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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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lehr anstrengend gewesen sein muß, wenn man bedenkt, daß er sich fünfzehn Jahre
^Ng ans seiner Zelle nicht hat rühren können. Der einzige Inhalt seines spätern
Lebens, und auch das ist charakteristisch für die französische Romantik, ist die
^c>che an seinen Feinden, durch deren Schuld er ins Gefängniß gekommen ist.
Er übt dieselbe aus eine ziemlich raffinirte Weise ans, wird aber zuletzt doch
V'tmüthig und glücklich, und verheirathet sich mit der Tochter des Ali Pascha
von Janina. -- Noch bequemer hat es sich der Dichter in einer andern Reihe
Zusammenhängender Romane gemacht, deren Held der berühmte Cagliostro ist:
ü'un mvÄvvin, 1^" vulUor ne; in, re-'no, ^uxv ?non, I^v ÄlvvMvr <z"
^"isvlU'ouFv u. s. w. Hier haben wir den einfachen Wunderthäter, dessen Wort
^erge versetzt, und wenn wir uns nicht innerhalb der Gesellschaft des civili-
se'recu 18. Jahrhunderts bewegten, so würden wir weiter gar keine Ursache zur
Verwunderung haben.

Trotz all dieser Ungeheuerlichkeiten, trotz des einförmigen Inhalts, der sich
beständig zwischen den galanten Abenteuern und den Liebesgeschichten der alten
^itterbücher und den Reminiscenzen der Pariser Maskenbälle bewegt, .trotz der
süchtigen, nachlässigen und gedankenlosen Bearbeitung, trotz der grenzenlosen
Etlichen Verwirrung, die deu künstlich gemachten und raffinirten französischen
Ehrenpunkt an Stelle.alles Rechts nud aller Regel setzt, so daß Ehebruch, Todt-
schlag im Duell und selbst Mord nicht mehr das geringste Bedenken erregen,
Müssen wir doch zugestehen, daß wir nicht blos in der Lebhaftigkeit der Erzählung,
Lutern auch in der Conception einzelner interessanter und charakteristischer Figuren,
ü' V. ebeu jeuer vier Musketiere, die Spur eines glänzenden Talents wahr¬
nehmen. Ob.dieses Talent durch Studium und Ernst in der Kunst zu einer
höhern Stufe geführt worden wäre, ist freilich zweifelhaft. Es scheint mit einer
^wissen kritiklosen Ungenirtheit innig verwachsen zu sein, und so müssen wir denn
"M Schluß das Urtheil aussprechen, daß Dumas gerade wegen dieses Talents
^ gänzlichen Verwilderung des Geschmacks in Frankreich und in Deutschland
'"ehr beigetragen hat, als irgend einer seiner Nebenbuhler, höchstens Eugen Sue
"usgenommeu, der wegen seines größern Schwulstes und des lügenhaften Pathos
keiner Predigte" noch größere Popularität errungen hat. Von diesem Schwulst
h"t sich Dumas immer frei erhalten, und das Prädicat der Naivetät können wir
I. S. nicht versagen.




Grenzboten. IV.5!

lehr anstrengend gewesen sein muß, wenn man bedenkt, daß er sich fünfzehn Jahre
^Ng ans seiner Zelle nicht hat rühren können. Der einzige Inhalt seines spätern
Lebens, und auch das ist charakteristisch für die französische Romantik, ist die
^c>che an seinen Feinden, durch deren Schuld er ins Gefängniß gekommen ist.
Er übt dieselbe aus eine ziemlich raffinirte Weise ans, wird aber zuletzt doch
V'tmüthig und glücklich, und verheirathet sich mit der Tochter des Ali Pascha
von Janina. — Noch bequemer hat es sich der Dichter in einer andern Reihe
Zusammenhängender Romane gemacht, deren Held der berühmte Cagliostro ist:
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^erge versetzt, und wenn wir uns nicht innerhalb der Gesellschaft des civili-
se'recu 18. Jahrhunderts bewegten, so würden wir weiter gar keine Ursache zur
Verwunderung haben.

Trotz all dieser Ungeheuerlichkeiten, trotz des einförmigen Inhalts, der sich
beständig zwischen den galanten Abenteuern und den Liebesgeschichten der alten
^itterbücher und den Reminiscenzen der Pariser Maskenbälle bewegt, .trotz der
süchtigen, nachlässigen und gedankenlosen Bearbeitung, trotz der grenzenlosen
Etlichen Verwirrung, die deu künstlich gemachten und raffinirten französischen
Ehrenpunkt an Stelle.alles Rechts nud aller Regel setzt, so daß Ehebruch, Todt-
schlag im Duell und selbst Mord nicht mehr das geringste Bedenken erregen,
Müssen wir doch zugestehen, daß wir nicht blos in der Lebhaftigkeit der Erzählung,
Lutern auch in der Conception einzelner interessanter und charakteristischer Figuren,
ü' V. ebeu jeuer vier Musketiere, die Spur eines glänzenden Talents wahr¬
nehmen. Ob.dieses Talent durch Studium und Ernst in der Kunst zu einer
höhern Stufe geführt worden wäre, ist freilich zweifelhaft. Es scheint mit einer
^wissen kritiklosen Ungenirtheit innig verwachsen zu sein, und so müssen wir denn
"M Schluß das Urtheil aussprechen, daß Dumas gerade wegen dieses Talents
^ gänzlichen Verwilderung des Geschmacks in Frankreich und in Deutschland
'"ehr beigetragen hat, als irgend einer seiner Nebenbuhler, höchstens Eugen Sue
"usgenommeu, der wegen seines größern Schwulstes und des lügenhaften Pathos
keiner Predigte» noch größere Popularität errungen hat. Von diesem Schwulst
h"t sich Dumas immer frei erhalten, und das Prädicat der Naivetät können wir
I. S. nicht versagen.




Grenzboten. IV.5!
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[0181] lehr anstrengend gewesen sein muß, wenn man bedenkt, daß er sich fünfzehn Jahre ^Ng ans seiner Zelle nicht hat rühren können. Der einzige Inhalt seines spätern Lebens, und auch das ist charakteristisch für die französische Romantik, ist die ^c>che an seinen Feinden, durch deren Schuld er ins Gefängniß gekommen ist. Er übt dieselbe aus eine ziemlich raffinirte Weise ans, wird aber zuletzt doch V'tmüthig und glücklich, und verheirathet sich mit der Tochter des Ali Pascha von Janina. — Noch bequemer hat es sich der Dichter in einer andern Reihe Zusammenhängender Romane gemacht, deren Held der berühmte Cagliostro ist: ü'un mvÄvvin, 1^» vulUor ne; in, re-'no, ^uxv ?non, I^v ÄlvvMvr <z« ^»isvlU'ouFv u. s. w. Hier haben wir den einfachen Wunderthäter, dessen Wort ^erge versetzt, und wenn wir uns nicht innerhalb der Gesellschaft des civili- se'recu 18. Jahrhunderts bewegten, so würden wir weiter gar keine Ursache zur Verwunderung haben. Trotz all dieser Ungeheuerlichkeiten, trotz des einförmigen Inhalts, der sich beständig zwischen den galanten Abenteuern und den Liebesgeschichten der alten ^itterbücher und den Reminiscenzen der Pariser Maskenbälle bewegt, .trotz der süchtigen, nachlässigen und gedankenlosen Bearbeitung, trotz der grenzenlosen Etlichen Verwirrung, die deu künstlich gemachten und raffinirten französischen Ehrenpunkt an Stelle.alles Rechts nud aller Regel setzt, so daß Ehebruch, Todt- schlag im Duell und selbst Mord nicht mehr das geringste Bedenken erregen, Müssen wir doch zugestehen, daß wir nicht blos in der Lebhaftigkeit der Erzählung, Lutern auch in der Conception einzelner interessanter und charakteristischer Figuren, ü' V. ebeu jeuer vier Musketiere, die Spur eines glänzenden Talents wahr¬ nehmen. Ob.dieses Talent durch Studium und Ernst in der Kunst zu einer höhern Stufe geführt worden wäre, ist freilich zweifelhaft. Es scheint mit einer ^wissen kritiklosen Ungenirtheit innig verwachsen zu sein, und so müssen wir denn "M Schluß das Urtheil aussprechen, daß Dumas gerade wegen dieses Talents ^ gänzlichen Verwilderung des Geschmacks in Frankreich und in Deutschland '"ehr beigetragen hat, als irgend einer seiner Nebenbuhler, höchstens Eugen Sue "usgenommeu, der wegen seines größern Schwulstes und des lügenhaften Pathos keiner Predigte» noch größere Popularität errungen hat. Von diesem Schwulst h"t sich Dumas immer frei erhalten, und das Prädicat der Naivetät können wir I. S. nicht versagen. Grenzboten. IV.5!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/181>, abgerufen am 07.05.2024.