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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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knöcherne, bäurische Convenienz, wie Rohheit und Trotz, mit andern Worten, wie
eine kräftige, harte Natur in keiner Weise unverträglich ist mit den schonen, war¬
men Empfindungen der Liebe, mit den Aufopferungen eines rechtschaffenen Herzens.
-- Wie ich schon einmal sagte, der Pastor Gotthelf tauft seinen Gott anders,
als wir, aber mit diesem Gott können wir schon allskommen. --

Noch auf Eines muß ich aufmerksam mandelt bei diesen lebendigen Schil-
derungen aus dem Schweizer Volksleben. Mit Recht legt matt bellte, nachdem
die durch den französischen Convent hervorgerufenen trüben und blutigen Bilder
eiuer ceutralisirendeu Republik überwunden sind, den vorzüglichsten Nachdruck auf
die Selbstregierung der Gemeinden. Und da wir trotz des augenblicklichen Drucks,
den die von der Reaction des Volksgeistes getragene Fürstenmacht auf uns aus¬
übt, in der That auf dieses Ziel lossteuern, so wird es gut sein, wenn wir uus
so früh als möglich voll eiuer solchen Autonomie concrete Vorstellungen machen,
um nicht wieder in nebelhafte Ideale zu verfallen und dann bitter enttäuscht zu
werden. Durch das Selfgovernment wird die Geiueiude nicht sogleich tugend-
hafter, die Vorurtheile werdeu uicht sogleich gehoben, die Freiheit und Gleichheit
der Einzelnen nicht augenblicklich sicher gestellt. Im Gegentheil. Die Selbstsucht
tritt freier hervor, und mit ihr die gegenseitige Überwachung des Einen durch
den Andern, die Herrschaft der öffentlichen Meinung, d. h. des Vorurtheils, das
Uebergewicht des Interesse über die Empfindungen, Sentimentalität findet in einer
wirklichen Republik keine Statt. Damit soll uicht etwas Abschreckendes gesagt
werden, im Gegentheil. Nur die comlmmistischcu Träumer mögen sich nicht mit
republikanischen Ideen befassen, an die Realisirung ihres Völkerglückö dürfen sie
viel eher in dem absoluten Polizeistaat denken, als in einem Verein freier Männer,
wo Jeder zunächst für sich wirkt und schafft. -- Ein interessanter Vergleich bietet
sich ferner zwischen den Eidgenossen und deu Nordamerikanern, so Manches auch
durch die republikanische Verfassung bei ihnen gemein ist. Die Schweizer sind
wesentlich conservativ, zäh, argwöhnisch gegen jede Neuerung; die Amerikaner un¬
ruhig strebsam, in dem Erworbenen nie zu Hause, von einem innern Drange in's
Ferne lind Unbekannte getrieben. Die eidgenössische Republik ist der allerdings
sehr anerkennenswerthe Nest eines absterbenden Zeitalters; die transatlantische Re¬
publik der Keim eines neuen, von dem wir noch kein rechtes Bild haben. -- Wir
gehen zu dem drittel! Dichter über.

Heinrich König ist in seiner Form wie in seinem Inhalt ein Gegensatz
zu dieser Natnrwüchsigkeit; er ist ein gelernter Dichter mit jener Bildung der
Reflexion, wie sie auch Gutzkow charakterisirt, aber er gehört doch in eine wesentlich
andere Classe. Er fällt noch ganz in die Schule der Restauration, der spätern
Goethe'schenZeit, und möchte am nächsten mit Leopold Schefer verwandt sein, von
dem ich in früherer Zeit ein Portrait gegeben habe. -- Die Schule charakterisirt
sich durch sehr stille, saubere, zierliche Zeichnung, durch einen so zu sagen vor-


knöcherne, bäurische Convenienz, wie Rohheit und Trotz, mit andern Worten, wie
eine kräftige, harte Natur in keiner Weise unverträglich ist mit den schonen, war¬
men Empfindungen der Liebe, mit den Aufopferungen eines rechtschaffenen Herzens.
— Wie ich schon einmal sagte, der Pastor Gotthelf tauft seinen Gott anders,
als wir, aber mit diesem Gott können wir schon allskommen. —

Noch auf Eines muß ich aufmerksam mandelt bei diesen lebendigen Schil-
derungen aus dem Schweizer Volksleben. Mit Recht legt matt bellte, nachdem
die durch den französischen Convent hervorgerufenen trüben und blutigen Bilder
eiuer ceutralisirendeu Republik überwunden sind, den vorzüglichsten Nachdruck auf
die Selbstregierung der Gemeinden. Und da wir trotz des augenblicklichen Drucks,
den die von der Reaction des Volksgeistes getragene Fürstenmacht auf uns aus¬
übt, in der That auf dieses Ziel lossteuern, so wird es gut sein, wenn wir uus
so früh als möglich voll eiuer solchen Autonomie concrete Vorstellungen machen,
um nicht wieder in nebelhafte Ideale zu verfallen und dann bitter enttäuscht zu
werden. Durch das Selfgovernment wird die Geiueiude nicht sogleich tugend-
hafter, die Vorurtheile werdeu uicht sogleich gehoben, die Freiheit und Gleichheit
der Einzelnen nicht augenblicklich sicher gestellt. Im Gegentheil. Die Selbstsucht
tritt freier hervor, und mit ihr die gegenseitige Überwachung des Einen durch
den Andern, die Herrschaft der öffentlichen Meinung, d. h. des Vorurtheils, das
Uebergewicht des Interesse über die Empfindungen, Sentimentalität findet in einer
wirklichen Republik keine Statt. Damit soll uicht etwas Abschreckendes gesagt
werden, im Gegentheil. Nur die comlmmistischcu Träumer mögen sich nicht mit
republikanischen Ideen befassen, an die Realisirung ihres Völkerglückö dürfen sie
viel eher in dem absoluten Polizeistaat denken, als in einem Verein freier Männer,
wo Jeder zunächst für sich wirkt und schafft. — Ein interessanter Vergleich bietet
sich ferner zwischen den Eidgenossen und deu Nordamerikanern, so Manches auch
durch die republikanische Verfassung bei ihnen gemein ist. Die Schweizer sind
wesentlich conservativ, zäh, argwöhnisch gegen jede Neuerung; die Amerikaner un¬
ruhig strebsam, in dem Erworbenen nie zu Hause, von einem innern Drange in's
Ferne lind Unbekannte getrieben. Die eidgenössische Republik ist der allerdings
sehr anerkennenswerthe Nest eines absterbenden Zeitalters; die transatlantische Re¬
publik der Keim eines neuen, von dem wir noch kein rechtes Bild haben. — Wir
gehen zu dem drittel! Dichter über.

Heinrich König ist in seiner Form wie in seinem Inhalt ein Gegensatz
zu dieser Natnrwüchsigkeit; er ist ein gelernter Dichter mit jener Bildung der
Reflexion, wie sie auch Gutzkow charakterisirt, aber er gehört doch in eine wesentlich
andere Classe. Er fällt noch ganz in die Schule der Restauration, der spätern
Goethe'schenZeit, und möchte am nächsten mit Leopold Schefer verwandt sein, von
dem ich in früherer Zeit ein Portrait gegeben habe. — Die Schule charakterisirt
sich durch sehr stille, saubere, zierliche Zeichnung, durch einen so zu sagen vor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/95>, abgerufen am 22.05.2024.