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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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freilich nicht zur Sache gehörigen Schilderung des Samum. Die Wahl des
Stoffes ist in mehrfacher Beziehung zu tadeln. Einmal soll ein junger Dichter
nicht mit Byron rivalisiren wollen, dessen Genius auch dem unzweckmäßigsten
Gegenstand poetische Seiten abzugewinnen wußte. Byron'S Kam ist zwar auch
nur ein lyrisches Gedicht, aber als solches vom ersten Rang. Sodann soll der
dramatische Dichter seine Zeit nicht vor die Sündfluth verlegen. Es ist das
zwar.ungemein bequem, denn die Erfindung kann sich ohne Schranken in einem
endlosen Raum bewegen, aber diese Schrantenlvsigkeir ist eben der Tod aller
Poesie. Was aus der biblischen Geschichte zu machen ist, hat die Bibel bereits
daraus gemacht; wir wissen von den darin auftretenden Personen gerade so viel,
als wir nöthig haben, und jedes weitere psychologische Studium kauu uns nur
verwirren, da das Bemühen, vorsündfluthliche Empfindungen und Anschauungen
nach unsrer ästhetischen und sittlichen Convenienz zu modulireu, nothwendiger
Weise scheitern muß. Herr Hcdrich läßt seinen Kain n. s. w. gerade eben so
reden, wie die verliebten Schäfer unsrer Theegesellschaften. Am Tollsten aber
macht er es mit einem Jungen, Namens Jubal, der einmal zu seinem Vater
Kam sagt:


Nimm gütig aus,
Was aus voreiligen Mund, bedeutnnglos,
Was aus besorgter Brust des Kindes kam.

Derselbe Jubal sagt ein anderes Mal:


Die Stimme ist unnennbar süß, die uns
An das Vcrgcmg'ne mahnt. Die Jahre fließen
Zurück, es blüht die morsche Herrlichkeit.
Wie liegt in ihr der wunderbarste Klang?
Soll ich der Flöte jetzt das Lied entlocken,
Das Deiner Schwester jungfräulichen Geist,
Der früh Verschiedenen, räthselvoll Vcrschwund'nen
Mein Schmerz geweiht? Du hast es sonst geliebt --
--"Und Du ertrügest, was mich bräche, Sanfter?"
--Mein Herz mag an den Tönen sterben! Mutter;
Ich greife nach der Flöte, Lieder strömend,
Und huste um den Tod.
--"Mein Sohn, Du weckst die zaubcrvollstm Klänge,
Ach fie beseligen und breche" mich."

Gegen diesen Patschuli-Parfum sind ja die Sentimentalitäten Müllner's und
Houwald's wahre Haidervslein. Und noch dazu ist es die Altmutter Eva, die
so spricht. -- Uebrigens ist die Sprache auch nicht einmal immer correct, z. B.
"das mannbare Verbrechen", für ein Verbrechen, welches sich weiter zeugt, und
Aehnliches. -- Der Dichter, dem, wie gesagt, ein gewisser Anflug von Poesie nicht
abzusprechen ist, muß sich zunächst beschränken lernen und sein Talent auf bestimmte,
endliche, concrete Gegenstände wenden, wenn ans ihm Etwas werden soll.


freilich nicht zur Sache gehörigen Schilderung des Samum. Die Wahl des
Stoffes ist in mehrfacher Beziehung zu tadeln. Einmal soll ein junger Dichter
nicht mit Byron rivalisiren wollen, dessen Genius auch dem unzweckmäßigsten
Gegenstand poetische Seiten abzugewinnen wußte. Byron'S Kam ist zwar auch
nur ein lyrisches Gedicht, aber als solches vom ersten Rang. Sodann soll der
dramatische Dichter seine Zeit nicht vor die Sündfluth verlegen. Es ist das
zwar.ungemein bequem, denn die Erfindung kann sich ohne Schranken in einem
endlosen Raum bewegen, aber diese Schrantenlvsigkeir ist eben der Tod aller
Poesie. Was aus der biblischen Geschichte zu machen ist, hat die Bibel bereits
daraus gemacht; wir wissen von den darin auftretenden Personen gerade so viel,
als wir nöthig haben, und jedes weitere psychologische Studium kauu uns nur
verwirren, da das Bemühen, vorsündfluthliche Empfindungen und Anschauungen
nach unsrer ästhetischen und sittlichen Convenienz zu modulireu, nothwendiger
Weise scheitern muß. Herr Hcdrich läßt seinen Kain n. s. w. gerade eben so
reden, wie die verliebten Schäfer unsrer Theegesellschaften. Am Tollsten aber
macht er es mit einem Jungen, Namens Jubal, der einmal zu seinem Vater
Kam sagt:


Nimm gütig aus,
Was aus voreiligen Mund, bedeutnnglos,
Was aus besorgter Brust des Kindes kam.

Derselbe Jubal sagt ein anderes Mal:


Die Stimme ist unnennbar süß, die uns
An das Vcrgcmg'ne mahnt. Die Jahre fließen
Zurück, es blüht die morsche Herrlichkeit.
Wie liegt in ihr der wunderbarste Klang?
Soll ich der Flöte jetzt das Lied entlocken,
Das Deiner Schwester jungfräulichen Geist,
Der früh Verschiedenen, räthselvoll Vcrschwund'nen
Mein Schmerz geweiht? Du hast es sonst geliebt —
--„Und Du ertrügest, was mich bräche, Sanfter?"
--Mein Herz mag an den Tönen sterben! Mutter;
Ich greife nach der Flöte, Lieder strömend,
Und huste um den Tod.
--„Mein Sohn, Du weckst die zaubcrvollstm Klänge,
Ach fie beseligen und breche» mich."

Gegen diesen Patschuli-Parfum sind ja die Sentimentalitäten Müllner's und
Houwald's wahre Haidervslein. Und noch dazu ist es die Altmutter Eva, die
so spricht. — Uebrigens ist die Sprache auch nicht einmal immer correct, z. B.
„das mannbare Verbrechen", für ein Verbrechen, welches sich weiter zeugt, und
Aehnliches. — Der Dichter, dem, wie gesagt, ein gewisser Anflug von Poesie nicht
abzusprechen ist, muß sich zunächst beschränken lernen und sein Talent auf bestimmte,
endliche, concrete Gegenstände wenden, wenn ans ihm Etwas werden soll.


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[0141] freilich nicht zur Sache gehörigen Schilderung des Samum. Die Wahl des Stoffes ist in mehrfacher Beziehung zu tadeln. Einmal soll ein junger Dichter nicht mit Byron rivalisiren wollen, dessen Genius auch dem unzweckmäßigsten Gegenstand poetische Seiten abzugewinnen wußte. Byron'S Kam ist zwar auch nur ein lyrisches Gedicht, aber als solches vom ersten Rang. Sodann soll der dramatische Dichter seine Zeit nicht vor die Sündfluth verlegen. Es ist das zwar.ungemein bequem, denn die Erfindung kann sich ohne Schranken in einem endlosen Raum bewegen, aber diese Schrantenlvsigkeir ist eben der Tod aller Poesie. Was aus der biblischen Geschichte zu machen ist, hat die Bibel bereits daraus gemacht; wir wissen von den darin auftretenden Personen gerade so viel, als wir nöthig haben, und jedes weitere psychologische Studium kauu uns nur verwirren, da das Bemühen, vorsündfluthliche Empfindungen und Anschauungen nach unsrer ästhetischen und sittlichen Convenienz zu modulireu, nothwendiger Weise scheitern muß. Herr Hcdrich läßt seinen Kain n. s. w. gerade eben so reden, wie die verliebten Schäfer unsrer Theegesellschaften. Am Tollsten aber macht er es mit einem Jungen, Namens Jubal, der einmal zu seinem Vater Kam sagt: Nimm gütig aus, Was aus voreiligen Mund, bedeutnnglos, Was aus besorgter Brust des Kindes kam. Derselbe Jubal sagt ein anderes Mal: Die Stimme ist unnennbar süß, die uns An das Vcrgcmg'ne mahnt. Die Jahre fließen Zurück, es blüht die morsche Herrlichkeit. Wie liegt in ihr der wunderbarste Klang? Soll ich der Flöte jetzt das Lied entlocken, Das Deiner Schwester jungfräulichen Geist, Der früh Verschiedenen, räthselvoll Vcrschwund'nen Mein Schmerz geweiht? Du hast es sonst geliebt — --„Und Du ertrügest, was mich bräche, Sanfter?" --Mein Herz mag an den Tönen sterben! Mutter; Ich greife nach der Flöte, Lieder strömend, Und huste um den Tod. --„Mein Sohn, Du weckst die zaubcrvollstm Klänge, Ach fie beseligen und breche» mich." Gegen diesen Patschuli-Parfum sind ja die Sentimentalitäten Müllner's und Houwald's wahre Haidervslein. Und noch dazu ist es die Altmutter Eva, die so spricht. — Uebrigens ist die Sprache auch nicht einmal immer correct, z. B. „das mannbare Verbrechen", für ein Verbrechen, welches sich weiter zeugt, und Aehnliches. — Der Dichter, dem, wie gesagt, ein gewisser Anflug von Poesie nicht abzusprechen ist, muß sich zunächst beschränken lernen und sein Talent auf bestimmte, endliche, concrete Gegenstände wenden, wenn ans ihm Etwas werden soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/141>, abgerufen am 22.05.2024.