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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Immermann in seinem Münchhausen zu vereinigen trachtete: die mit dem Firniß
einer falschen Bildung überkleidete Lüge, und der kräftige Naturwuchs, dessen
Säfte dnrch die Schmarotzerpflanzen der Reflexion noch nicht ausgesogen sind. --
Jeremias ist nicht nnr ein echter Dichter, der ursprüngliche, concrete, wahrhaft
lebendige Gestalten zu zeichnen und in Bewegung zu setzen versteht, sondern er
selber, wie er hinter seinen Schöpfungen schelmisch, hervorlauscht, ist eine jener
ursprünglichen Naturen, die so irrationell als möglich, hart, rauh, eckig, und nichts
weniger als empfindsam, nichts weniger als bequem zum Umgang sind. Am aller¬
wenigsten darf man philosophische Konsequenz bei ihm suchen. Als tüchtiger
Pastor, der seine Angelegenheiten ans Erden zu seinem Frommen und zum Wohl
seiner Mitmenschen zu besorgen versteht, aufgewachsen in den Bildern seiner Re¬
ligion, der er uur die plastisch-poetischen Seiten abgewonnen hat, inmitten zäher,
halsstarriger, eigennütziger, aber kerngesunder Bauern, denen man derb entgegen¬
treten muß, wenn man sie leiten will, ist er entschieden conservativer Gesinnung
und ein Todfeind alles Radikalismus; er grübelt uicht viel darüber nach, wie es
im Himmel aussieht, er zerfließt nicht in Thränen der Rene, verdreht nicht die
Angen in brünstigem Gebet, aber es wurmt ihn, wenn so ein Lump von Schul¬
meister vou Heute und Gestern über seinen Herrgott die Nase rümpfen will, der
es nun schou seit so vielen Jahrhunderten mit den Eidgenossen so wohl gemeint
hat, und er würde uicht abgeneigt sein, das Vi8eil6 .in8lito,in inonM et non tem-
nei-e vivos mit einem derben Prügel ans den Rücken der Ungläubigen zu blauen,
obgleich der nämliche Ungläubige, wenn er in ernste Noth geriethe, keinen hilf¬
reichern Freund finden könnte. Er brummt höchst bedenklich über den Atheismus
dieser Zeit, die uicht mehr an den Teufel glaubt, aber er würde jeden leibhaftigen
Teufel, der ihm zu begegnen wagt, augenblicklich mit der Heugabel an die Iden¬
tität des Geistes und des Fleisches zu erinnern wissen. Was sind das für köstliche
Figuren, deuen wir in dieser engen, nicht gemüthlichen, aber tüchtigen Welt begeg¬
nen! Bursche, die, wenn sie in der Leidenschaft etwas recht Schlechtes gethan haben,
aus versetzter Scham deu ersten Besten prügeln, den sie nicht leiden-können,
die Händel anfangen, wie Mercutio, wo sie es am wenigsten nöthig hätten, die
hochmüthig mit dem Geld in ihren Taschen klimpern, tyrannisiren, was von ihnen
abhängig ist, und denen dabei doch das Herz auf dem rechten Flecke sitzt, und die
sich, wenn der Augenblick kommt, unfehlbar bewähren werden. Keine Engel, keine
Teufel, aber Menschen von dem allerrealsten Fleisch und Blut, mit denen sich
leben läßt, und über die mau sich freuen kaun. Und das Ganze in dem engen
Nahmen einer Käserei eingespannt, von deren Gründung bis zu ihrer ersten Aus¬
beute, gerade wie -- man thue nicht spröde gegen den Vergleich -- die Her¬
zensgeschichte der Wahlverwandtschaften in den Nahmen einer Parkanlage. Denn
eine Herzcnsgeschichte ist auch hier der Hauptinhalt, und es ist eine Freude, zu
verfolgen, wie der ausgeprägteste, beinahe spitzbübische Egoismus, eine wahrhaft


Immermann in seinem Münchhausen zu vereinigen trachtete: die mit dem Firniß
einer falschen Bildung überkleidete Lüge, und der kräftige Naturwuchs, dessen
Säfte dnrch die Schmarotzerpflanzen der Reflexion noch nicht ausgesogen sind. —
Jeremias ist nicht nnr ein echter Dichter, der ursprüngliche, concrete, wahrhaft
lebendige Gestalten zu zeichnen und in Bewegung zu setzen versteht, sondern er
selber, wie er hinter seinen Schöpfungen schelmisch, hervorlauscht, ist eine jener
ursprünglichen Naturen, die so irrationell als möglich, hart, rauh, eckig, und nichts
weniger als empfindsam, nichts weniger als bequem zum Umgang sind. Am aller¬
wenigsten darf man philosophische Konsequenz bei ihm suchen. Als tüchtiger
Pastor, der seine Angelegenheiten ans Erden zu seinem Frommen und zum Wohl
seiner Mitmenschen zu besorgen versteht, aufgewachsen in den Bildern seiner Re¬
ligion, der er uur die plastisch-poetischen Seiten abgewonnen hat, inmitten zäher,
halsstarriger, eigennütziger, aber kerngesunder Bauern, denen man derb entgegen¬
treten muß, wenn man sie leiten will, ist er entschieden conservativer Gesinnung
und ein Todfeind alles Radikalismus; er grübelt uicht viel darüber nach, wie es
im Himmel aussieht, er zerfließt nicht in Thränen der Rene, verdreht nicht die
Angen in brünstigem Gebet, aber es wurmt ihn, wenn so ein Lump von Schul¬
meister vou Heute und Gestern über seinen Herrgott die Nase rümpfen will, der
es nun schou seit so vielen Jahrhunderten mit den Eidgenossen so wohl gemeint
hat, und er würde uicht abgeneigt sein, das Vi8eil6 .in8lito,in inonM et non tem-
nei-e vivos mit einem derben Prügel ans den Rücken der Ungläubigen zu blauen,
obgleich der nämliche Ungläubige, wenn er in ernste Noth geriethe, keinen hilf¬
reichern Freund finden könnte. Er brummt höchst bedenklich über den Atheismus
dieser Zeit, die uicht mehr an den Teufel glaubt, aber er würde jeden leibhaftigen
Teufel, der ihm zu begegnen wagt, augenblicklich mit der Heugabel an die Iden¬
tität des Geistes und des Fleisches zu erinnern wissen. Was sind das für köstliche
Figuren, deuen wir in dieser engen, nicht gemüthlichen, aber tüchtigen Welt begeg¬
nen! Bursche, die, wenn sie in der Leidenschaft etwas recht Schlechtes gethan haben,
aus versetzter Scham deu ersten Besten prügeln, den sie nicht leiden-können,
die Händel anfangen, wie Mercutio, wo sie es am wenigsten nöthig hätten, die
hochmüthig mit dem Geld in ihren Taschen klimpern, tyrannisiren, was von ihnen
abhängig ist, und denen dabei doch das Herz auf dem rechten Flecke sitzt, und die
sich, wenn der Augenblick kommt, unfehlbar bewähren werden. Keine Engel, keine
Teufel, aber Menschen von dem allerrealsten Fleisch und Blut, mit denen sich
leben läßt, und über die mau sich freuen kaun. Und das Ganze in dem engen
Nahmen einer Käserei eingespannt, von deren Gründung bis zu ihrer ersten Aus¬
beute, gerade wie — man thue nicht spröde gegen den Vergleich — die Her¬
zensgeschichte der Wahlverwandtschaften in den Nahmen einer Parkanlage. Denn
eine Herzcnsgeschichte ist auch hier der Hauptinhalt, und es ist eine Freude, zu
verfolgen, wie der ausgeprägteste, beinahe spitzbübische Egoismus, eine wahrhaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/94>, abgerufen am 15.06.2024.