Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gegenden Deutschlands noch über sittliche Rohheit und politische Unmündigkeit
des Landmannes zu klagen haben, in dem Stolz über sein Feld und dem Be¬
hagen an seinem Eigenthum liegt das Gegengewicht gegen seine Fehler. Die herz¬
liche Freude an dem stattlichen Stück Land, dessen Furchen er mit Herrenschritten
durchschreitet, giebt ihm Achtung auch vor den Rechten und dem Erwerb An¬
derer, und die Liebe zu der Fläche, welche sein Pflug fürcht, heftet ihn sest an
seine Heimath, sein Vaterland, seinen Staat. Auch der Thüringer hängt an den
einzelnen Ackerstreifen, aus denen seine Hufe zusammengesetzt ist, aber es ist ein
schwächliches Gefühl, es ist weder rechtes Behagen dabei, noch geht Selbstgefühl dar¬
aus hervor. Freilich macht es ihn höflich und rücksichtsvoll, daß er bei jedem Schritte
an den Grenzstein eines Nachbars stößt, ja es befördert bis zu einem gewissen
Grade den Gemeinsinn, daß sein Land nur in Verbindung mit dem Acker der
übrigen Gemeindeglieder etwas vorstellt, nud daß er hundertmal den Grund des
Nachbars braucht, um auf deu seinen zu kommen, aber es verhindert ihn auch,
als Einzelner ein tüchtiger Mann zu werden, der im Nothfall seinen eigenen Weg
zu gehen weiß und sicher in seinen eigenen Stiefeln steht. Statt eines derben,
starken, sichern Egoismus hat er den kleinen, vorsichtigen, begehrlichen, und wäre
die alte Gutmüthigkeit im Lande nicht groß, so würde seine Schwäche noch unan¬
genehmer in das Auge fallen. Die rechte Liebe zu seiner Heimath und seinem Vater¬
lande hat der Bauer mit zersplitertem Grundbesitz auch uicht. Es ist kein Zufall,
daß die meisten Auswanderer uach Amerika aus den deutsche" Ländern komme"/
in welchen der Grundbesitz zerrissen ist.

Der größte Uebelstand aber ist, daß die leichte Theilung des Untergrundes
ein Ackerbauproletariat und unproductiven Landbau befördert. Es ist bereits
mehrfach in diesen Blättern ausgeführt wordeu, daß aller Grundbesitz, welcher
unter den gewöhnlichen ländlichen Verhältnissen nicht im Stande ist, zwei Pferde
zu erhalten, dem, welcher ihn treibt, kein Gedeihen bringt, und dem Lande keine
überschießenden Capitalien, welche die Kraft desselben erhöhen; und ferner, daß
Ackerbau der kleinen Leute, der Tagelöhner, Handarbeiter u. s. w., welche die
Gespannarbeit dazu kaufen und bezahlen müssen, geradezu demoralisirend für sie
selbst und schädlich für den Staat wirkt. Auch in Thüringen hat der kleine
Arbeiter eine Sehnsucht nacb einzelnen Beeten und Landstreifen. Sobald er
durch Sparsamkeit sich in den Besitz einiger Thaler gesetzt hat, eilt er, sie ni
solchen kleinen Parcellen anzulegen, deren große Anzahl ihm den Ankauf leicht
macht. Er kauft theuer und kauft schlecht, denn bei der Leichtigkeit des Wechsels
und Verkaufes kommt der gute Boden fast überall aus den Händen der kleinen
Leute heraus in die der Reichen, und nur schlechte Ackerstreisen bleiben ihnen übrig.
Jetzt fängt er an, deu Landwirth zu spielen. Er hält fast immer mehr Vieh, als er
sollte, eine Kuh, wo zwei Ziegen kaum reichliche Nahrung hätten, und muß die größten
Opfer an Zeit und vielleicht an Geld bringen, das Futter für dieselbe zu sammeln-;


Gegenden Deutschlands noch über sittliche Rohheit und politische Unmündigkeit
des Landmannes zu klagen haben, in dem Stolz über sein Feld und dem Be¬
hagen an seinem Eigenthum liegt das Gegengewicht gegen seine Fehler. Die herz¬
liche Freude an dem stattlichen Stück Land, dessen Furchen er mit Herrenschritten
durchschreitet, giebt ihm Achtung auch vor den Rechten und dem Erwerb An¬
derer, und die Liebe zu der Fläche, welche sein Pflug fürcht, heftet ihn sest an
seine Heimath, sein Vaterland, seinen Staat. Auch der Thüringer hängt an den
einzelnen Ackerstreifen, aus denen seine Hufe zusammengesetzt ist, aber es ist ein
schwächliches Gefühl, es ist weder rechtes Behagen dabei, noch geht Selbstgefühl dar¬
aus hervor. Freilich macht es ihn höflich und rücksichtsvoll, daß er bei jedem Schritte
an den Grenzstein eines Nachbars stößt, ja es befördert bis zu einem gewissen
Grade den Gemeinsinn, daß sein Land nur in Verbindung mit dem Acker der
übrigen Gemeindeglieder etwas vorstellt, nud daß er hundertmal den Grund des
Nachbars braucht, um auf deu seinen zu kommen, aber es verhindert ihn auch,
als Einzelner ein tüchtiger Mann zu werden, der im Nothfall seinen eigenen Weg
zu gehen weiß und sicher in seinen eigenen Stiefeln steht. Statt eines derben,
starken, sichern Egoismus hat er den kleinen, vorsichtigen, begehrlichen, und wäre
die alte Gutmüthigkeit im Lande nicht groß, so würde seine Schwäche noch unan¬
genehmer in das Auge fallen. Die rechte Liebe zu seiner Heimath und seinem Vater¬
lande hat der Bauer mit zersplitertem Grundbesitz auch uicht. Es ist kein Zufall,
daß die meisten Auswanderer uach Amerika aus den deutsche» Ländern komme»/
in welchen der Grundbesitz zerrissen ist.

Der größte Uebelstand aber ist, daß die leichte Theilung des Untergrundes
ein Ackerbauproletariat und unproductiven Landbau befördert. Es ist bereits
mehrfach in diesen Blättern ausgeführt wordeu, daß aller Grundbesitz, welcher
unter den gewöhnlichen ländlichen Verhältnissen nicht im Stande ist, zwei Pferde
zu erhalten, dem, welcher ihn treibt, kein Gedeihen bringt, und dem Lande keine
überschießenden Capitalien, welche die Kraft desselben erhöhen; und ferner, daß
Ackerbau der kleinen Leute, der Tagelöhner, Handarbeiter u. s. w., welche die
Gespannarbeit dazu kaufen und bezahlen müssen, geradezu demoralisirend für sie
selbst und schädlich für den Staat wirkt. Auch in Thüringen hat der kleine
Arbeiter eine Sehnsucht nacb einzelnen Beeten und Landstreifen. Sobald er
durch Sparsamkeit sich in den Besitz einiger Thaler gesetzt hat, eilt er, sie ni
solchen kleinen Parcellen anzulegen, deren große Anzahl ihm den Ankauf leicht
macht. Er kauft theuer und kauft schlecht, denn bei der Leichtigkeit des Wechsels
und Verkaufes kommt der gute Boden fast überall aus den Händen der kleinen
Leute heraus in die der Reichen, und nur schlechte Ackerstreisen bleiben ihnen übrig.
Jetzt fängt er an, deu Landwirth zu spielen. Er hält fast immer mehr Vieh, als er
sollte, eine Kuh, wo zwei Ziegen kaum reichliche Nahrung hätten, und muß die größten
Opfer an Zeit und vielleicht an Geld bringen, das Futter für dieselbe zu sammeln-;


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280907"/>
          <p xml:id="ID_871" prev="#ID_870"> Gegenden Deutschlands noch über sittliche Rohheit und politische Unmündigkeit<lb/>
des Landmannes zu klagen haben, in dem Stolz über sein Feld und dem Be¬<lb/>
hagen an seinem Eigenthum liegt das Gegengewicht gegen seine Fehler. Die herz¬<lb/>
liche Freude an dem stattlichen Stück Land, dessen Furchen er mit Herrenschritten<lb/>
durchschreitet, giebt ihm Achtung auch vor den Rechten und dem Erwerb An¬<lb/>
derer, und die Liebe zu der Fläche, welche sein Pflug fürcht, heftet ihn sest an<lb/>
seine Heimath, sein Vaterland, seinen Staat. Auch der Thüringer hängt an den<lb/>
einzelnen Ackerstreifen, aus denen seine Hufe zusammengesetzt ist, aber es ist ein<lb/>
schwächliches Gefühl, es ist weder rechtes Behagen dabei, noch geht Selbstgefühl dar¬<lb/>
aus hervor. Freilich macht es ihn höflich und rücksichtsvoll, daß er bei jedem Schritte<lb/>
an den Grenzstein eines Nachbars stößt, ja es befördert bis zu einem gewissen<lb/>
Grade den Gemeinsinn, daß sein Land nur in Verbindung mit dem Acker der<lb/>
übrigen Gemeindeglieder etwas vorstellt, nud daß er hundertmal den Grund des<lb/>
Nachbars braucht, um auf deu seinen zu kommen, aber es verhindert ihn auch,<lb/>
als Einzelner ein tüchtiger Mann zu werden, der im Nothfall seinen eigenen Weg<lb/>
zu gehen weiß und sicher in seinen eigenen Stiefeln steht. Statt eines derben,<lb/>
starken, sichern Egoismus hat er den kleinen, vorsichtigen, begehrlichen, und wäre<lb/>
die alte Gutmüthigkeit im Lande nicht groß, so würde seine Schwäche noch unan¬<lb/>
genehmer in das Auge fallen. Die rechte Liebe zu seiner Heimath und seinem Vater¬<lb/>
lande hat der Bauer mit zersplitertem Grundbesitz auch uicht. Es ist kein Zufall,<lb/>
daß die meisten Auswanderer uach Amerika aus den deutsche» Ländern komme»/<lb/>
in welchen der Grundbesitz zerrissen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_872" next="#ID_873"> Der größte Uebelstand aber ist, daß die leichte Theilung des Untergrundes<lb/>
ein Ackerbauproletariat und unproductiven Landbau befördert. Es ist bereits<lb/>
mehrfach in diesen Blättern ausgeführt wordeu, daß aller Grundbesitz, welcher<lb/>
unter den gewöhnlichen ländlichen Verhältnissen nicht im Stande ist, zwei Pferde<lb/>
zu erhalten, dem, welcher ihn treibt, kein Gedeihen bringt, und dem Lande keine<lb/>
überschießenden Capitalien, welche die Kraft desselben erhöhen; und ferner, daß<lb/>
Ackerbau der kleinen Leute, der Tagelöhner, Handarbeiter u. s. w., welche die<lb/>
Gespannarbeit dazu kaufen und bezahlen müssen, geradezu demoralisirend für sie<lb/>
selbst und schädlich für den Staat wirkt. Auch in Thüringen hat der kleine<lb/>
Arbeiter eine Sehnsucht nacb einzelnen Beeten und Landstreifen. Sobald er<lb/>
durch Sparsamkeit sich in den Besitz einiger Thaler gesetzt hat, eilt er, sie ni<lb/>
solchen kleinen Parcellen anzulegen, deren große Anzahl ihm den Ankauf leicht<lb/>
macht. Er kauft theuer und kauft schlecht, denn bei der Leichtigkeit des Wechsels<lb/>
und Verkaufes kommt der gute Boden fast überall aus den Händen der kleinen<lb/>
Leute heraus in die der Reichen, und nur schlechte Ackerstreisen bleiben ihnen übrig.<lb/>
Jetzt fängt er an, deu Landwirth zu spielen. Er hält fast immer mehr Vieh, als er<lb/>
sollte, eine Kuh, wo zwei Ziegen kaum reichliche Nahrung hätten, und muß die größten<lb/>
Opfer an Zeit und vielleicht an Geld bringen, das Futter für dieselbe zu sammeln-;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0290] Gegenden Deutschlands noch über sittliche Rohheit und politische Unmündigkeit des Landmannes zu klagen haben, in dem Stolz über sein Feld und dem Be¬ hagen an seinem Eigenthum liegt das Gegengewicht gegen seine Fehler. Die herz¬ liche Freude an dem stattlichen Stück Land, dessen Furchen er mit Herrenschritten durchschreitet, giebt ihm Achtung auch vor den Rechten und dem Erwerb An¬ derer, und die Liebe zu der Fläche, welche sein Pflug fürcht, heftet ihn sest an seine Heimath, sein Vaterland, seinen Staat. Auch der Thüringer hängt an den einzelnen Ackerstreifen, aus denen seine Hufe zusammengesetzt ist, aber es ist ein schwächliches Gefühl, es ist weder rechtes Behagen dabei, noch geht Selbstgefühl dar¬ aus hervor. Freilich macht es ihn höflich und rücksichtsvoll, daß er bei jedem Schritte an den Grenzstein eines Nachbars stößt, ja es befördert bis zu einem gewissen Grade den Gemeinsinn, daß sein Land nur in Verbindung mit dem Acker der übrigen Gemeindeglieder etwas vorstellt, nud daß er hundertmal den Grund des Nachbars braucht, um auf deu seinen zu kommen, aber es verhindert ihn auch, als Einzelner ein tüchtiger Mann zu werden, der im Nothfall seinen eigenen Weg zu gehen weiß und sicher in seinen eigenen Stiefeln steht. Statt eines derben, starken, sichern Egoismus hat er den kleinen, vorsichtigen, begehrlichen, und wäre die alte Gutmüthigkeit im Lande nicht groß, so würde seine Schwäche noch unan¬ genehmer in das Auge fallen. Die rechte Liebe zu seiner Heimath und seinem Vater¬ lande hat der Bauer mit zersplitertem Grundbesitz auch uicht. Es ist kein Zufall, daß die meisten Auswanderer uach Amerika aus den deutsche» Ländern komme»/ in welchen der Grundbesitz zerrissen ist. Der größte Uebelstand aber ist, daß die leichte Theilung des Untergrundes ein Ackerbauproletariat und unproductiven Landbau befördert. Es ist bereits mehrfach in diesen Blättern ausgeführt wordeu, daß aller Grundbesitz, welcher unter den gewöhnlichen ländlichen Verhältnissen nicht im Stande ist, zwei Pferde zu erhalten, dem, welcher ihn treibt, kein Gedeihen bringt, und dem Lande keine überschießenden Capitalien, welche die Kraft desselben erhöhen; und ferner, daß Ackerbau der kleinen Leute, der Tagelöhner, Handarbeiter u. s. w., welche die Gespannarbeit dazu kaufen und bezahlen müssen, geradezu demoralisirend für sie selbst und schädlich für den Staat wirkt. Auch in Thüringen hat der kleine Arbeiter eine Sehnsucht nacb einzelnen Beeten und Landstreifen. Sobald er durch Sparsamkeit sich in den Besitz einiger Thaler gesetzt hat, eilt er, sie ni solchen kleinen Parcellen anzulegen, deren große Anzahl ihm den Ankauf leicht macht. Er kauft theuer und kauft schlecht, denn bei der Leichtigkeit des Wechsels und Verkaufes kommt der gute Boden fast überall aus den Händen der kleinen Leute heraus in die der Reichen, und nur schlechte Ackerstreisen bleiben ihnen übrig. Jetzt fängt er an, deu Landwirth zu spielen. Er hält fast immer mehr Vieh, als er sollte, eine Kuh, wo zwei Ziegen kaum reichliche Nahrung hätten, und muß die größten Opfer an Zeit und vielleicht an Geld bringen, das Futter für dieselbe zu sammeln-;

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/290
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/290>, abgerufen am 30.05.2024.