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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Ein Theil der Opposition verlangte, sie solle die Märzverfassung aner¬
kennen, ein anderer (die Gothaer), sie solle an der Union festhalten. Welcher
von diesen Ansichten pflichtet der Verfasser bei?

Keiner vo n beiden. Er hält beide für unausführbar, beide, wenn sie
ausführbar wären, für schädlich für Sachsen wie für Deutschland; er hält, auch
wenn sie sür Deutschland nützlich wären, das sächsische Ministerium dennoch nicht
nnr für berechtigt, souderu für verpflichtet, die Ausführung derselben zu verhin¬
dern, denn die Regierung eines bestimmten Staats dürfe nie ihre Hand dazu
bieten, aus angeblich höhern politischen Gründen zu eiuer Maßregel ihre Hand
zu bieten, welche'die Macht und die Souveränität dieses Staats, dem sie allein
verantwortlich sei, beeinträchtigte.

Nach diesen Prämissen, die eigentlich eine vollständige Billigung der Negieruugs-
politik enthalten, ist man natürlich nicht wenig darauf gespannt, in welchem Punkt
er eigentlich von ihr abweichen wird, und zwar so bedeutend abweichen, daß dieses
allein ihn bestimmen konnte, eine politische Maaßregel, die er unter andern Umständen
nicht nnr für gerechtfertigt, sondern anch für nothwendig halten würde, als einen
Rechtsbruch zu bekämpfe".

Er tadelt das Ministerium, daß es vom Bündniß vom 26. Mai abgefallen
ist. -- Aber dieses Bündniß war ja die Union? Und die Union war nach des
Verfassers eigner Beweisführung unausführbar, schädlich für Deutschland, ver¬
derblich für Sachsen. -- Ja, das Ministerium hätte durch diplomatische Verhand¬
lungen Preußen dazu bestimmen sollen, von der Einberufung des Erfurter Reichs¬
tages und dem Uebrigen, was sich an die Union knüpfte, abzustehen.

Ist das nun Ernst oder Spaß? -- Also das ist der Grund, ans welchem
Weiß in Schwarz, Recht in Unrecht übergeht? -- "Also darum Räuber und
Mörder?!" --

Das kleine Schriftchen ist ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Erkenntniß,
wie in deu letzten Jahren die Rechtsbegriffe auf den Kopf gestellt sind. -- Eine
Bemerkung muß ich daran knüpfen. -- Es ist eine Thorheit, von jedem Einzelnen
zu verlangen, er solle in verwickelten politischen Fragen das Richtige treffen.
Aber das kann man verlangen, daß Jeder, der in bestimmten Fällen zweifelhaft
ist, ob er Ja oder Nein sagen soll, oder sich zum Ja oder Nein erst durch eine
weit hergeholte philosophische Deduction bestimmen muß, sich der Theilnahme an
der Politik enthält, denn seine Theilnahme kann die Entscheidung uicht fördern,
sondern nur stören.




Ein Theil der Opposition verlangte, sie solle die Märzverfassung aner¬
kennen, ein anderer (die Gothaer), sie solle an der Union festhalten. Welcher
von diesen Ansichten pflichtet der Verfasser bei?

Keiner vo n beiden. Er hält beide für unausführbar, beide, wenn sie
ausführbar wären, für schädlich für Sachsen wie für Deutschland; er hält, auch
wenn sie sür Deutschland nützlich wären, das sächsische Ministerium dennoch nicht
nnr für berechtigt, souderu für verpflichtet, die Ausführung derselben zu verhin¬
dern, denn die Regierung eines bestimmten Staats dürfe nie ihre Hand dazu
bieten, aus angeblich höhern politischen Gründen zu eiuer Maßregel ihre Hand
zu bieten, welche'die Macht und die Souveränität dieses Staats, dem sie allein
verantwortlich sei, beeinträchtigte.

Nach diesen Prämissen, die eigentlich eine vollständige Billigung der Negieruugs-
politik enthalten, ist man natürlich nicht wenig darauf gespannt, in welchem Punkt
er eigentlich von ihr abweichen wird, und zwar so bedeutend abweichen, daß dieses
allein ihn bestimmen konnte, eine politische Maaßregel, die er unter andern Umständen
nicht nnr für gerechtfertigt, sondern anch für nothwendig halten würde, als einen
Rechtsbruch zu bekämpfe».

Er tadelt das Ministerium, daß es vom Bündniß vom 26. Mai abgefallen
ist. — Aber dieses Bündniß war ja die Union? Und die Union war nach des
Verfassers eigner Beweisführung unausführbar, schädlich für Deutschland, ver¬
derblich für Sachsen. — Ja, das Ministerium hätte durch diplomatische Verhand¬
lungen Preußen dazu bestimmen sollen, von der Einberufung des Erfurter Reichs¬
tages und dem Uebrigen, was sich an die Union knüpfte, abzustehen.

Ist das nun Ernst oder Spaß? — Also das ist der Grund, ans welchem
Weiß in Schwarz, Recht in Unrecht übergeht? — „Also darum Räuber und
Mörder?!" —

Das kleine Schriftchen ist ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Erkenntniß,
wie in deu letzten Jahren die Rechtsbegriffe auf den Kopf gestellt sind. — Eine
Bemerkung muß ich daran knüpfen. — Es ist eine Thorheit, von jedem Einzelnen
zu verlangen, er solle in verwickelten politischen Fragen das Richtige treffen.
Aber das kann man verlangen, daß Jeder, der in bestimmten Fällen zweifelhaft
ist, ob er Ja oder Nein sagen soll, oder sich zum Ja oder Nein erst durch eine
weit hergeholte philosophische Deduction bestimmen muß, sich der Theilnahme an
der Politik enthält, denn seine Theilnahme kann die Entscheidung uicht fördern,
sondern nur stören.




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[0343] Ein Theil der Opposition verlangte, sie solle die Märzverfassung aner¬ kennen, ein anderer (die Gothaer), sie solle an der Union festhalten. Welcher von diesen Ansichten pflichtet der Verfasser bei? Keiner vo n beiden. Er hält beide für unausführbar, beide, wenn sie ausführbar wären, für schädlich für Sachsen wie für Deutschland; er hält, auch wenn sie sür Deutschland nützlich wären, das sächsische Ministerium dennoch nicht nnr für berechtigt, souderu für verpflichtet, die Ausführung derselben zu verhin¬ dern, denn die Regierung eines bestimmten Staats dürfe nie ihre Hand dazu bieten, aus angeblich höhern politischen Gründen zu eiuer Maßregel ihre Hand zu bieten, welche'die Macht und die Souveränität dieses Staats, dem sie allein verantwortlich sei, beeinträchtigte. Nach diesen Prämissen, die eigentlich eine vollständige Billigung der Negieruugs- politik enthalten, ist man natürlich nicht wenig darauf gespannt, in welchem Punkt er eigentlich von ihr abweichen wird, und zwar so bedeutend abweichen, daß dieses allein ihn bestimmen konnte, eine politische Maaßregel, die er unter andern Umständen nicht nnr für gerechtfertigt, sondern anch für nothwendig halten würde, als einen Rechtsbruch zu bekämpfe». Er tadelt das Ministerium, daß es vom Bündniß vom 26. Mai abgefallen ist. — Aber dieses Bündniß war ja die Union? Und die Union war nach des Verfassers eigner Beweisführung unausführbar, schädlich für Deutschland, ver¬ derblich für Sachsen. — Ja, das Ministerium hätte durch diplomatische Verhand¬ lungen Preußen dazu bestimmen sollen, von der Einberufung des Erfurter Reichs¬ tages und dem Uebrigen, was sich an die Union knüpfte, abzustehen. Ist das nun Ernst oder Spaß? — Also das ist der Grund, ans welchem Weiß in Schwarz, Recht in Unrecht übergeht? — „Also darum Räuber und Mörder?!" — Das kleine Schriftchen ist ein nicht unwesentlicher Beitrag zur Erkenntniß, wie in deu letzten Jahren die Rechtsbegriffe auf den Kopf gestellt sind. — Eine Bemerkung muß ich daran knüpfen. — Es ist eine Thorheit, von jedem Einzelnen zu verlangen, er solle in verwickelten politischen Fragen das Richtige treffen. Aber das kann man verlangen, daß Jeder, der in bestimmten Fällen zweifelhaft ist, ob er Ja oder Nein sagen soll, oder sich zum Ja oder Nein erst durch eine weit hergeholte philosophische Deduction bestimmen muß, sich der Theilnahme an der Politik enthält, denn seine Theilnahme kann die Entscheidung uicht fördern, sondern nur stören.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/343>, abgerufen am 23.05.2024.