Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Leichtsinn emancipirtes Weib, und Graf Corfik Ulfeld, Neichshofmeister
des König Friedrich III. von Dänemark. Sie haben einmal, ohne einander
zu kennen, ein platonisches Liebesverhältniß unterhalten; erst später erfährt Dina,
daß sie es mit einem verheirateten Manne zu thun gehabt hat. Eines Tages
beschließt sie, ihn zu besuchen, halb ans alter Anhänglichkeit, halb um ihn^ zu
necken. Er erklärt ihr, daß er jetzt seiner Frau treu ergeben ist. Sie ist darüber
doch etwas pikirt. Die Dazwischenkamst der Gräfin Ulfeld unterbricht die Unter¬
redung. Sie trägt eine Giftflasche in der Hand, und sagt zu ihrem Mann,
ohne Dina zu bemerken: Ich bin noch immer in Schreck über Deine Aeußerung;
Du wolltest deu König vergiften; ich möchte am liebsten die Flasche vergraben. Dina
hörte es, und entfernt sich erschreckt, ihn anzugeben, nicht ans Nachsucht, sie warnt ihn
vielmehr und fordert ihn auf, zu fliehen, sondern aus Loyalität, deu Königs¬
mord zu verhindern. -- Ulfeld schwört vor Gericht seine Aeußerung ab, und
Dina soll nun, da auf eine solche Verleumdung die Todesstrafe steht, hingerich¬
tet werden, Ulfeld will sie retten: er erklärt ihr, sein Schwur sei eigentlich nicht
falsch gewesen, er habe jene Aeußerung zwar gethan, aber im Fiebcrwahnsinn,
ohne sie irgeud ernst zu nehmen; jeues Giftfläschchen sei dnrch einen Doctor der
Medicin aus Versehen bei ihm stehen geblieben; er bietet ihr darauf den Weg
zur Flucht, ein edler Oberst, der sie schon lange liebt, will sie heirathen, aber
sie verschmäht die Rettung.


-- Wozu soll ich
Noch leben! Meine Blau' sie ist zertreten,
Die Liebe, die ich trug zu Dir, so siindlich
Sie auch gewesen ist, war nieine Blüthe!
Sie ist dahin, nun bin ich gar nichts mehr.
Ich will mit prahlerischer Worten nicht
Das Laster schminken, während ich es beichte;
Ich überschritt die Schranken der Natur
Und phantasirte mich in einen Traum
Hinein, der nimmermehr dem Weibe ziemt.

So wird sie wirklich hingerichtet, und Ulfeld entfernt sich mit Kummer, um
seinen abenteuerlichen Lauf im Ausland weiter zu verfolgen. -- Es ist in diesem
Stück wirklich eine Art dramatische Spannung, und zugleich der ernste Versuch, die¬
selbe in die psychologische Entwickelung zweier bedeutender Menschen zu verlegen.
Allein Beides wird systematisch versteckt: das Erste dnrch Einmischung einer Menge
von Lustspielftgureu, die sich um einen der beiden Haupthelden gruppiren, die
zum Theil, nach englischer Manier, sehr charakteristisch ausgemalt siud, die aber
eben ihrer Breite wegen den Blick verwirren, so daß man von dem tragischen
Ausgang vollständig überrascht wird; das Zweite durch die gewaltsamen Sprünge
in der Seele, die wie Capricen auf einander folgen, nicht aus einem sittlichen
Gesetz sich entwickeln. So kann man dem Stück das Prädicat: interessant, aber
nicht befriedigend beilegen. --


und Leichtsinn emancipirtes Weib, und Graf Corfik Ulfeld, Neichshofmeister
des König Friedrich III. von Dänemark. Sie haben einmal, ohne einander
zu kennen, ein platonisches Liebesverhältniß unterhalten; erst später erfährt Dina,
daß sie es mit einem verheirateten Manne zu thun gehabt hat. Eines Tages
beschließt sie, ihn zu besuchen, halb ans alter Anhänglichkeit, halb um ihn^ zu
necken. Er erklärt ihr, daß er jetzt seiner Frau treu ergeben ist. Sie ist darüber
doch etwas pikirt. Die Dazwischenkamst der Gräfin Ulfeld unterbricht die Unter¬
redung. Sie trägt eine Giftflasche in der Hand, und sagt zu ihrem Mann,
ohne Dina zu bemerken: Ich bin noch immer in Schreck über Deine Aeußerung;
Du wolltest deu König vergiften; ich möchte am liebsten die Flasche vergraben. Dina
hörte es, und entfernt sich erschreckt, ihn anzugeben, nicht ans Nachsucht, sie warnt ihn
vielmehr und fordert ihn auf, zu fliehen, sondern aus Loyalität, deu Königs¬
mord zu verhindern. — Ulfeld schwört vor Gericht seine Aeußerung ab, und
Dina soll nun, da auf eine solche Verleumdung die Todesstrafe steht, hingerich¬
tet werden, Ulfeld will sie retten: er erklärt ihr, sein Schwur sei eigentlich nicht
falsch gewesen, er habe jene Aeußerung zwar gethan, aber im Fiebcrwahnsinn,
ohne sie irgeud ernst zu nehmen; jeues Giftfläschchen sei dnrch einen Doctor der
Medicin aus Versehen bei ihm stehen geblieben; er bietet ihr darauf den Weg
zur Flucht, ein edler Oberst, der sie schon lange liebt, will sie heirathen, aber
sie verschmäht die Rettung.


— Wozu soll ich
Noch leben! Meine Blau' sie ist zertreten,
Die Liebe, die ich trug zu Dir, so siindlich
Sie auch gewesen ist, war nieine Blüthe!
Sie ist dahin, nun bin ich gar nichts mehr.
Ich will mit prahlerischer Worten nicht
Das Laster schminken, während ich es beichte;
Ich überschritt die Schranken der Natur
Und phantasirte mich in einen Traum
Hinein, der nimmermehr dem Weibe ziemt.

So wird sie wirklich hingerichtet, und Ulfeld entfernt sich mit Kummer, um
seinen abenteuerlichen Lauf im Ausland weiter zu verfolgen. — Es ist in diesem
Stück wirklich eine Art dramatische Spannung, und zugleich der ernste Versuch, die¬
selbe in die psychologische Entwickelung zweier bedeutender Menschen zu verlegen.
Allein Beides wird systematisch versteckt: das Erste dnrch Einmischung einer Menge
von Lustspielftgureu, die sich um einen der beiden Haupthelden gruppiren, die
zum Theil, nach englischer Manier, sehr charakteristisch ausgemalt siud, die aber
eben ihrer Breite wegen den Blick verwirren, so daß man von dem tragischen
Ausgang vollständig überrascht wird; das Zweite durch die gewaltsamen Sprünge
in der Seele, die wie Capricen auf einander folgen, nicht aus einem sittlichen
Gesetz sich entwickeln. So kann man dem Stück das Prädicat: interessant, aber
nicht befriedigend beilegen. —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0078" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92367"/>
          <p xml:id="ID_238" prev="#ID_237"> und Leichtsinn emancipirtes Weib, und Graf Corfik Ulfeld, Neichshofmeister<lb/>
des König Friedrich III. von Dänemark. Sie haben einmal, ohne einander<lb/>
zu kennen, ein platonisches Liebesverhältniß unterhalten; erst später erfährt Dina,<lb/>
daß sie es mit einem verheirateten Manne zu thun gehabt hat. Eines Tages<lb/>
beschließt sie, ihn zu besuchen, halb ans alter Anhänglichkeit, halb um ihn^ zu<lb/>
necken. Er erklärt ihr, daß er jetzt seiner Frau treu ergeben ist. Sie ist darüber<lb/>
doch etwas pikirt. Die Dazwischenkamst der Gräfin Ulfeld unterbricht die Unter¬<lb/>
redung. Sie trägt eine Giftflasche in der Hand, und sagt zu ihrem Mann,<lb/>
ohne Dina zu bemerken: Ich bin noch immer in Schreck über Deine Aeußerung;<lb/>
Du wolltest deu König vergiften; ich möchte am liebsten die Flasche vergraben. Dina<lb/>
hörte es, und entfernt sich erschreckt, ihn anzugeben, nicht ans Nachsucht, sie warnt ihn<lb/>
vielmehr und fordert ihn auf, zu fliehen, sondern aus Loyalität, deu Königs¬<lb/>
mord zu verhindern. &#x2014; Ulfeld schwört vor Gericht seine Aeußerung ab, und<lb/>
Dina soll nun, da auf eine solche Verleumdung die Todesstrafe steht, hingerich¬<lb/>
tet werden, Ulfeld will sie retten: er erklärt ihr, sein Schwur sei eigentlich nicht<lb/>
falsch gewesen, er habe jene Aeußerung zwar gethan, aber im Fiebcrwahnsinn,<lb/>
ohne sie irgeud ernst zu nehmen; jeues Giftfläschchen sei dnrch einen Doctor der<lb/>
Medicin aus Versehen bei ihm stehen geblieben; er bietet ihr darauf den Weg<lb/>
zur Flucht, ein edler Oberst, der sie schon lange liebt, will sie heirathen, aber<lb/>
sie verschmäht die Rettung.</p><lb/>
          <quote>
            <lg xml:id="POEMID_8" type="poem">
              <l> &#x2014; Wozu soll ich<lb/>
Noch leben! Meine Blau' sie ist zertreten,<lb/>
Die Liebe, die ich trug zu Dir, so siindlich<lb/>
Sie auch gewesen ist, war nieine Blüthe!<lb/>
Sie ist dahin, nun bin ich gar nichts mehr.<lb/>
Ich will mit prahlerischer Worten nicht<lb/>
Das Laster schminken, während ich es beichte;<lb/>
Ich überschritt die Schranken der Natur<lb/>
Und phantasirte mich in einen Traum<lb/>
Hinein, der nimmermehr dem Weibe ziemt.</l>
            </lg>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_239"> So wird sie wirklich hingerichtet, und Ulfeld entfernt sich mit Kummer, um<lb/>
seinen abenteuerlichen Lauf im Ausland weiter zu verfolgen. &#x2014; Es ist in diesem<lb/>
Stück wirklich eine Art dramatische Spannung, und zugleich der ernste Versuch, die¬<lb/>
selbe in die psychologische Entwickelung zweier bedeutender Menschen zu verlegen.<lb/>
Allein Beides wird systematisch versteckt: das Erste dnrch Einmischung einer Menge<lb/>
von Lustspielftgureu, die sich um einen der beiden Haupthelden gruppiren, die<lb/>
zum Theil, nach englischer Manier, sehr charakteristisch ausgemalt siud, die aber<lb/>
eben ihrer Breite wegen den Blick verwirren, so daß man von dem tragischen<lb/>
Ausgang vollständig überrascht wird; das Zweite durch die gewaltsamen Sprünge<lb/>
in der Seele, die wie Capricen auf einander folgen, nicht aus einem sittlichen<lb/>
Gesetz sich entwickeln. So kann man dem Stück das Prädicat: interessant, aber<lb/>
nicht befriedigend beilegen. &#x2014;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0078] und Leichtsinn emancipirtes Weib, und Graf Corfik Ulfeld, Neichshofmeister des König Friedrich III. von Dänemark. Sie haben einmal, ohne einander zu kennen, ein platonisches Liebesverhältniß unterhalten; erst später erfährt Dina, daß sie es mit einem verheirateten Manne zu thun gehabt hat. Eines Tages beschließt sie, ihn zu besuchen, halb ans alter Anhänglichkeit, halb um ihn^ zu necken. Er erklärt ihr, daß er jetzt seiner Frau treu ergeben ist. Sie ist darüber doch etwas pikirt. Die Dazwischenkamst der Gräfin Ulfeld unterbricht die Unter¬ redung. Sie trägt eine Giftflasche in der Hand, und sagt zu ihrem Mann, ohne Dina zu bemerken: Ich bin noch immer in Schreck über Deine Aeußerung; Du wolltest deu König vergiften; ich möchte am liebsten die Flasche vergraben. Dina hörte es, und entfernt sich erschreckt, ihn anzugeben, nicht ans Nachsucht, sie warnt ihn vielmehr und fordert ihn auf, zu fliehen, sondern aus Loyalität, deu Königs¬ mord zu verhindern. — Ulfeld schwört vor Gericht seine Aeußerung ab, und Dina soll nun, da auf eine solche Verleumdung die Todesstrafe steht, hingerich¬ tet werden, Ulfeld will sie retten: er erklärt ihr, sein Schwur sei eigentlich nicht falsch gewesen, er habe jene Aeußerung zwar gethan, aber im Fiebcrwahnsinn, ohne sie irgeud ernst zu nehmen; jeues Giftfläschchen sei dnrch einen Doctor der Medicin aus Versehen bei ihm stehen geblieben; er bietet ihr darauf den Weg zur Flucht, ein edler Oberst, der sie schon lange liebt, will sie heirathen, aber sie verschmäht die Rettung. — Wozu soll ich Noch leben! Meine Blau' sie ist zertreten, Die Liebe, die ich trug zu Dir, so siindlich Sie auch gewesen ist, war nieine Blüthe! Sie ist dahin, nun bin ich gar nichts mehr. Ich will mit prahlerischer Worten nicht Das Laster schminken, während ich es beichte; Ich überschritt die Schranken der Natur Und phantasirte mich in einen Traum Hinein, der nimmermehr dem Weibe ziemt. So wird sie wirklich hingerichtet, und Ulfeld entfernt sich mit Kummer, um seinen abenteuerlichen Lauf im Ausland weiter zu verfolgen. — Es ist in diesem Stück wirklich eine Art dramatische Spannung, und zugleich der ernste Versuch, die¬ selbe in die psychologische Entwickelung zweier bedeutender Menschen zu verlegen. Allein Beides wird systematisch versteckt: das Erste dnrch Einmischung einer Menge von Lustspielftgureu, die sich um einen der beiden Haupthelden gruppiren, die zum Theil, nach englischer Manier, sehr charakteristisch ausgemalt siud, die aber eben ihrer Breite wegen den Blick verwirren, so daß man von dem tragischen Ausgang vollständig überrascht wird; das Zweite durch die gewaltsamen Sprünge in der Seele, die wie Capricen auf einander folgen, nicht aus einem sittlichen Gesetz sich entwickeln. So kann man dem Stück das Prädicat: interessant, aber nicht befriedigend beilegen. —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/78
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/78>, abgerufen am 22.05.2024.