Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gehen, denn der Herr Gouverneur pflegen erst Erkundign! g über die Reisenden
einzuziehen. Allein bis zum Abend des nächsten Tages werde die Angelegenheit
wohl beseitigt sein; vergebens schickt der Wirth am anderen Abend in das Bureau
des Gouverneurs; der Paß ist uoch nicht visirt; am zweiten Abend gibt der Bu-
reanchef den Bescheid: der Herr Gouverneur habe den Paß zu sich genommen.
Der botenlaufende Kellner begibt sich nun zu dem Gouverneur und erhält den
Bescheid, der Herr habe absichtlich den Paß an sich genommen, damit der Rei¬
sende vor ihm persönlich erscheine, er habe Etwas mit ihm zu verhandeln. Ich
gehe selbst zu dem Herrn General, werde angemeldet -- ein stämmiger Herr,
röthliche Nase und wässerige Augen, begrüßt mich herablassend mit den Worten:
Mein Freund, ich habe Sie veranlaßt sich selbst Ihren Paß abzuholen in der Er¬
wartung, daß dies Ihnen eine Aufforderung sei, sich Ihren französischen Bart
abnehmen zu lassen. -- Der Satan hatte Kundschafter gehabt, welche ihm mei¬
nen Bart verrathen hatten. --

Nun bin ich. ein sehr friedlicher Mensch, aber das lächerliche der Situation
und vielleicht das Jahr 1848 machten mich tollkühn und ich fing an, einige zweck¬
mäßige Worte für die Unschuld meines Bartes zu reden; ich sprach sicher so be¬
redt, wie Huß vor dem Collegium zu Kosemitz, und mit ähnlichem Erfolg. Wäh¬
rend meiner Rede öffnete der Gouverneur die Thür, zwei Schergen der Gewalt
traten ein. Setzt die C-- auf einen Stuhl und schneidet ihm den Bart ab, brüllte
der Herr und die beiden Gauner fuhren grinsend auf mich zu. Schon war ich
auf einen Stuhl gedrückt, schon sah ich eine Art Papierscheere in der Luft glän¬
zen; da erlangte ich durch eine Ruhe, die mich sehr viel Ueberwindung kostete
und durch den imponirenden Klang zweier Rudel, die ich für den Schlingel auf
den Boden warf, der mir einen Barbier holen würde, die Erlaubniß, in Be¬
gleitung der beiden Oolizeibeamten zu einem Mann vom Fach zu gehn und mich
nach den Regeln der Kunst barbiren zu lassen. -- AIs ich zurückkam, drückte mir
der Gouverneur mit Grinsen den vistrten Peiß in die Hand und wünschte mir
höjiich guten Weg" --

Die Begebenheit ist für Andere komischer als für den, der sie erlebt hat.
Ich theile sie Ihrem Blatt mit, und bitte die Leser, wenn sie über mein Aben¬
teuer lachen, zu gleicher Zeit darau zu denken, daß man einen Fremden in Nu߬
land nicht nur wegen seines Bartes schlecht zu behandeln versteht.



(Ein Leichenzua für Hans-Jörgel -- Der Prediger Weit wird in der Stephanskirche ausge¬
zischt -- Schrecken an der Börse -- Bach und Schmerling superoktroyircn oktroyirte Or¬
donnanzen -- Das Ministerium gegen Haynau -- Grünne als Stellvertreter des Kaisers.)

Hans Jörgel ist gestorben; diese Blätter berichteten bereits das Aufhören der
Wochenbriefe unter jenem Titel. Sein Verscheiden ist nicht ohne Theilnahme unter
jener Volksklasse vorübergegangen, aus die er eigentlich rechnete, und es wurde ihm von


gehen, denn der Herr Gouverneur pflegen erst Erkundign! g über die Reisenden
einzuziehen. Allein bis zum Abend des nächsten Tages werde die Angelegenheit
wohl beseitigt sein; vergebens schickt der Wirth am anderen Abend in das Bureau
des Gouverneurs; der Paß ist uoch nicht visirt; am zweiten Abend gibt der Bu-
reanchef den Bescheid: der Herr Gouverneur habe den Paß zu sich genommen.
Der botenlaufende Kellner begibt sich nun zu dem Gouverneur und erhält den
Bescheid, der Herr habe absichtlich den Paß an sich genommen, damit der Rei¬
sende vor ihm persönlich erscheine, er habe Etwas mit ihm zu verhandeln. Ich
gehe selbst zu dem Herrn General, werde angemeldet — ein stämmiger Herr,
röthliche Nase und wässerige Augen, begrüßt mich herablassend mit den Worten:
Mein Freund, ich habe Sie veranlaßt sich selbst Ihren Paß abzuholen in der Er¬
wartung, daß dies Ihnen eine Aufforderung sei, sich Ihren französischen Bart
abnehmen zu lassen. — Der Satan hatte Kundschafter gehabt, welche ihm mei¬
nen Bart verrathen hatten. —

Nun bin ich. ein sehr friedlicher Mensch, aber das lächerliche der Situation
und vielleicht das Jahr 1848 machten mich tollkühn und ich fing an, einige zweck¬
mäßige Worte für die Unschuld meines Bartes zu reden; ich sprach sicher so be¬
redt, wie Huß vor dem Collegium zu Kosemitz, und mit ähnlichem Erfolg. Wäh¬
rend meiner Rede öffnete der Gouverneur die Thür, zwei Schergen der Gewalt
traten ein. Setzt die C— auf einen Stuhl und schneidet ihm den Bart ab, brüllte
der Herr und die beiden Gauner fuhren grinsend auf mich zu. Schon war ich
auf einen Stuhl gedrückt, schon sah ich eine Art Papierscheere in der Luft glän¬
zen; da erlangte ich durch eine Ruhe, die mich sehr viel Ueberwindung kostete
und durch den imponirenden Klang zweier Rudel, die ich für den Schlingel auf
den Boden warf, der mir einen Barbier holen würde, die Erlaubniß, in Be¬
gleitung der beiden Oolizeibeamten zu einem Mann vom Fach zu gehn und mich
nach den Regeln der Kunst barbiren zu lassen. — AIs ich zurückkam, drückte mir
der Gouverneur mit Grinsen den vistrten Peiß in die Hand und wünschte mir
höjiich guten Weg" —

Die Begebenheit ist für Andere komischer als für den, der sie erlebt hat.
Ich theile sie Ihrem Blatt mit, und bitte die Leser, wenn sie über mein Aben¬
teuer lachen, zu gleicher Zeit darau zu denken, daß man einen Fremden in Nu߬
land nicht nur wegen seines Bartes schlecht zu behandeln versteht.



(Ein Leichenzua für Hans-Jörgel — Der Prediger Weit wird in der Stephanskirche ausge¬
zischt — Schrecken an der Börse — Bach und Schmerling superoktroyircn oktroyirte Or¬
donnanzen — Das Ministerium gegen Haynau — Grünne als Stellvertreter des Kaisers.)

Hans Jörgel ist gestorben; diese Blätter berichteten bereits das Aufhören der
Wochenbriefe unter jenem Titel. Sein Verscheiden ist nicht ohne Theilnahme unter
jener Volksklasse vorübergegangen, aus die er eigentlich rechnete, und es wurde ihm von


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0524" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93347"/>
            <p xml:id="ID_1801" prev="#ID_1800"> gehen, denn der Herr Gouverneur pflegen erst Erkundign! g über die Reisenden<lb/>
einzuziehen. Allein bis zum Abend des nächsten Tages werde die Angelegenheit<lb/>
wohl beseitigt sein; vergebens schickt der Wirth am anderen Abend in das Bureau<lb/>
des Gouverneurs; der Paß ist uoch nicht visirt; am zweiten Abend gibt der Bu-<lb/>
reanchef den Bescheid: der Herr Gouverneur habe den Paß zu sich genommen.<lb/>
Der botenlaufende Kellner begibt sich nun zu dem Gouverneur und erhält den<lb/>
Bescheid, der Herr habe absichtlich den Paß an sich genommen, damit der Rei¬<lb/>
sende vor ihm persönlich erscheine, er habe Etwas mit ihm zu verhandeln. Ich<lb/>
gehe selbst zu dem Herrn General, werde angemeldet &#x2014; ein stämmiger Herr,<lb/>
röthliche Nase und wässerige Augen, begrüßt mich herablassend mit den Worten:<lb/>
Mein Freund, ich habe Sie veranlaßt sich selbst Ihren Paß abzuholen in der Er¬<lb/>
wartung, daß dies Ihnen eine Aufforderung sei, sich Ihren französischen Bart<lb/>
abnehmen zu lassen. &#x2014; Der Satan hatte Kundschafter gehabt, welche ihm mei¬<lb/>
nen Bart verrathen hatten. &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1802"> Nun bin ich. ein sehr friedlicher Mensch, aber das lächerliche der Situation<lb/>
und vielleicht das Jahr 1848 machten mich tollkühn und ich fing an, einige zweck¬<lb/>
mäßige Worte für die Unschuld meines Bartes zu reden; ich sprach sicher so be¬<lb/>
redt, wie Huß vor dem Collegium zu Kosemitz, und mit ähnlichem Erfolg. Wäh¬<lb/>
rend meiner Rede öffnete der Gouverneur die Thür, zwei Schergen der Gewalt<lb/>
traten ein. Setzt die C&#x2014; auf einen Stuhl und schneidet ihm den Bart ab, brüllte<lb/>
der Herr und die beiden Gauner fuhren grinsend auf mich zu. Schon war ich<lb/>
auf einen Stuhl gedrückt, schon sah ich eine Art Papierscheere in der Luft glän¬<lb/>
zen; da erlangte ich durch eine Ruhe, die mich sehr viel Ueberwindung kostete<lb/>
und durch den imponirenden Klang zweier Rudel, die ich für den Schlingel auf<lb/>
den Boden warf, der mir einen Barbier holen würde, die Erlaubniß, in Be¬<lb/>
gleitung der beiden Oolizeibeamten zu einem Mann vom Fach zu gehn und mich<lb/>
nach den Regeln der Kunst barbiren zu lassen. &#x2014; AIs ich zurückkam, drückte mir<lb/>
der Gouverneur mit Grinsen den vistrten Peiß in die Hand und wünschte mir<lb/>
höjiich guten Weg" &#x2014;</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1803"> Die Begebenheit ist für Andere komischer als für den, der sie erlebt hat.<lb/>
Ich theile sie Ihrem Blatt mit, und bitte die Leser, wenn sie über mein Aben¬<lb/>
teuer lachen, zu gleicher Zeit darau zu denken, daß man einen Fremden in Nu߬<lb/>
land nicht nur wegen seines Bartes schlecht zu behandeln versteht.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> </head><lb/>
            <note type="argument"> (Ein Leichenzua für Hans-Jörgel &#x2014; Der Prediger Weit wird in der Stephanskirche ausge¬<lb/>
zischt &#x2014; Schrecken an der Börse &#x2014; Bach und Schmerling superoktroyircn oktroyirte Or¬<lb/>
donnanzen &#x2014; Das Ministerium gegen Haynau &#x2014; Grünne als Stellvertreter des Kaisers.)</note><lb/>
            <p xml:id="ID_1804" next="#ID_1805"> Hans Jörgel ist gestorben; diese Blätter berichteten bereits das Aufhören der<lb/>
Wochenbriefe unter jenem Titel. Sein Verscheiden ist nicht ohne Theilnahme unter<lb/>
jener Volksklasse vorübergegangen, aus die er eigentlich rechnete, und es wurde ihm von</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0524] gehen, denn der Herr Gouverneur pflegen erst Erkundign! g über die Reisenden einzuziehen. Allein bis zum Abend des nächsten Tages werde die Angelegenheit wohl beseitigt sein; vergebens schickt der Wirth am anderen Abend in das Bureau des Gouverneurs; der Paß ist uoch nicht visirt; am zweiten Abend gibt der Bu- reanchef den Bescheid: der Herr Gouverneur habe den Paß zu sich genommen. Der botenlaufende Kellner begibt sich nun zu dem Gouverneur und erhält den Bescheid, der Herr habe absichtlich den Paß an sich genommen, damit der Rei¬ sende vor ihm persönlich erscheine, er habe Etwas mit ihm zu verhandeln. Ich gehe selbst zu dem Herrn General, werde angemeldet — ein stämmiger Herr, röthliche Nase und wässerige Augen, begrüßt mich herablassend mit den Worten: Mein Freund, ich habe Sie veranlaßt sich selbst Ihren Paß abzuholen in der Er¬ wartung, daß dies Ihnen eine Aufforderung sei, sich Ihren französischen Bart abnehmen zu lassen. — Der Satan hatte Kundschafter gehabt, welche ihm mei¬ nen Bart verrathen hatten. — Nun bin ich. ein sehr friedlicher Mensch, aber das lächerliche der Situation und vielleicht das Jahr 1848 machten mich tollkühn und ich fing an, einige zweck¬ mäßige Worte für die Unschuld meines Bartes zu reden; ich sprach sicher so be¬ redt, wie Huß vor dem Collegium zu Kosemitz, und mit ähnlichem Erfolg. Wäh¬ rend meiner Rede öffnete der Gouverneur die Thür, zwei Schergen der Gewalt traten ein. Setzt die C— auf einen Stuhl und schneidet ihm den Bart ab, brüllte der Herr und die beiden Gauner fuhren grinsend auf mich zu. Schon war ich auf einen Stuhl gedrückt, schon sah ich eine Art Papierscheere in der Luft glän¬ zen; da erlangte ich durch eine Ruhe, die mich sehr viel Ueberwindung kostete und durch den imponirenden Klang zweier Rudel, die ich für den Schlingel auf den Boden warf, der mir einen Barbier holen würde, die Erlaubniß, in Be¬ gleitung der beiden Oolizeibeamten zu einem Mann vom Fach zu gehn und mich nach den Regeln der Kunst barbiren zu lassen. — AIs ich zurückkam, drückte mir der Gouverneur mit Grinsen den vistrten Peiß in die Hand und wünschte mir höjiich guten Weg" — Die Begebenheit ist für Andere komischer als für den, der sie erlebt hat. Ich theile sie Ihrem Blatt mit, und bitte die Leser, wenn sie über mein Aben¬ teuer lachen, zu gleicher Zeit darau zu denken, daß man einen Fremden in Nu߬ land nicht nur wegen seines Bartes schlecht zu behandeln versteht. (Ein Leichenzua für Hans-Jörgel — Der Prediger Weit wird in der Stephanskirche ausge¬ zischt — Schrecken an der Börse — Bach und Schmerling superoktroyircn oktroyirte Or¬ donnanzen — Das Ministerium gegen Haynau — Grünne als Stellvertreter des Kaisers.) Hans Jörgel ist gestorben; diese Blätter berichteten bereits das Aufhören der Wochenbriefe unter jenem Titel. Sein Verscheiden ist nicht ohne Theilnahme unter jener Volksklasse vorübergegangen, aus die er eigentlich rechnete, und es wurde ihm von

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/524
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/524>, abgerufen am 15.06.2024.