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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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deutsches Wesen, bei dem ich mit staubigen Gamaschen Kaffee trank, zog mich,
als er hörte, daß ich aus Deutschland komme, auf die Seite und gab mir die
entsprechende freundschaftliche Ermahnung: "da Sie Polen noch nicht kennen, so
halte ich es für eine Landsmannspflicht, Ihnen zu sagen, daß es das gefährlichste-
aller Länder sei, und vor allen Dingen Jeder seine Zunge mit wahrer Todesangst
zu bewachen hat -- sprechen Sie ja niemals über den Kaiser, die Kaiserin, ir¬
gend einen Großfürsten, den Statthalter Paskiewitsch, irgend einen General, die
Regierung, ein Amt u. s. w>; oder wenn Sie darüber sprechen, so loben Sie;
unter jeder Bedingung loben Sie, wenn Sie einmal darüber sprechen wollen.
Ueber die polnischen Interessen aber sprechen Sie um Himmelswillen gar nicht,
denn bei denen wird nicht natürlich aufgefaßt, soudern gedeutet. Bei dieser Sache
versteht man auch die "Blumensprache" vor dem Kriminalgericht." Auch dieser
Redliche bekehrte mich nicht. Als ich in Warschau einen Kaufmann, an den ich
empfohlen war, harmlos frug, wie sich in Polen das Volk seit der Revolution
von 1848 unter der russischen Regierung fühle, versetzte er: "Still, still, werther
Freund, über dergleichen befragen Sie mich nie! Meinem Bruder, meinem eigenen
Weibe würde ich keine Antwort darauf geben. Wir leben hier nicht in Deutsch¬
land." --

Diese vier Warnungen des Schicksals, die mir auf dem Wege von Kalisch
nach Warschau zu Theil wurden, machten mich doch bedenklich, ich versuchte sehr
vorsichtig zu sein und kam richtig trotz kleiner Polizeianfechtungeu mit Hilfe eini¬
ger Rubel und meines Passes bis in die Nähe von Moskau. Was ich während
meines Aufenthaltes in Rußland von Bemerkungen über die Polizei der außerpol¬
nischen Länder machte, sei den frühern Bemerkungen Ihres Blattes bescheiden zu¬
gefügt. --

Das System der russischen Regierung, welches dem Volke die Ehre erweist,
dasselbe als eine Gegenmacht, ein feindseliges und gewissermaßen teuflisches Wesen
zu betrachten, hat auch außerhalb Polens geheime Wachtaustalten nöthig gemacht,
welche desto mehr an Ausdehnung, Verbindung und Organisation zunahmen, je
wehr die Befürchtung der Regierung, daß ^ihr System vom Volke gemißbilligt
werde, durch Kundgebungen gerechtfertigt wurde. Ju den Ostseeprovinzen ist das
geheime Bewachuugswesen der Vollkommenheit so nahe gebracht, daß sich kaum
ein Mensch in seinem Hause rechts oder links drehen kann, ohne daß die Behör¬
den, oder vielmehr eine gewisse Behörde davou wüßte. In Groß- und Klcinrnß-
land ist die geheime Ueberwachung weniger ausgebildet, weil die geringe L ildung
,des Volks die Haltung der Regierung weniger der Kritik unterwirft. Dort be¬
schränkt sich die Bewachung fast nur auf die Guberuial- und andere Städte von
vorzüglicher Bedeutung, z. B. solche, in welchen sich ein Gymnasium, eine Univer¬
sität oder Fähnrichschule befindet. Das Geheimbewachungswesen wird in Klein-
und Großrußland von den Gouverneuren selbst geleitet und ist einer besondern


deutsches Wesen, bei dem ich mit staubigen Gamaschen Kaffee trank, zog mich,
als er hörte, daß ich aus Deutschland komme, auf die Seite und gab mir die
entsprechende freundschaftliche Ermahnung: „da Sie Polen noch nicht kennen, so
halte ich es für eine Landsmannspflicht, Ihnen zu sagen, daß es das gefährlichste-
aller Länder sei, und vor allen Dingen Jeder seine Zunge mit wahrer Todesangst
zu bewachen hat — sprechen Sie ja niemals über den Kaiser, die Kaiserin, ir¬
gend einen Großfürsten, den Statthalter Paskiewitsch, irgend einen General, die
Regierung, ein Amt u. s. w>; oder wenn Sie darüber sprechen, so loben Sie;
unter jeder Bedingung loben Sie, wenn Sie einmal darüber sprechen wollen.
Ueber die polnischen Interessen aber sprechen Sie um Himmelswillen gar nicht,
denn bei denen wird nicht natürlich aufgefaßt, soudern gedeutet. Bei dieser Sache
versteht man auch die „Blumensprache" vor dem Kriminalgericht." Auch dieser
Redliche bekehrte mich nicht. Als ich in Warschau einen Kaufmann, an den ich
empfohlen war, harmlos frug, wie sich in Polen das Volk seit der Revolution
von 1848 unter der russischen Regierung fühle, versetzte er: „Still, still, werther
Freund, über dergleichen befragen Sie mich nie! Meinem Bruder, meinem eigenen
Weibe würde ich keine Antwort darauf geben. Wir leben hier nicht in Deutsch¬
land." —

Diese vier Warnungen des Schicksals, die mir auf dem Wege von Kalisch
nach Warschau zu Theil wurden, machten mich doch bedenklich, ich versuchte sehr
vorsichtig zu sein und kam richtig trotz kleiner Polizeianfechtungeu mit Hilfe eini¬
ger Rubel und meines Passes bis in die Nähe von Moskau. Was ich während
meines Aufenthaltes in Rußland von Bemerkungen über die Polizei der außerpol¬
nischen Länder machte, sei den frühern Bemerkungen Ihres Blattes bescheiden zu¬
gefügt. —

Das System der russischen Regierung, welches dem Volke die Ehre erweist,
dasselbe als eine Gegenmacht, ein feindseliges und gewissermaßen teuflisches Wesen
zu betrachten, hat auch außerhalb Polens geheime Wachtaustalten nöthig gemacht,
welche desto mehr an Ausdehnung, Verbindung und Organisation zunahmen, je
wehr die Befürchtung der Regierung, daß ^ihr System vom Volke gemißbilligt
werde, durch Kundgebungen gerechtfertigt wurde. Ju den Ostseeprovinzen ist das
geheime Bewachuugswesen der Vollkommenheit so nahe gebracht, daß sich kaum
ein Mensch in seinem Hause rechts oder links drehen kann, ohne daß die Behör¬
den, oder vielmehr eine gewisse Behörde davou wüßte. In Groß- und Klcinrnß-
land ist die geheime Ueberwachung weniger ausgebildet, weil die geringe L ildung
,des Volks die Haltung der Regierung weniger der Kritik unterwirft. Dort be¬
schränkt sich die Bewachung fast nur auf die Guberuial- und andere Städte von
vorzüglicher Bedeutung, z. B. solche, in welchen sich ein Gymnasium, eine Univer¬
sität oder Fähnrichschule befindet. Das Geheimbewachungswesen wird in Klein-
und Großrußland von den Gouverneuren selbst geleitet und ist einer besondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/522>, abgerufen am 15.06.2024.