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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Aber eben dieses Stoffes wegen muß man wünschen, daß ein kundiger Griffel
ihn beherrsche und bewältige. Bis jetzt haben kaum die Karrenschieber beim Bau
der Geschichte und der Literatur Sand und Steine zugetragen. Nicht als Com-
dliment für diese Blätter, sondern der Wahrheit gemäß muß man sagen, daß die
Schilderungen aus Ungarn, welche von einem Ungar in den Grenzboten erschie¬
nen, ungeachtet des romantischen Ausschmuckes, das Beste sind, was bisher gedruckt
wurde; sie tragen die Farbe und den Schmuck des magyarischen Bodens, sie sind
wahr. Anderseits begegnet man jedoch so vielen falschen Kossuthnoten, deren
Nachahmung allzuleicht erkannt wird, und für die auch weniger eine Vergütung
der Kritik gestattet werden kann, als für die echten vom öfter. Finanzministeriv.

Mehrere der über Ungarn erschienenen Schriften liegen vor.

Ludwig Kossuth und Ungarns neueste Geschichte. Unter Mit¬
wirkung ungar. und österr. Schriftsteller, herausgegeben von Arthur
Frey, 2 Bde. Manheim 1849.

Eine Kompilation journalistischer Blätter ohne Kenntniß, ohne Geschmack,
ohne Bildung. Weder die mitwirkenden ungarischen, noch die östreichischen
Schriftsteller kennen das Land Ungarn und seine Leute; aber sie haben die über¬
schwenglichen Phrasen der Straßenpolitit dafür desto geläufiger im Munde. Der
erste Satz lautet: "Seit der ersten französischen Revolution war ganz Europa im
tiefe" Schlummer versunken; Blödsinn und Thorheit führten das Scepter, wur¬
den selbst wieder von schlechter Mittelmäßigkeit geleitet und der starre Absolutis¬
mus legte seine Ketten auf deu Nacken der gebeugten Völker." -- In diesem
Leiertvue ist das ganze Werkchen (550 Seiten) gehalten bis auf die zahlreich ein-
geflochtenen Actenstücke, deren Anführung das Nützlichste wäre, wenn irgend eine
Ordnung im Citiren herrschen würde. Die Verfasser fügten diese Blätter ein,
wie sie ihnen gerade in die Hand fielen; bald der Bericht über eine Sitzung des
Reichstags in Pesth, bald ein kaiserliches Rescript. Die Wiener Journale standen
jedoch den Kompilatoren sichtlich leichter zu Gebote als die Pesther, und die ma¬
gyarischen Zeitungen waren ihnen schon dem Idiom nach fremd. In einem Buche,
das den Namen Kossuth's aus dem Titel führt, sollte man doch mindestens eine
biographische Auskunft über diesen Maun finden; jedoch der Verfasser und seine Helfer
wissen nicht einmal, wo Kossuth geboren ist, und lassen seine Eltern dürftig sein,
die sich mit der Hände Arbeit den Lebensunterhalt verschaffen. Kossuth's Vater
war Herrschastsfiscal (Rechtsanwalt) bei Baron Vecsey in Bedray-Szerdahely
im Zempliner Comitat. So wenig wie über die Kindheit Kossuth's, weiß Meister
Frey über seine Jugend und sein erstes Auftreten im politischen Leben, und des¬
halb endigt bereits aus der 9. Seite seine Biographie, die auf der 7. begann,
und nach einigen Citaten der Reden in Preßburg, ist bereits aus der 50 Seite
Kossuth Finanzminister, und Seite 66 ist das Manifest gedruckt, wodurch Jellachich
seiner Würde entsetzt wird. In solchem Sturmschritt geht es weiter. Blos mehrere


Aber eben dieses Stoffes wegen muß man wünschen, daß ein kundiger Griffel
ihn beherrsche und bewältige. Bis jetzt haben kaum die Karrenschieber beim Bau
der Geschichte und der Literatur Sand und Steine zugetragen. Nicht als Com-
dliment für diese Blätter, sondern der Wahrheit gemäß muß man sagen, daß die
Schilderungen aus Ungarn, welche von einem Ungar in den Grenzboten erschie¬
nen, ungeachtet des romantischen Ausschmuckes, das Beste sind, was bisher gedruckt
wurde; sie tragen die Farbe und den Schmuck des magyarischen Bodens, sie sind
wahr. Anderseits begegnet man jedoch so vielen falschen Kossuthnoten, deren
Nachahmung allzuleicht erkannt wird, und für die auch weniger eine Vergütung
der Kritik gestattet werden kann, als für die echten vom öfter. Finanzministeriv.

Mehrere der über Ungarn erschienenen Schriften liegen vor.

Ludwig Kossuth und Ungarns neueste Geschichte. Unter Mit¬
wirkung ungar. und österr. Schriftsteller, herausgegeben von Arthur
Frey, 2 Bde. Manheim 1849.

Eine Kompilation journalistischer Blätter ohne Kenntniß, ohne Geschmack,
ohne Bildung. Weder die mitwirkenden ungarischen, noch die östreichischen
Schriftsteller kennen das Land Ungarn und seine Leute; aber sie haben die über¬
schwenglichen Phrasen der Straßenpolitit dafür desto geläufiger im Munde. Der
erste Satz lautet: „Seit der ersten französischen Revolution war ganz Europa im
tiefe» Schlummer versunken; Blödsinn und Thorheit führten das Scepter, wur¬
den selbst wieder von schlechter Mittelmäßigkeit geleitet und der starre Absolutis¬
mus legte seine Ketten auf deu Nacken der gebeugten Völker." — In diesem
Leiertvue ist das ganze Werkchen (550 Seiten) gehalten bis auf die zahlreich ein-
geflochtenen Actenstücke, deren Anführung das Nützlichste wäre, wenn irgend eine
Ordnung im Citiren herrschen würde. Die Verfasser fügten diese Blätter ein,
wie sie ihnen gerade in die Hand fielen; bald der Bericht über eine Sitzung des
Reichstags in Pesth, bald ein kaiserliches Rescript. Die Wiener Journale standen
jedoch den Kompilatoren sichtlich leichter zu Gebote als die Pesther, und die ma¬
gyarischen Zeitungen waren ihnen schon dem Idiom nach fremd. In einem Buche,
das den Namen Kossuth's aus dem Titel führt, sollte man doch mindestens eine
biographische Auskunft über diesen Maun finden; jedoch der Verfasser und seine Helfer
wissen nicht einmal, wo Kossuth geboren ist, und lassen seine Eltern dürftig sein,
die sich mit der Hände Arbeit den Lebensunterhalt verschaffen. Kossuth's Vater
war Herrschastsfiscal (Rechtsanwalt) bei Baron Vecsey in Bedray-Szerdahely
im Zempliner Comitat. So wenig wie über die Kindheit Kossuth's, weiß Meister
Frey über seine Jugend und sein erstes Auftreten im politischen Leben, und des¬
halb endigt bereits aus der 9. Seite seine Biographie, die auf der 7. begann,
und nach einigen Citaten der Reden in Preßburg, ist bereits aus der 50 Seite
Kossuth Finanzminister, und Seite 66 ist das Manifest gedruckt, wodurch Jellachich
seiner Würde entsetzt wird. In solchem Sturmschritt geht es weiter. Blos mehrere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/40>, abgerufen am 22.05.2024.