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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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unbefangen entgegenharrt. Es war ganz dieselbe Weise, mir nicht mit dem be-
dientenhafter Alliiren, womit Hr. v. Schmerling in der Paulskirche so oft die
Venedey'sche, Giskra'sche, oder gar M. Hartmann'sche Gesinnungstüchtigkeit besei¬
tigte. Vielleicht weil nicht gleichermaßen bedientenhaft, war sie auch wieder aalglatt,
und verwickelte sich vornehmlich an jenem Umstände, daß Bayerns Ministerium
durch die Depesche vom 8. Decbr. 18i8 zuerst die Einmischung Englands in die
Organisationsfragen Deutschlands hereingezogen, zuerst wieder die Wiener Schlu߬
acte als unveränderliche Basis auch der zukünftigen Gestaltung des Deutschen
Bundes angerufen hatte. In wieweit darin eine beabsichtigte politische Satte zu
suchen, in wieweit nur ein falsches Mittel, um voreilige Schritte des Londoner
Gesandten, Baron Cetto, desavouiren zu müssen -- dies ist hier nicht zu
untersuchen. Die Thatsache bleibt unläugbar, trotz der journalistischen Gegen¬
äußerungen, welche damals noch ein Ministerium nothwendig fand, dem die bei¬
nahe gleichzeitige Anfrage eiuer Natioiuilparlamentsfraction in München um etwaige
Geneigtheit zur Annahme der Neichsstatthalterschaft immerhin gewisse Rücksichten
auflegte. Da wir aber nunmehr auf den glückseligen Standpunkt zurückgekehrt
sind, wo jede Deutsche Frage von etwelcher Wichtigkeit von der Europäischen Confe-
renzpvlitik ihre Entscheidung empfängt, so ist es gewiß ein bescheidener Wunsch, wenn
mancher Patriot den Hrn. Grafen Bray abermals vom Petersburger Gesandtschasts-
hvtel in das Ministerium der äußeren Angelegenheiten des Reiches Bayern zu¬
rückkehren sehen möchte. Wir siud ja dahin gekommen, für die Praxis der Ne-
staurationsprincipicu uur wieder die weicheren Griffe der frühern Zeit zu erflehen.
Und diese gewährte die Petersburger und Pariser Schule ans Talleyrand's Zeit.
Ihr war wenigstens ein Anstand der Formen, ein gewisses Maßhalten in den Ma߬
regelungen, ein Anstrich von Berechtigung eigen. Dem ungeschulten Nepristi-
"irungseifcr moderner Staatslenker fehlt häufig selbst diese formelle Ueberlegenheit.
Familienhafte, rein äußerliche und politische Ursprünge möchten sie vergessen machen,
und verfallen mehr darum, als aus wirklichem Princip, in die fanatische Weise der
Konvertiten anderer Sphären. Um ebenbürtig anerkannt zu werden in einer
Welt, worin sie sich dreist eingedrängt, überholen sie concedirend deren nächste
Forderungen, und wenn weitere Forderungen herandrängen, haben sie Nichts
mehr nach oben und außen zu geben, fühlen den nur in Hängewerken befestigten
Sitz bedroht, und greisen von Neuem hiuabwärts nach der weggeworfenen Rolle
des Bvlksfreundes. Ein häßlicher Spectakel! Ueber solchem Anblicke verschwindet
dann in den Massen der erschütterte Glaube an die Autorität vollkommen, dadurch
wird das monarchische Princip ruinirt.




unbefangen entgegenharrt. Es war ganz dieselbe Weise, mir nicht mit dem be-
dientenhafter Alliiren, womit Hr. v. Schmerling in der Paulskirche so oft die
Venedey'sche, Giskra'sche, oder gar M. Hartmann'sche Gesinnungstüchtigkeit besei¬
tigte. Vielleicht weil nicht gleichermaßen bedientenhaft, war sie auch wieder aalglatt,
und verwickelte sich vornehmlich an jenem Umstände, daß Bayerns Ministerium
durch die Depesche vom 8. Decbr. 18i8 zuerst die Einmischung Englands in die
Organisationsfragen Deutschlands hereingezogen, zuerst wieder die Wiener Schlu߬
acte als unveränderliche Basis auch der zukünftigen Gestaltung des Deutschen
Bundes angerufen hatte. In wieweit darin eine beabsichtigte politische Satte zu
suchen, in wieweit nur ein falsches Mittel, um voreilige Schritte des Londoner
Gesandten, Baron Cetto, desavouiren zu müssen — dies ist hier nicht zu
untersuchen. Die Thatsache bleibt unläugbar, trotz der journalistischen Gegen¬
äußerungen, welche damals noch ein Ministerium nothwendig fand, dem die bei¬
nahe gleichzeitige Anfrage eiuer Natioiuilparlamentsfraction in München um etwaige
Geneigtheit zur Annahme der Neichsstatthalterschaft immerhin gewisse Rücksichten
auflegte. Da wir aber nunmehr auf den glückseligen Standpunkt zurückgekehrt
sind, wo jede Deutsche Frage von etwelcher Wichtigkeit von der Europäischen Confe-
renzpvlitik ihre Entscheidung empfängt, so ist es gewiß ein bescheidener Wunsch, wenn
mancher Patriot den Hrn. Grafen Bray abermals vom Petersburger Gesandtschasts-
hvtel in das Ministerium der äußeren Angelegenheiten des Reiches Bayern zu¬
rückkehren sehen möchte. Wir siud ja dahin gekommen, für die Praxis der Ne-
staurationsprincipicu uur wieder die weicheren Griffe der frühern Zeit zu erflehen.
Und diese gewährte die Petersburger und Pariser Schule ans Talleyrand's Zeit.
Ihr war wenigstens ein Anstand der Formen, ein gewisses Maßhalten in den Ma߬
regelungen, ein Anstrich von Berechtigung eigen. Dem ungeschulten Nepristi-
"irungseifcr moderner Staatslenker fehlt häufig selbst diese formelle Ueberlegenheit.
Familienhafte, rein äußerliche und politische Ursprünge möchten sie vergessen machen,
und verfallen mehr darum, als aus wirklichem Princip, in die fanatische Weise der
Konvertiten anderer Sphären. Um ebenbürtig anerkannt zu werden in einer
Welt, worin sie sich dreist eingedrängt, überholen sie concedirend deren nächste
Forderungen, und wenn weitere Forderungen herandrängen, haben sie Nichts
mehr nach oben und außen zu geben, fühlen den nur in Hängewerken befestigten
Sitz bedroht, und greisen von Neuem hiuabwärts nach der weggeworfenen Rolle
des Bvlksfreundes. Ein häßlicher Spectakel! Ueber solchem Anblicke verschwindet
dann in den Massen der erschütterte Glaube an die Autorität vollkommen, dadurch
wird das monarchische Princip ruinirt.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/27>, abgerufen am 27.04.2024.