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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Da singen Engel auf dem Felde laut -
Ihr seliges Hosianna für die Hirten,
Denn durch das Kind wird wieder Kind der Vater.
Und nur als Kinder sehn wir wieder Gott.

Endlich möchte ich, in diese Reihe noch die seltsame Tragödie Hugo von
Rheinberg rechnen (1813). Sie spielt in der Zeit der Kreuzzüge und ist ein
Schauderstück ohne höhere dramatische Bedeutung, mit den gewöhnlichen melo¬
dramatischen Motiven, Rückkehr eines Todtgeglaubten aus dem heiligen Lande,
Verwechslung zweier Becher, von denen der eine Gift enthält, und dergleichen.
Es sind auch in diesem Stuck eine Reihe zum Theil ganz überflüssiger Personen
angebracht. Zuweilen tritt der Dichter heraus und reflectirt, auch über ästhetische
Gegenstände. Doch sind einzelne Scenen, namentlich der Mord und das darauf
sich regende Gewissen, mit dramatischer Kraft ausgearbeitet.

Ich habe mir den Correggio (-1809) bis zuletzt ausgespart, weil dieses
Stück ziemlich allein steht und echt Deutschen Ursprungs ist, obgleich es seiner¬
seits dazu beigetragen hat, Gespräche über Knustansichten in Dänemark popnlair
zu machen. Die Mißgeschicke des Künstlers, die damals zuerst in die Poesie ein¬
geführt wurden, siud seit der Zeit ein sehr beliebter Gegenstand für das Drama
geworden; namentlich hat Alfred de Vigny in seinem "Chatterton" dieselbe Form
dieses Problems, nämlich die materielle Noth, wieder ausgenommen. Man hat
die Fehler des "Correggio" in Deutschland schon vollkommen richtig erkannt.
Der Schluß macht unstreitig eine unbeabsichtigte halb komische. Wirkung. Daß
der arme Maler gerade an dem Gelde sterben mußte, welches seiner Noth ab¬
helfen sollte, nämlich an der schweren Last der Kupfermünzen, ist ein zu wunder¬
licher Einfall, und die Abhilfe der Noth liegt zu ucche, als daß man nicht über
die Willkür dieser Katastrophe erzürnt sein sollte, und dieser üble Ausgang liegt
allerdings im.Keim schon in der ganzen Anlage, denn die materielle Noth, die
langsam wirkt, und die wol ini einzelnen Fall Mitleid oder selbst Schrecken er¬
regen kann, aber nicht in der Verfolgung ihres Zusammenhangs, ist für das,
Drama nicht geeignet. Abgesehen davon, muß man aber zugestehen, daß das
Künstlerleben sehr ansprechend und lebendig dargestellt ist, daß mau uicht durch
artistisches.Geschwätz, sondern durch die ganze Haltung der Personen in den
Fleiß, die Andacht und das Glück des Schaffens eingeführt wird, und was na¬
mentlich für jene Zeit sehr anerkennenswerth ist, der Maler erscheint nicht in dem
Nimbus eines weitumfassenden Genies, sondern in jener rührenden Einfachheit
und Naivetät, wie es dem echten Künstler ansteht. Daß das Stück bei der ro¬
mantischen Schule kein Glück machte, hat seinen Grund darin, daß diese unpro-
ductiven Geister wohl im Stande waren, weitaussehende Tendenzen aufzufinden,
daß aber jeder reale Versuch zur Durchführung derselben sie aus eine unangenehme
Weise befremdete, weil sie in ihrer stoffloser Unendlichkeit dadurch gestört wurden,


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Da singen Engel auf dem Felde laut -
Ihr seliges Hosianna für die Hirten,
Denn durch das Kind wird wieder Kind der Vater.
Und nur als Kinder sehn wir wieder Gott.

Endlich möchte ich, in diese Reihe noch die seltsame Tragödie Hugo von
Rheinberg rechnen (1813). Sie spielt in der Zeit der Kreuzzüge und ist ein
Schauderstück ohne höhere dramatische Bedeutung, mit den gewöhnlichen melo¬
dramatischen Motiven, Rückkehr eines Todtgeglaubten aus dem heiligen Lande,
Verwechslung zweier Becher, von denen der eine Gift enthält, und dergleichen.
Es sind auch in diesem Stuck eine Reihe zum Theil ganz überflüssiger Personen
angebracht. Zuweilen tritt der Dichter heraus und reflectirt, auch über ästhetische
Gegenstände. Doch sind einzelne Scenen, namentlich der Mord und das darauf
sich regende Gewissen, mit dramatischer Kraft ausgearbeitet.

Ich habe mir den Correggio (-1809) bis zuletzt ausgespart, weil dieses
Stück ziemlich allein steht und echt Deutschen Ursprungs ist, obgleich es seiner¬
seits dazu beigetragen hat, Gespräche über Knustansichten in Dänemark popnlair
zu machen. Die Mißgeschicke des Künstlers, die damals zuerst in die Poesie ein¬
geführt wurden, siud seit der Zeit ein sehr beliebter Gegenstand für das Drama
geworden; namentlich hat Alfred de Vigny in seinem „Chatterton" dieselbe Form
dieses Problems, nämlich die materielle Noth, wieder ausgenommen. Man hat
die Fehler des „Correggio" in Deutschland schon vollkommen richtig erkannt.
Der Schluß macht unstreitig eine unbeabsichtigte halb komische. Wirkung. Daß
der arme Maler gerade an dem Gelde sterben mußte, welches seiner Noth ab¬
helfen sollte, nämlich an der schweren Last der Kupfermünzen, ist ein zu wunder¬
licher Einfall, und die Abhilfe der Noth liegt zu ucche, als daß man nicht über
die Willkür dieser Katastrophe erzürnt sein sollte, und dieser üble Ausgang liegt
allerdings im.Keim schon in der ganzen Anlage, denn die materielle Noth, die
langsam wirkt, und die wol ini einzelnen Fall Mitleid oder selbst Schrecken er¬
regen kann, aber nicht in der Verfolgung ihres Zusammenhangs, ist für das,
Drama nicht geeignet. Abgesehen davon, muß man aber zugestehen, daß das
Künstlerleben sehr ansprechend und lebendig dargestellt ist, daß mau uicht durch
artistisches.Geschwätz, sondern durch die ganze Haltung der Personen in den
Fleiß, die Andacht und das Glück des Schaffens eingeführt wird, und was na¬
mentlich für jene Zeit sehr anerkennenswerth ist, der Maler erscheint nicht in dem
Nimbus eines weitumfassenden Genies, sondern in jener rührenden Einfachheit
und Naivetät, wie es dem echten Künstler ansteht. Daß das Stück bei der ro¬
mantischen Schule kein Glück machte, hat seinen Grund darin, daß diese unpro-
ductiven Geister wohl im Stande waren, weitaussehende Tendenzen aufzufinden,
daß aber jeder reale Versuch zur Durchführung derselben sie aus eine unangenehme
Weise befremdete, weil sie in ihrer stoffloser Unendlichkeit dadurch gestört wurden,


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[0347] Da singen Engel auf dem Felde laut - Ihr seliges Hosianna für die Hirten, Denn durch das Kind wird wieder Kind der Vater. Und nur als Kinder sehn wir wieder Gott. Endlich möchte ich, in diese Reihe noch die seltsame Tragödie Hugo von Rheinberg rechnen (1813). Sie spielt in der Zeit der Kreuzzüge und ist ein Schauderstück ohne höhere dramatische Bedeutung, mit den gewöhnlichen melo¬ dramatischen Motiven, Rückkehr eines Todtgeglaubten aus dem heiligen Lande, Verwechslung zweier Becher, von denen der eine Gift enthält, und dergleichen. Es sind auch in diesem Stuck eine Reihe zum Theil ganz überflüssiger Personen angebracht. Zuweilen tritt der Dichter heraus und reflectirt, auch über ästhetische Gegenstände. Doch sind einzelne Scenen, namentlich der Mord und das darauf sich regende Gewissen, mit dramatischer Kraft ausgearbeitet. Ich habe mir den Correggio (-1809) bis zuletzt ausgespart, weil dieses Stück ziemlich allein steht und echt Deutschen Ursprungs ist, obgleich es seiner¬ seits dazu beigetragen hat, Gespräche über Knustansichten in Dänemark popnlair zu machen. Die Mißgeschicke des Künstlers, die damals zuerst in die Poesie ein¬ geführt wurden, siud seit der Zeit ein sehr beliebter Gegenstand für das Drama geworden; namentlich hat Alfred de Vigny in seinem „Chatterton" dieselbe Form dieses Problems, nämlich die materielle Noth, wieder ausgenommen. Man hat die Fehler des „Correggio" in Deutschland schon vollkommen richtig erkannt. Der Schluß macht unstreitig eine unbeabsichtigte halb komische. Wirkung. Daß der arme Maler gerade an dem Gelde sterben mußte, welches seiner Noth ab¬ helfen sollte, nämlich an der schweren Last der Kupfermünzen, ist ein zu wunder¬ licher Einfall, und die Abhilfe der Noth liegt zu ucche, als daß man nicht über die Willkür dieser Katastrophe erzürnt sein sollte, und dieser üble Ausgang liegt allerdings im.Keim schon in der ganzen Anlage, denn die materielle Noth, die langsam wirkt, und die wol ini einzelnen Fall Mitleid oder selbst Schrecken er¬ regen kann, aber nicht in der Verfolgung ihres Zusammenhangs, ist für das, Drama nicht geeignet. Abgesehen davon, muß man aber zugestehen, daß das Künstlerleben sehr ansprechend und lebendig dargestellt ist, daß mau uicht durch artistisches.Geschwätz, sondern durch die ganze Haltung der Personen in den Fleiß, die Andacht und das Glück des Schaffens eingeführt wird, und was na¬ mentlich für jene Zeit sehr anerkennenswerth ist, der Maler erscheint nicht in dem Nimbus eines weitumfassenden Genies, sondern in jener rührenden Einfachheit und Naivetät, wie es dem echten Künstler ansteht. Daß das Stück bei der ro¬ mantischen Schule kein Glück machte, hat seinen Grund darin, daß diese unpro- ductiven Geister wohl im Stande waren, weitaussehende Tendenzen aufzufinden, daß aber jeder reale Versuch zur Durchführung derselben sie aus eine unangenehme Weise befremdete, weil sie in ihrer stoffloser Unendlichkeit dadurch gestört wurden, 43*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/347>, abgerufen am 21.05.2024.