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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Und wer die Geschichte dieses Stammes, seit derselbe am Fuße des Feuer¬
berges auf dem unaufhörlich bedrohten Throne sitzt, nur Halbweg kennt, dem wird
diese Stimmung kein Räthsel bleiben.

. Karl Hi. eroberte dieses Land und das Reich, welches sich ihm, wie schon
so vielen andern vor ihm, fast ohne Schwertstreich ergab. Der häufige Wechsel
der Herren hatte dieses Volk gleichgiltig gegen Alle gemacht -- viele hatten bei
der kurzen Dauer ihrer Herrschaft nur Zeit gefunden, neue Lasten zu erfinden,
die der Nachfolgende bei der Besitzergreifung zwar abzuschaffen versprach, es aber
trotz des Versprechens stehen ließ und der guten Gewohnheit halber -- andere
neue Lasten den alten beigesellte, für kurze Zeit nur und ausnahmsweise. Dann
wurde wieder versprochen, allein es blieben die alten, die neuern und die ganz neuen,
und da es Niemand wagen durfte, an das Versprechen zu erinnern, so glaubte
man sich zuletzt Alles erlauben zu dürfen. -- So fand Karl das Land, seine neue
Erwerbung -- in ihm erhielt das Volk endlich nach Jahrhunderten wieder einen
eignen König und durste sich der Hoffnung hingeben, dem Mißbrauch der Gewalt
durch die frühern Proconsnln gesteuert zu sehen und das Ergebniß des Schweißes
der hartbedrückteu Unterthanen, welches nicht mehr in den Schatz des Eskurials
floß, im Lande selbst verwendet, durch tausend Kanäle der ersten Quelle wieder
zufließen zu sehen. Handel und Gewerbe, der hier so reich lohnende Ackerbau
und die das weitgedehnte Küstenland bereichernde Schifffahrt, diese Quellen also
unendlichen Reichthums, durch spanische Eifersucht vernachläßigt oder abgeleitet,
sollten nnn unter dem eigenen, dabei am meisten betheiligten Fürsten wieder neu
aufleben und allgemeinen Wohlstand verbreiten. Karl kam in ein Land, das ohne
Pflege, seinen Beherrschern seit langer Zeit brach liegend, geeignet war, eine wohl¬
gemeinte Aussaat an Verbesserungen aufzunehmen. Er aber that Nichts von alle-
dem. Doch ja, er verschönerte die Hauptstadt und setzte durch prachtvolle Bauten,
in welchen er gern die Versailler Schöpfung seines Uhus nachzuahmen trachtete,
z. B. durch das seinen Namen tragende unvergleichliche Opernhaus, die mitgebrach¬
ten Schätze in der Residenz und ihrer nächsten Umgebung in Umlauf. Man weiß,
wie er bei dem wundervollen Anblick des Salons überrascht, den ausgezeichneten
Baumeister vor dem staunenden Hofe umarmte und denselben am folgenden Tag,
weil er über einige nicht sehr bedeutende, in der Eile verwendete Summen nicht
genügende Rechnung zu geben vermochte, in's Gefängniß werfen und darin ver¬
derben ließ. -- Neapel sah dann des Künstlers Kinder am Eingange des Hauses,
vor dem Denkmal des unsterblichen Vaters -- betteln. -- Aber die Regierung
nahm sich auch des Handels an und des Ackerbaues: der Seidenbau, diese unde/


Und wer die Geschichte dieses Stammes, seit derselbe am Fuße des Feuer¬
berges auf dem unaufhörlich bedrohten Throne sitzt, nur Halbweg kennt, dem wird
diese Stimmung kein Räthsel bleiben.

. Karl Hi. eroberte dieses Land und das Reich, welches sich ihm, wie schon
so vielen andern vor ihm, fast ohne Schwertstreich ergab. Der häufige Wechsel
der Herren hatte dieses Volk gleichgiltig gegen Alle gemacht — viele hatten bei
der kurzen Dauer ihrer Herrschaft nur Zeit gefunden, neue Lasten zu erfinden,
die der Nachfolgende bei der Besitzergreifung zwar abzuschaffen versprach, es aber
trotz des Versprechens stehen ließ und der guten Gewohnheit halber — andere
neue Lasten den alten beigesellte, für kurze Zeit nur und ausnahmsweise. Dann
wurde wieder versprochen, allein es blieben die alten, die neuern und die ganz neuen,
und da es Niemand wagen durfte, an das Versprechen zu erinnern, so glaubte
man sich zuletzt Alles erlauben zu dürfen. — So fand Karl das Land, seine neue
Erwerbung — in ihm erhielt das Volk endlich nach Jahrhunderten wieder einen
eignen König und durste sich der Hoffnung hingeben, dem Mißbrauch der Gewalt
durch die frühern Proconsnln gesteuert zu sehen und das Ergebniß des Schweißes
der hartbedrückteu Unterthanen, welches nicht mehr in den Schatz des Eskurials
floß, im Lande selbst verwendet, durch tausend Kanäle der ersten Quelle wieder
zufließen zu sehen. Handel und Gewerbe, der hier so reich lohnende Ackerbau
und die das weitgedehnte Küstenland bereichernde Schifffahrt, diese Quellen also
unendlichen Reichthums, durch spanische Eifersucht vernachläßigt oder abgeleitet,
sollten nnn unter dem eigenen, dabei am meisten betheiligten Fürsten wieder neu
aufleben und allgemeinen Wohlstand verbreiten. Karl kam in ein Land, das ohne
Pflege, seinen Beherrschern seit langer Zeit brach liegend, geeignet war, eine wohl¬
gemeinte Aussaat an Verbesserungen aufzunehmen. Er aber that Nichts von alle-
dem. Doch ja, er verschönerte die Hauptstadt und setzte durch prachtvolle Bauten,
in welchen er gern die Versailler Schöpfung seines Uhus nachzuahmen trachtete,
z. B. durch das seinen Namen tragende unvergleichliche Opernhaus, die mitgebrach¬
ten Schätze in der Residenz und ihrer nächsten Umgebung in Umlauf. Man weiß,
wie er bei dem wundervollen Anblick des Salons überrascht, den ausgezeichneten
Baumeister vor dem staunenden Hofe umarmte und denselben am folgenden Tag,
weil er über einige nicht sehr bedeutende, in der Eile verwendete Summen nicht
genügende Rechnung zu geben vermochte, in's Gefängniß werfen und darin ver¬
derben ließ. — Neapel sah dann des Künstlers Kinder am Eingange des Hauses,
vor dem Denkmal des unsterblichen Vaters — betteln. — Aber die Regierung
nahm sich auch des Handels an und des Ackerbaues: der Seidenbau, diese unde/


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[0282] Und wer die Geschichte dieses Stammes, seit derselbe am Fuße des Feuer¬ berges auf dem unaufhörlich bedrohten Throne sitzt, nur Halbweg kennt, dem wird diese Stimmung kein Räthsel bleiben. . Karl Hi. eroberte dieses Land und das Reich, welches sich ihm, wie schon so vielen andern vor ihm, fast ohne Schwertstreich ergab. Der häufige Wechsel der Herren hatte dieses Volk gleichgiltig gegen Alle gemacht — viele hatten bei der kurzen Dauer ihrer Herrschaft nur Zeit gefunden, neue Lasten zu erfinden, die der Nachfolgende bei der Besitzergreifung zwar abzuschaffen versprach, es aber trotz des Versprechens stehen ließ und der guten Gewohnheit halber — andere neue Lasten den alten beigesellte, für kurze Zeit nur und ausnahmsweise. Dann wurde wieder versprochen, allein es blieben die alten, die neuern und die ganz neuen, und da es Niemand wagen durfte, an das Versprechen zu erinnern, so glaubte man sich zuletzt Alles erlauben zu dürfen. — So fand Karl das Land, seine neue Erwerbung — in ihm erhielt das Volk endlich nach Jahrhunderten wieder einen eignen König und durste sich der Hoffnung hingeben, dem Mißbrauch der Gewalt durch die frühern Proconsnln gesteuert zu sehen und das Ergebniß des Schweißes der hartbedrückteu Unterthanen, welches nicht mehr in den Schatz des Eskurials floß, im Lande selbst verwendet, durch tausend Kanäle der ersten Quelle wieder zufließen zu sehen. Handel und Gewerbe, der hier so reich lohnende Ackerbau und die das weitgedehnte Küstenland bereichernde Schifffahrt, diese Quellen also unendlichen Reichthums, durch spanische Eifersucht vernachläßigt oder abgeleitet, sollten nnn unter dem eigenen, dabei am meisten betheiligten Fürsten wieder neu aufleben und allgemeinen Wohlstand verbreiten. Karl kam in ein Land, das ohne Pflege, seinen Beherrschern seit langer Zeit brach liegend, geeignet war, eine wohl¬ gemeinte Aussaat an Verbesserungen aufzunehmen. Er aber that Nichts von alle- dem. Doch ja, er verschönerte die Hauptstadt und setzte durch prachtvolle Bauten, in welchen er gern die Versailler Schöpfung seines Uhus nachzuahmen trachtete, z. B. durch das seinen Namen tragende unvergleichliche Opernhaus, die mitgebrach¬ ten Schätze in der Residenz und ihrer nächsten Umgebung in Umlauf. Man weiß, wie er bei dem wundervollen Anblick des Salons überrascht, den ausgezeichneten Baumeister vor dem staunenden Hofe umarmte und denselben am folgenden Tag, weil er über einige nicht sehr bedeutende, in der Eile verwendete Summen nicht genügende Rechnung zu geben vermochte, in's Gefängniß werfen und darin ver¬ derben ließ. — Neapel sah dann des Künstlers Kinder am Eingange des Hauses, vor dem Denkmal des unsterblichen Vaters — betteln. — Aber die Regierung nahm sich auch des Handels an und des Ackerbaues: der Seidenbau, diese unde/

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/282>, abgerufen am 15.06.2024.