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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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nicht ein zufälliger Umstand seine edle Absicht hintertriebe, würde noch hingehen;
aber daß sich später einer der Musketiere mit ein Paar verwegenen Abenteurern, die
er gemiethet hat, in das Lager des General Monk schleicht, ihn bindet, knebelt
und in eine Kiste packt, und ihn in derselben über den Canal zu dem Prätendenten
Karl Stuart transportirt, wodurch der Letztere Gelegenheit erhält, sich durch eiuen
Act der Großmuth die Krone von England zu erkaufen; daß serner ein zweiter
der Musketiere den König Ludwig XIV. mitten im Glanz seiner Hofhaltung in
seinem Bette überrascht, ihn ans geheimen Wegen in die Bastille sührt, ihn dort
einsperrt, und zwei Tage lang einen Zwillingsbruder, der dem König auffallend
ähnlich steht, an seine Stelle einschiebt, das geht denn doch über alles Maß
der celtischen Phantasie. Aber wir werden an unerhörte Dinge so gewöhnt, daß
uus zuletzt Nichts mehr in Verwunderung setzt.

Bei allen diesen Erfindungen macht sich die in dem Pariser raffinirten Genuß-
leben wohl erklärliche Sehnsucht geltend, durch eine über die Natur hinausgehende
Anspannung aller Kräfte im Genuß das Unmögliche zu erreichen. Dumas wett¬
eifert in diesem Streben mit seinen Nebenbuhlern Eugen Sue und Souue, und
übertrifft sie ebeu so an Kühnheit, wie an Naivetät. Am vollständigsten hat er sein
Ideal in dem Grasen von Monte Christo durchgeführt. Das einfachste Mittel,
Wunder zu thun, ist die außerordentliche Anhäufung von Geldmitteln. Der Graf
von Monte Christo ist im Besitz eines so ungeheuern Schatzes, daß er in alle"
Hasen von Europa eine Jacht liegen hat, ans allen Poststationen Vorspannpferde
in Bereitschaft, in den Theatern aller Hauptstädte eine Loge gemiethet, um, wie
ein Äeu8 ex maeluna, in jedem Augenblicke, wo er will, zu erscheinen. Als er
einem Pariser Banquier eiuen unbegrenzten Creditbrief überreicht und dieser ihn
fragt, ob er mit einer Million des Jahres genug hätte, antwortet er lächelnd!
Eine Million trage ich immer in der Westentasche mit mir herum zu meinen täg¬
lichen Nebeuausgaben. An gastrischen Genüssen aller Art ist er so übersättigt, daß
er nur noch an Hatschisch Gefallen findet, einer mit dem Opium verwandten Sub¬
stanz; Schauspiele hat er so viel gesehen, daß seine Phantasie nur noch durch
Gladiatoren gereizt wird. Außerdem ist er in allen ritterlichen Künsten Meister
und spricht sämmtliche Sprachen der fünf Welttheile wie ein Eingeborner. Den
Grund zu dieser Sprachkenntniß hat er in einem Gefängniß gelegt, in das er durch
die Ungerechtigkeit der Menschen fünfzehn Jahre laug eingesperrt war, und w"
er mit einem Ubbo Umgang pflegte, der alle diese Sprachen als Autodidakt er¬
lernt hatte. Die Art, wie er sich aus diesem Gefängniß befreite, ist interessant.
Der Abb" stirbt, und Monte Christo, in der Meinung, man werde den Leichnam
in das Feld tragen, legt sich in den Sack, in den derselbe eingenäht werden soll.
Er wird aber höchst unangenehm überrascht, als man ihn in dem Sack ins Meer
wirst. Glücklicherweise hat er ein Federmesser bei sich, mit diesem schneidet er
den Sack auf und schwimmt einige Meilen weit bis zu einem Port, was für ihn


nicht ein zufälliger Umstand seine edle Absicht hintertriebe, würde noch hingehen;
aber daß sich später einer der Musketiere mit ein Paar verwegenen Abenteurern, die
er gemiethet hat, in das Lager des General Monk schleicht, ihn bindet, knebelt
und in eine Kiste packt, und ihn in derselben über den Canal zu dem Prätendenten
Karl Stuart transportirt, wodurch der Letztere Gelegenheit erhält, sich durch eiuen
Act der Großmuth die Krone von England zu erkaufen; daß serner ein zweiter
der Musketiere den König Ludwig XIV. mitten im Glanz seiner Hofhaltung in
seinem Bette überrascht, ihn ans geheimen Wegen in die Bastille sührt, ihn dort
einsperrt, und zwei Tage lang einen Zwillingsbruder, der dem König auffallend
ähnlich steht, an seine Stelle einschiebt, das geht denn doch über alles Maß
der celtischen Phantasie. Aber wir werden an unerhörte Dinge so gewöhnt, daß
uus zuletzt Nichts mehr in Verwunderung setzt.

Bei allen diesen Erfindungen macht sich die in dem Pariser raffinirten Genuß-
leben wohl erklärliche Sehnsucht geltend, durch eine über die Natur hinausgehende
Anspannung aller Kräfte im Genuß das Unmögliche zu erreichen. Dumas wett¬
eifert in diesem Streben mit seinen Nebenbuhlern Eugen Sue und Souue, und
übertrifft sie ebeu so an Kühnheit, wie an Naivetät. Am vollständigsten hat er sein
Ideal in dem Grasen von Monte Christo durchgeführt. Das einfachste Mittel,
Wunder zu thun, ist die außerordentliche Anhäufung von Geldmitteln. Der Graf
von Monte Christo ist im Besitz eines so ungeheuern Schatzes, daß er in alle»
Hasen von Europa eine Jacht liegen hat, ans allen Poststationen Vorspannpferde
in Bereitschaft, in den Theatern aller Hauptstädte eine Loge gemiethet, um, wie
ein Äeu8 ex maeluna, in jedem Augenblicke, wo er will, zu erscheinen. Als er
einem Pariser Banquier eiuen unbegrenzten Creditbrief überreicht und dieser ihn
fragt, ob er mit einer Million des Jahres genug hätte, antwortet er lächelnd!
Eine Million trage ich immer in der Westentasche mit mir herum zu meinen täg¬
lichen Nebeuausgaben. An gastrischen Genüssen aller Art ist er so übersättigt, daß
er nur noch an Hatschisch Gefallen findet, einer mit dem Opium verwandten Sub¬
stanz; Schauspiele hat er so viel gesehen, daß seine Phantasie nur noch durch
Gladiatoren gereizt wird. Außerdem ist er in allen ritterlichen Künsten Meister
und spricht sämmtliche Sprachen der fünf Welttheile wie ein Eingeborner. Den
Grund zu dieser Sprachkenntniß hat er in einem Gefängniß gelegt, in das er durch
die Ungerechtigkeit der Menschen fünfzehn Jahre laug eingesperrt war, und w"
er mit einem Ubbo Umgang pflegte, der alle diese Sprachen als Autodidakt er¬
lernt hatte. Die Art, wie er sich aus diesem Gefängniß befreite, ist interessant.
Der Abb« stirbt, und Monte Christo, in der Meinung, man werde den Leichnam
in das Feld tragen, legt sich in den Sack, in den derselbe eingenäht werden soll.
Er wird aber höchst unangenehm überrascht, als man ihn in dem Sack ins Meer
wirst. Glücklicherweise hat er ein Federmesser bei sich, mit diesem schneidet er
den Sack auf und schwimmt einige Meilen weit bis zu einem Port, was für ihn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/180>, abgerufen am 19.05.2024.