen
Regierung in Ungarn in eine Periode, nämlich erstere 1317, letzter nach der un-
glücklichen Schlacht bei Mahatsch 1526 fällt. Man sollte glauben, daß die Refor¬
mation, die sich in Ungarn.mit fast unglaublicher Schnelligkeit verbreitete, dem neuen,
mit dem Katholicismus identificirten Herrscherhause große Schwierigkeiten bereiten
sollte, allein die Folge zeigte eben das Gegeutheil. Durch die Kämpfe, welche
die ungarischen Protestanten mit dem katholischen Clerus zu bestehen hatten, wurde
die Agitation von dem Felde der Politik auf das religiöse Gebiet verpflanzt.

Die Regierung wußte bei jedem Landtag, diese Agitation im Gang zu er¬
halten, und die protestantischen Deputaten vergaßen ihre Landeöbeschwerden, wenn
sie dein Clerus, wie es immer hieß mit Hilfe der Regierung, etwas abgerungen
hatten. Dieser Zustand dauerte bis Joseph >>. Nach dem Tode dieses Monarchen,
der sowohl mit den Interessen seines Hauses als den seiner Völker in Wider¬
spruch stand, wollte das alte Mittel nicht mehr wirken; denn das Tvleranzediet
hatte die Protestanten so ziemlich sicher gestellt, Leopold war nicht weniger duldsam
als sein Vorgänger, und die Ereignisse in Franüeich stellten die politische Agi¬
tation wieder in den Vordergrund. Man mußte also zu einem andern Mittel
greifen, und dies fand Franz, nachdem er sich von den französischen Streichen
erholt hatte, in der Verschiedenheit der Nationalitäten. Dem Gesetze zur Hebung


bekannt, daß der Bart ein heiliges Symbol der orthodoxen und also eben der
loyalsten Juden ist; man müßte also erst eine Commission niedersetzen, die die
Qualitäten eines revolutionären Bartes genauer angeben müßte, was bei
den starken Conturen derselben, durch welche sie mit den eigentlichen Judenbärten
fast identisch sind, sehr schwer fallen durste.

Schließlich will ich Sie noch auf ein kleines Werkchen aufmerksam machen,
welches in London in eleganter Ausstattung uuter dem Titel: „Ungarns gutes
Recht, vou einem Diplomaten" bei W. M. Watts 1850 erschienen ist, und wel¬
ches ich dieser Tage durchzulesen Gelegenheit hatte. Hier wollen viele PnlSti
als den Verfasser desselben nennen, allein, obwohl das Werkchen im Ganzen gut
gehalten ist, und in zwei dünnen Heften eine ziemlich deutliche und wahre Dar¬
stellung des ungarischen Staatslebens in deu letzten drei Jahrhunderten liefert,
so glaube ich doch mit Sicherheit behaupten zu können, daß es weder von Pulski,
noch vou irgend einem „Diplomaten" versaßt sei. Darauf deuten manche
ganz undiplomatische Ausdrücke, wie: „der Bastard eiuer Jüdin von einem deut¬
schen Fürsten", „die Raubritter von Aargau" (Habsburg) u. s. w., und die noch
weniger diplomatische Behauptung des Verfassers, daß ein unverantwortliches
Königthum ein Unsinn sei. Diese wenigen Schnitzer ausgenommen, ist das Büch¬
lein mit Geist und Wahrheitsliebe geschrieben, wovon die leitende Idee des Ver¬
fassers ein genügendes Zeugniß gibt.

Es ist eine sehr wichtige und sür die folgenden Schicksale Ungarns höchst-
bedeuteude Thatsache, daß die Reformation mit dem Antritt der habsburgischen
Regierung in Ungarn in eine Periode, nämlich erstere 1317, letzter nach der un-
glücklichen Schlacht bei Mahatsch 1526 fällt. Man sollte glauben, daß die Refor¬
mation, die sich in Ungarn.mit fast unglaublicher Schnelligkeit verbreitete, dem neuen,
mit dem Katholicismus identificirten Herrscherhause große Schwierigkeiten bereiten
sollte, allein die Folge zeigte eben das Gegeutheil. Durch die Kämpfe, welche
die ungarischen Protestanten mit dem katholischen Clerus zu bestehen hatten, wurde
die Agitation von dem Felde der Politik auf das religiöse Gebiet verpflanzt.

Die Regierung wußte bei jedem Landtag, diese Agitation im Gang zu er¬
halten, und die protestantischen Deputaten vergaßen ihre Landeöbeschwerden, wenn
sie dein Clerus, wie es immer hieß mit Hilfe der Regierung, etwas abgerungen
hatten. Dieser Zustand dauerte bis Joseph >>. Nach dem Tode dieses Monarchen,
der sowohl mit den Interessen seines Hauses als den seiner Völker in Wider¬
spruch stand, wollte das alte Mittel nicht mehr wirken; denn das Tvleranzediet
hatte die Protestanten so ziemlich sicher gestellt, Leopold war nicht weniger duldsam
als sein Vorgänger, und die Ereignisse in Franüeich stellten die politische Agi¬
tation wieder in den Vordergrund. Man mußte also zu einem andern Mittel
greifen, und dies fand Franz, nachdem er sich von den französischen Streichen
erholt hatte, in der Verschiedenheit der Nationalitäten. Dem Gesetze zur Hebung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/466>, abgerufen am 17.06.2024.