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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Bürgerstand, zum großen Theil aus Deutschen bestehend, und die Beamten be¬
nutzten dies, und so ersetzte sich der Abfall an der Zahl der Zöglinge der ge¬
lehrten Schulen einigermaßen wieder, aber die Schulen selbst verloren an
ihrem Ansehen, das, wie bei allen Anstalten des Landes, von der Betheiligung
des Adels abhängt.

Allein wie sehr sich die Polen spreizten, das Schnlprocnratorium fragte dar¬
nach durchaus nicht. Die Maßregel war einmal durchgesetzt, und nachdem sie
ein Wenig unter neuen Ereignissen verschwunden oder der Vergessenheit anheim
gefallen war, glaubte man die Zeit gekommen, den Umbau des Schulwesens fort¬
zusetzen. Es erschienen zugleich eine Menge neue Verordnungen, von denen einige
das äußere, andere das innere Wesen der Schulen betrafen. Letztere waren die
wichtigsten, und unter diesen waren die wichtigsten die Verordnungen wegen der
Russischen Sprache und der obersten beiden Klassen.

Die Russische Sprache wurde zu dem hervorragendsten Lehrzweige gemacht.
Nicht blos die früher der Polnischen Sprache gewidmeten Stunden wurden
ihr eingeräumt, sondern auch andere wichtige Wissenschaften durch sie theils
verdrängt, theils in ihrem Raume sehr beschränkt. Die Polnische Literatur wurde
ganz bei Seite geschafft, und das Studium der alten Sprachen und Classiker
erlitt in einigen Klassen eine Beschränkung auf acht Stunden wöchentlich. Mit
der Russischen Sprache wurde zugleich die Russische Volks- und Russische
Literaturgeschichte eingeführt.

Früher schou war die Verordnung erlassen worden, daß Jeder, der sich in
einem Staatsamte befinde, sich innerhalb zweier Jahre der Russischen Sprache mächtig
gemacht haben, oder seine Stelle aufgeben müsse. Diese Verordnung war unvoll-
ziehbar, denn eines Theils waren die alten Beamten nicht mehr im Stande, eine
fremde Sprache zu erlernen, andern Theils war es nicht möglich, die Stellen zu
besetzen, die durch strenge Handhabung der Maßregel vacant geworden sein würden,
da es bei der gänzlichen Zurückziehung des Adels vom Staatswesen an amts¬
fähigen Personen fehlte. In einigen Gouvernements, z. B. dem Plock'schen, nahm
man die Sache nicht ganz leicht, demittirte wirklich die der Russischen Sprache
unkundigen Beamten, und schob Russische Officiere in die Stellen. Allein wie
uncultivirt das Amtswescn im Lande auch ist, so waren diese Leute doch nur zum
allerkleinsten Theile sähig, die ihnen obliegenden Functionen ausznüben, und es
entstand eine Babylonische Verwirrung, welche zu tausend Beschwerden und
Reklamationen nöthigte. Man sah sich gezwungen, einen Theil der Officiere wieder
aus den Aemtern zu entfernen, und die früher demittirten Polnischen Beamten
wieder zu berufen. Die Verlegenheit, welche dadurch den Dirigirenden erwuchs,
war groß, und mochte eine der stärksten Veranlassungen zu der erwähnten Schul¬
verordnung sein.


Bürgerstand, zum großen Theil aus Deutschen bestehend, und die Beamten be¬
nutzten dies, und so ersetzte sich der Abfall an der Zahl der Zöglinge der ge¬
lehrten Schulen einigermaßen wieder, aber die Schulen selbst verloren an
ihrem Ansehen, das, wie bei allen Anstalten des Landes, von der Betheiligung
des Adels abhängt.

Allein wie sehr sich die Polen spreizten, das Schnlprocnratorium fragte dar¬
nach durchaus nicht. Die Maßregel war einmal durchgesetzt, und nachdem sie
ein Wenig unter neuen Ereignissen verschwunden oder der Vergessenheit anheim
gefallen war, glaubte man die Zeit gekommen, den Umbau des Schulwesens fort¬
zusetzen. Es erschienen zugleich eine Menge neue Verordnungen, von denen einige
das äußere, andere das innere Wesen der Schulen betrafen. Letztere waren die
wichtigsten, und unter diesen waren die wichtigsten die Verordnungen wegen der
Russischen Sprache und der obersten beiden Klassen.

Die Russische Sprache wurde zu dem hervorragendsten Lehrzweige gemacht.
Nicht blos die früher der Polnischen Sprache gewidmeten Stunden wurden
ihr eingeräumt, sondern auch andere wichtige Wissenschaften durch sie theils
verdrängt, theils in ihrem Raume sehr beschränkt. Die Polnische Literatur wurde
ganz bei Seite geschafft, und das Studium der alten Sprachen und Classiker
erlitt in einigen Klassen eine Beschränkung auf acht Stunden wöchentlich. Mit
der Russischen Sprache wurde zugleich die Russische Volks- und Russische
Literaturgeschichte eingeführt.

Früher schou war die Verordnung erlassen worden, daß Jeder, der sich in
einem Staatsamte befinde, sich innerhalb zweier Jahre der Russischen Sprache mächtig
gemacht haben, oder seine Stelle aufgeben müsse. Diese Verordnung war unvoll-
ziehbar, denn eines Theils waren die alten Beamten nicht mehr im Stande, eine
fremde Sprache zu erlernen, andern Theils war es nicht möglich, die Stellen zu
besetzen, die durch strenge Handhabung der Maßregel vacant geworden sein würden,
da es bei der gänzlichen Zurückziehung des Adels vom Staatswesen an amts¬
fähigen Personen fehlte. In einigen Gouvernements, z. B. dem Plock'schen, nahm
man die Sache nicht ganz leicht, demittirte wirklich die der Russischen Sprache
unkundigen Beamten, und schob Russische Officiere in die Stellen. Allein wie
uncultivirt das Amtswescn im Lande auch ist, so waren diese Leute doch nur zum
allerkleinsten Theile sähig, die ihnen obliegenden Functionen ausznüben, und es
entstand eine Babylonische Verwirrung, welche zu tausend Beschwerden und
Reklamationen nöthigte. Man sah sich gezwungen, einen Theil der Officiere wieder
aus den Aemtern zu entfernen, und die früher demittirten Polnischen Beamten
wieder zu berufen. Die Verlegenheit, welche dadurch den Dirigirenden erwuchs,
war groß, und mochte eine der stärksten Veranlassungen zu der erwähnten Schul¬
verordnung sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/100>, abgerufen am 15.06.2024.