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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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ringschätzung mochte er nach dem Ministertisch blicken, als dessen Gesammtheit
einer Kammeradresse wich. Was war ihm eine solche? Eine Redensart. Damals
galt solche Anschauung freilich als Sünde gegen den heiligen Geist der Zeit.
Doch bereits nach wenigen Monaten war sie von Hrn. v. Lerchenfeld vollkommen
adoptirt. Vielleicht wäre ihr sogar das damalige Ministerium nicht gewichen, vielleicht
sogar zum Heile Bayerns. Denn es waren treffliche Männer darunter -- schade, daß
keine parlamentarischen Fechtmeister. Hr. v. Beisler mahnte mit dem Grobbayer-
schen Tonfall und der unzulänglichen Bürgerlichkeit des ganzen Auftretens allzn-
entschieden mehr an einen Abgeordneten des kleinen Bürgerstandes, als an einen Mi¬
nister. Hr. Heintz sprach zwar fest und bestimmt, doch nur in rein juristischen
Dingen, und ohne allen Schwung, je präciser, ohne alle Taktik, je einschneidender
er die eine oder die andere Sache verfocht. Noch minder konnten die Herren v.
Weigand und Lesuire den andrängenden Wogen widerstehen. GrafBray, der Minister
des Aeußern, zeigte fast ausschließlich auch im Aeußern etwas von parlamentarischer
Schule in staatsmännischen Dingen. nannten wir Hrn. v. Abel eine Geheimrathsge-
stalt der ältern Schule, ausgestattet mit dem etwas breiten, doch selten wirkungslosen
Nepräseutationstalent frühern Bnreanadels, so ist Graf Brau, der schon in seinem
Ministerium das Portefeuille des Aeußern führte, in vielen Einzelheiten ein Typus
des moderne" Diplomatenthums. Nicht jung, nicht alt, nicht groß, nur stattlich/
uicht auffallenden, aber regelmäßigen Gesichts, glatt und sauber überall, in der
höchst einfachen Kleidung untadelhaft, in der ganzen ungezwungenen Behabmg
genau bemessen, scheint er Alles, selbst das Entscheidendste, was die Regierung
in die Wagschale werfen will, nur beiläufig und parenthetisch einzufügen, um die
viel wichtigeren Reden der Herren Volksvertreter nicht eine Secunde länger, als
durchaus nöthig, zu unterbrechen. Trotzdem liegt eine stets auskunftsbereite Ge¬
fälligkeit, eine überlegenheitsbewußte Dienstwilligkeit gegen die souveraine Kammer
in dem reservirten Entgegenkommen, oder der entgegenkommenden Reservation des
Herrn Grafen, welche dem harten Griffe der gestnnnugstüchtigeu Unzufriedenheit
mit allem Regiment kaum jemals eine faßbare Stelle bietet. Falls jedoch die
"sittliche Entrüstung" hier oder da etwas gefaßt zu haben meinte, und mit erha¬
benen Worten schlagende Beweise vom volksfriedlichen und grnndrcchtsgesährlichcu
Geiste des Ministeriums vor dem bcifallbrausenden Publicum anatomirte
bemerkte der Hr. Graf ohne alle Bewegung, nachdem der Redestrom des
guets für X. verflossen: der Eifer des geehrten Abgeordneten sei eben 'so e e
als gerecht, nnr stamme das Beweisstück aus früherer Zeit, oder stehe mit dem
und dem Umstande in Verbindung u. s. w. Und das geehrte Mitglied sey
sich enttäuscht mit nachgrollendcr Besriedignngslosigkeit nieder, nach damaligem
Usus fest überzeugt von der nächstens besser und unwiderleglich zu demonstmen-
den Gewissenlosigkeit des Ministeriums, während der Minister schon lange wieder
dem nächsten Ausbruche negirender oder negativer Staatsweisheit vollkommen


ringschätzung mochte er nach dem Ministertisch blicken, als dessen Gesammtheit
einer Kammeradresse wich. Was war ihm eine solche? Eine Redensart. Damals
galt solche Anschauung freilich als Sünde gegen den heiligen Geist der Zeit.
Doch bereits nach wenigen Monaten war sie von Hrn. v. Lerchenfeld vollkommen
adoptirt. Vielleicht wäre ihr sogar das damalige Ministerium nicht gewichen, vielleicht
sogar zum Heile Bayerns. Denn es waren treffliche Männer darunter — schade, daß
keine parlamentarischen Fechtmeister. Hr. v. Beisler mahnte mit dem Grobbayer-
schen Tonfall und der unzulänglichen Bürgerlichkeit des ganzen Auftretens allzn-
entschieden mehr an einen Abgeordneten des kleinen Bürgerstandes, als an einen Mi¬
nister. Hr. Heintz sprach zwar fest und bestimmt, doch nur in rein juristischen
Dingen, und ohne allen Schwung, je präciser, ohne alle Taktik, je einschneidender
er die eine oder die andere Sache verfocht. Noch minder konnten die Herren v.
Weigand und Lesuire den andrängenden Wogen widerstehen. GrafBray, der Minister
des Aeußern, zeigte fast ausschließlich auch im Aeußern etwas von parlamentarischer
Schule in staatsmännischen Dingen. nannten wir Hrn. v. Abel eine Geheimrathsge-
stalt der ältern Schule, ausgestattet mit dem etwas breiten, doch selten wirkungslosen
Nepräseutationstalent frühern Bnreanadels, so ist Graf Brau, der schon in seinem
Ministerium das Portefeuille des Aeußern führte, in vielen Einzelheiten ein Typus
des moderne» Diplomatenthums. Nicht jung, nicht alt, nicht groß, nur stattlich/
uicht auffallenden, aber regelmäßigen Gesichts, glatt und sauber überall, in der
höchst einfachen Kleidung untadelhaft, in der ganzen ungezwungenen Behabmg
genau bemessen, scheint er Alles, selbst das Entscheidendste, was die Regierung
in die Wagschale werfen will, nur beiläufig und parenthetisch einzufügen, um die
viel wichtigeren Reden der Herren Volksvertreter nicht eine Secunde länger, als
durchaus nöthig, zu unterbrechen. Trotzdem liegt eine stets auskunftsbereite Ge¬
fälligkeit, eine überlegenheitsbewußte Dienstwilligkeit gegen die souveraine Kammer
in dem reservirten Entgegenkommen, oder der entgegenkommenden Reservation des
Herrn Grafen, welche dem harten Griffe der gestnnnugstüchtigeu Unzufriedenheit
mit allem Regiment kaum jemals eine faßbare Stelle bietet. Falls jedoch die
„sittliche Entrüstung" hier oder da etwas gefaßt zu haben meinte, und mit erha¬
benen Worten schlagende Beweise vom volksfriedlichen und grnndrcchtsgesährlichcu
Geiste des Ministeriums vor dem bcifallbrausenden Publicum anatomirte
bemerkte der Hr. Graf ohne alle Bewegung, nachdem der Redestrom des
guets für X. verflossen: der Eifer des geehrten Abgeordneten sei eben 'so e e
als gerecht, nnr stamme das Beweisstück aus früherer Zeit, oder stehe mit dem
und dem Umstande in Verbindung u. s. w. Und das geehrte Mitglied sey
sich enttäuscht mit nachgrollendcr Besriedignngslosigkeit nieder, nach damaligem
Usus fest überzeugt von der nächstens besser und unwiderleglich zu demonstmen-
den Gewissenlosigkeit des Ministeriums, während der Minister schon lange wieder
dem nächsten Ausbruche negirender oder negativer Staatsweisheit vollkommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/26>, abgerufen am 02.05.2024.