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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band.

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Herstellung Italiens eine gesunde, friedliche, organische Entwickelung der europäischen
Verhältnisse unmöglich ist.

Möge dieses Buch -- welches keineswegs in der Absicht geschrieben ist --
durch seiue objective Darstellung ein Beitrag zu dieser Ueberzeugung sein. Für
die gewöhnlichen Leser enthält es eine Reihe anmuthiger Schilderungen, eine bunte
Mannigfaltigkeit populärer Bilder, die ebenso ein novellistisches, wie historisches
Interesse haben; für einen ernsten Geist eine dringende Mahnung, mit einer
Gluth nicht leichtsinnig zu spiele", die ganz Europa in Brand setzen kann.




Die modernen Flibnstier.



Vor ein paar Jahren hatten wir zu Hanse so viel Stoff zu anmuthigen
Ritter- und Nänberrvmanen, daß es nicht der Mühe werth war, uns im Aus¬
lande umzusehn, um dem Trieb zum Wunderbaren zu genügen, der jedem Menschen
angeboren ist. Von der Fracturschrist auf der Psiugstwiese an bis zu den Be¬
gnadigungen in der Brigitteuau, wie viel tragischer Stoff mit wie viel Humor
zersetzt! Am Ende die Kaiserbolschast, der allgemeine Belagerungszustand nud die
Wiedereinsetzung der allein seligmachenden Diplomatie. -- Und wenn auch das
eigentliche Schlachtgewühl sich vom deutschen Boden entfernte, nach Ungarn hin,
nach Italien, nach Dänemark, so blieb es doch durch tausend Beziehungen mit
unsern eigenen Wünschen und Bestrebungen verflochten. Es war kein äußerliches
Interesse, das nus an diese Begebenheit zog, es war die Ausdehnung unsers
eigneir Kampfes über ganz Europa.

Seitdem ist es stille geworden in Deutschland, und wir vertiefen uns wieder
in Nachrichten aus der Fremde. -- Vor zwei Jahren hätten wir die Expedition
nach Cuba höchstens mit flüchtiger Neugierde angesehn, jetzt nimmt sie unsre
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Daß durch diese Expedition die gewöhnlichen Regeln des Völkerrechts auf
das Gröblichste verletzt siud, daß wir einen Raubzug ganz nach Art der alten
Flibustier vor uns sehen, nur in größerm Stil, daß man es daher dem spani¬
schen Gouverneur kaum verdenken kann, wenn er mit den gefangenen Abenteurern
verfährt, wie es gegen Seeräuber Brauch ist -- daran zweifelt Niemand. Aber
die zweite Betrachtung liegt eben so nahe, daß es selbst mit dem Scheitern des
diesmaligen Versuchs nicht zu Ende sei; daß Züge ähnlicher Art sich erneuern
werden, von Jahr zu Jahr, bis über der Havannah die Sternenflagge der ver¬
einigten Staaten weht.

Der glückliche Krieg gegen Mexico hat die nordamerikanische Demokratie,
das bewegende Element der vereinigten Staaten, erst recht eigentlich in's Leben


Herstellung Italiens eine gesunde, friedliche, organische Entwickelung der europäischen
Verhältnisse unmöglich ist.

Möge dieses Buch — welches keineswegs in der Absicht geschrieben ist —
durch seiue objective Darstellung ein Beitrag zu dieser Ueberzeugung sein. Für
die gewöhnlichen Leser enthält es eine Reihe anmuthiger Schilderungen, eine bunte
Mannigfaltigkeit populärer Bilder, die ebenso ein novellistisches, wie historisches
Interesse haben; für einen ernsten Geist eine dringende Mahnung, mit einer
Gluth nicht leichtsinnig zu spiele», die ganz Europa in Brand setzen kann.




Die modernen Flibnstier.



Vor ein paar Jahren hatten wir zu Hanse so viel Stoff zu anmuthigen
Ritter- und Nänberrvmanen, daß es nicht der Mühe werth war, uns im Aus¬
lande umzusehn, um dem Trieb zum Wunderbaren zu genügen, der jedem Menschen
angeboren ist. Von der Fracturschrist auf der Psiugstwiese an bis zu den Be¬
gnadigungen in der Brigitteuau, wie viel tragischer Stoff mit wie viel Humor
zersetzt! Am Ende die Kaiserbolschast, der allgemeine Belagerungszustand nud die
Wiedereinsetzung der allein seligmachenden Diplomatie. — Und wenn auch das
eigentliche Schlachtgewühl sich vom deutschen Boden entfernte, nach Ungarn hin,
nach Italien, nach Dänemark, so blieb es doch durch tausend Beziehungen mit
unsern eigenen Wünschen und Bestrebungen verflochten. Es war kein äußerliches
Interesse, das nus an diese Begebenheit zog, es war die Ausdehnung unsers
eigneir Kampfes über ganz Europa.

Seitdem ist es stille geworden in Deutschland, und wir vertiefen uns wieder
in Nachrichten aus der Fremde. — Vor zwei Jahren hätten wir die Expedition
nach Cuba höchstens mit flüchtiger Neugierde angesehn, jetzt nimmt sie unsre
ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Daß durch diese Expedition die gewöhnlichen Regeln des Völkerrechts auf
das Gröblichste verletzt siud, daß wir einen Raubzug ganz nach Art der alten
Flibustier vor uns sehen, nur in größerm Stil, daß man es daher dem spani¬
schen Gouverneur kaum verdenken kann, wenn er mit den gefangenen Abenteurern
verfährt, wie es gegen Seeräuber Brauch ist — daran zweifelt Niemand. Aber
die zweite Betrachtung liegt eben so nahe, daß es selbst mit dem Scheitern des
diesmaligen Versuchs nicht zu Ende sei; daß Züge ähnlicher Art sich erneuern
werden, von Jahr zu Jahr, bis über der Havannah die Sternenflagge der ver¬
einigten Staaten weht.

Der glückliche Krieg gegen Mexico hat die nordamerikanische Demokratie,
das bewegende Element der vereinigten Staaten, erst recht eigentlich in's Leben


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[0494] Herstellung Italiens eine gesunde, friedliche, organische Entwickelung der europäischen Verhältnisse unmöglich ist. Möge dieses Buch — welches keineswegs in der Absicht geschrieben ist — durch seiue objective Darstellung ein Beitrag zu dieser Ueberzeugung sein. Für die gewöhnlichen Leser enthält es eine Reihe anmuthiger Schilderungen, eine bunte Mannigfaltigkeit populärer Bilder, die ebenso ein novellistisches, wie historisches Interesse haben; für einen ernsten Geist eine dringende Mahnung, mit einer Gluth nicht leichtsinnig zu spiele», die ganz Europa in Brand setzen kann. Die modernen Flibnstier. Vor ein paar Jahren hatten wir zu Hanse so viel Stoff zu anmuthigen Ritter- und Nänberrvmanen, daß es nicht der Mühe werth war, uns im Aus¬ lande umzusehn, um dem Trieb zum Wunderbaren zu genügen, der jedem Menschen angeboren ist. Von der Fracturschrist auf der Psiugstwiese an bis zu den Be¬ gnadigungen in der Brigitteuau, wie viel tragischer Stoff mit wie viel Humor zersetzt! Am Ende die Kaiserbolschast, der allgemeine Belagerungszustand nud die Wiedereinsetzung der allein seligmachenden Diplomatie. — Und wenn auch das eigentliche Schlachtgewühl sich vom deutschen Boden entfernte, nach Ungarn hin, nach Italien, nach Dänemark, so blieb es doch durch tausend Beziehungen mit unsern eigenen Wünschen und Bestrebungen verflochten. Es war kein äußerliches Interesse, das nus an diese Begebenheit zog, es war die Ausdehnung unsers eigneir Kampfes über ganz Europa. Seitdem ist es stille geworden in Deutschland, und wir vertiefen uns wieder in Nachrichten aus der Fremde. — Vor zwei Jahren hätten wir die Expedition nach Cuba höchstens mit flüchtiger Neugierde angesehn, jetzt nimmt sie unsre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Daß durch diese Expedition die gewöhnlichen Regeln des Völkerrechts auf das Gröblichste verletzt siud, daß wir einen Raubzug ganz nach Art der alten Flibustier vor uns sehen, nur in größerm Stil, daß man es daher dem spani¬ schen Gouverneur kaum verdenken kann, wenn er mit den gefangenen Abenteurern verfährt, wie es gegen Seeräuber Brauch ist — daran zweifelt Niemand. Aber die zweite Betrachtung liegt eben so nahe, daß es selbst mit dem Scheitern des diesmaligen Versuchs nicht zu Ende sei; daß Züge ähnlicher Art sich erneuern werden, von Jahr zu Jahr, bis über der Havannah die Sternenflagge der ver¬ einigten Staaten weht. Der glückliche Krieg gegen Mexico hat die nordamerikanische Demokratie, das bewegende Element der vereinigten Staaten, erst recht eigentlich in's Leben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_185336/494>, abgerufen am 17.06.2024.