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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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ganze französische Volk für wahnsinnig erklärte, verfiel in ein gewisses Staunen
über diese Disciplin der Verrückten.

Der letzte Grund der strengen Disciplin ist nicht nnr die unbestimmte
Größe, welche man französische Nationalität nennt, sondern die sehr verständige,
intelligente Behandlung der Soldaten. Das unaufhörliche Bestreben der Officiere
aller Grade ist, ihre Leute an eigenes Nachdenken zu gewöhnen. Der franzö¬
sische Soldat wird nicht als seelenlose Maschine, wie vielfach noch bei uns der
Fall, behandelt, sondnn mau ehrt bei ihm auch deu nachdenkenden, mit Vernunft
begabten Menschen. In Deutschland hört man von Officieren noch häufig: "die
dümmsten Soldaten sind uns die liebsten"; in Frankreich sagt der Officier: "nur
der intelligente Soldat ist zu gebrauchen." Deshalb werden dem Recruten vom
ersten Augenblick seiner Dienstzeit an die Grüude auseiuaudergescht, warum dies'
oder jenes gerade so und uicht auf eine audere Weise gemacht werden müsse. Die
Bedeutung der einzelnen Bewegungen, ja selbst Handgriffe, und wie Eins dabei
aus dem Andern folgen müsse, und selbst das Kleinste nicht als zu gering ver¬
nachlässigt werden dürfe, wird ihnen erklärt. Beim Exerciren auf den Caserncn-
hvfen geht eine theoretische Unterweisung vorher von allem Neuen, was sie gleich
darauf praktisch lerne" müssen. Und um sicher zu sein, daß sie dieselbe auch
begriffen haben, werden hänfig Recruten aus dem Gliede genommen und beauf¬
tragt, ihren Kameraden zur Stelle die gleiche theoretische Unterweisung zu er¬
theilen, welche sie so eben selbst empfangen haben. So bildet man das Nach¬
denken der Soldaten schon frühzeitig aus, macht die Einzelnen zu Vertretern
und Aposteln der neuen Lehre, und bewirkt dadurch, daß bei allen complicirtere"
Manövern und Exercitien im französischen Heere so ungleich weniger Irrungen
und Stockungen vorkommen als irgendwo anders. Dieses eigene Nachdenken
sagt aber den französischen Soldaten selbst viel besser, wie alle Befehle es thun
würden, daß ohne strenge Disciplin kein Heer bestehen könne, ja daß nächst dein
Muthe die unbedingteste Subordination die Haupteigenschaft für einen tüchtige"
militairischen .Krieger sein müsse. Daß aber Frankreichs Heer ein tüchtig^
sei, will jeder französische Soldat, und er fühlt tief, daß es für ihn, der die
Uniform desselben trägt, eine Schande sein werde, einem weniger guten Regi-
mente anzugehören. Selbst der rötheste Republikaner im Heere weiß, daß se"^
Wünsche nicht ohne Krieg ausgeführt werdeu können, und in diesem Kriege eine
strenge Disciplin dann ein unendlicher Vorzug jedes Heeres sein wird. ES gie^
im französischen Heere eine Menge rother Republikaner, die nichts sehnlicher wün¬
schen, als die rothen Fahnen auf allen Thürmen der europäischen Städte aufzu-
pflanzen. Aber gerade die wüthendsten Socialdemokraten sind im Dienst die p>>"^
liebsten Soldaten, ja wachen darüber, daß selbst bei ihren Kameraden eine muste^
hafte Disciplin bestehe. Selbst die provisorische Regierung im Februar
hat die Armee nicht reducirt, die Disciplin der Regimenter nicht erschüttern lasse",


ganze französische Volk für wahnsinnig erklärte, verfiel in ein gewisses Staunen
über diese Disciplin der Verrückten.

Der letzte Grund der strengen Disciplin ist nicht nnr die unbestimmte
Größe, welche man französische Nationalität nennt, sondern die sehr verständige,
intelligente Behandlung der Soldaten. Das unaufhörliche Bestreben der Officiere
aller Grade ist, ihre Leute an eigenes Nachdenken zu gewöhnen. Der franzö¬
sische Soldat wird nicht als seelenlose Maschine, wie vielfach noch bei uns der
Fall, behandelt, sondnn mau ehrt bei ihm auch deu nachdenkenden, mit Vernunft
begabten Menschen. In Deutschland hört man von Officieren noch häufig: „die
dümmsten Soldaten sind uns die liebsten"; in Frankreich sagt der Officier: „nur
der intelligente Soldat ist zu gebrauchen." Deshalb werden dem Recruten vom
ersten Augenblick seiner Dienstzeit an die Grüude auseiuaudergescht, warum dies'
oder jenes gerade so und uicht auf eine audere Weise gemacht werden müsse. Die
Bedeutung der einzelnen Bewegungen, ja selbst Handgriffe, und wie Eins dabei
aus dem Andern folgen müsse, und selbst das Kleinste nicht als zu gering ver¬
nachlässigt werden dürfe, wird ihnen erklärt. Beim Exerciren auf den Caserncn-
hvfen geht eine theoretische Unterweisung vorher von allem Neuen, was sie gleich
darauf praktisch lerne« müssen. Und um sicher zu sein, daß sie dieselbe auch
begriffen haben, werden hänfig Recruten aus dem Gliede genommen und beauf¬
tragt, ihren Kameraden zur Stelle die gleiche theoretische Unterweisung zu er¬
theilen, welche sie so eben selbst empfangen haben. So bildet man das Nach¬
denken der Soldaten schon frühzeitig aus, macht die Einzelnen zu Vertretern
und Aposteln der neuen Lehre, und bewirkt dadurch, daß bei allen complicirtere»
Manövern und Exercitien im französischen Heere so ungleich weniger Irrungen
und Stockungen vorkommen als irgendwo anders. Dieses eigene Nachdenken
sagt aber den französischen Soldaten selbst viel besser, wie alle Befehle es thun
würden, daß ohne strenge Disciplin kein Heer bestehen könne, ja daß nächst dein
Muthe die unbedingteste Subordination die Haupteigenschaft für einen tüchtige"
militairischen .Krieger sein müsse. Daß aber Frankreichs Heer ein tüchtig^
sei, will jeder französische Soldat, und er fühlt tief, daß es für ihn, der die
Uniform desselben trägt, eine Schande sein werde, einem weniger guten Regi-
mente anzugehören. Selbst der rötheste Republikaner im Heere weiß, daß se"^
Wünsche nicht ohne Krieg ausgeführt werdeu können, und in diesem Kriege eine
strenge Disciplin dann ein unendlicher Vorzug jedes Heeres sein wird. ES gie^
im französischen Heere eine Menge rother Republikaner, die nichts sehnlicher wün¬
schen, als die rothen Fahnen auf allen Thürmen der europäischen Städte aufzu-
pflanzen. Aber gerade die wüthendsten Socialdemokraten sind im Dienst die p>>»^
liebsten Soldaten, ja wachen darüber, daß selbst bei ihren Kameraden eine muste^
hafte Disciplin bestehe. Selbst die provisorische Regierung im Februar
hat die Armee nicht reducirt, die Disciplin der Regimenter nicht erschüttern lasse»,


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[0412] ganze französische Volk für wahnsinnig erklärte, verfiel in ein gewisses Staunen über diese Disciplin der Verrückten. Der letzte Grund der strengen Disciplin ist nicht nnr die unbestimmte Größe, welche man französische Nationalität nennt, sondern die sehr verständige, intelligente Behandlung der Soldaten. Das unaufhörliche Bestreben der Officiere aller Grade ist, ihre Leute an eigenes Nachdenken zu gewöhnen. Der franzö¬ sische Soldat wird nicht als seelenlose Maschine, wie vielfach noch bei uns der Fall, behandelt, sondnn mau ehrt bei ihm auch deu nachdenkenden, mit Vernunft begabten Menschen. In Deutschland hört man von Officieren noch häufig: „die dümmsten Soldaten sind uns die liebsten"; in Frankreich sagt der Officier: „nur der intelligente Soldat ist zu gebrauchen." Deshalb werden dem Recruten vom ersten Augenblick seiner Dienstzeit an die Grüude auseiuaudergescht, warum dies' oder jenes gerade so und uicht auf eine audere Weise gemacht werden müsse. Die Bedeutung der einzelnen Bewegungen, ja selbst Handgriffe, und wie Eins dabei aus dem Andern folgen müsse, und selbst das Kleinste nicht als zu gering ver¬ nachlässigt werden dürfe, wird ihnen erklärt. Beim Exerciren auf den Caserncn- hvfen geht eine theoretische Unterweisung vorher von allem Neuen, was sie gleich darauf praktisch lerne« müssen. Und um sicher zu sein, daß sie dieselbe auch begriffen haben, werden hänfig Recruten aus dem Gliede genommen und beauf¬ tragt, ihren Kameraden zur Stelle die gleiche theoretische Unterweisung zu er¬ theilen, welche sie so eben selbst empfangen haben. So bildet man das Nach¬ denken der Soldaten schon frühzeitig aus, macht die Einzelnen zu Vertretern und Aposteln der neuen Lehre, und bewirkt dadurch, daß bei allen complicirtere» Manövern und Exercitien im französischen Heere so ungleich weniger Irrungen und Stockungen vorkommen als irgendwo anders. Dieses eigene Nachdenken sagt aber den französischen Soldaten selbst viel besser, wie alle Befehle es thun würden, daß ohne strenge Disciplin kein Heer bestehen könne, ja daß nächst dein Muthe die unbedingteste Subordination die Haupteigenschaft für einen tüchtige" militairischen .Krieger sein müsse. Daß aber Frankreichs Heer ein tüchtig^ sei, will jeder französische Soldat, und er fühlt tief, daß es für ihn, der die Uniform desselben trägt, eine Schande sein werde, einem weniger guten Regi- mente anzugehören. Selbst der rötheste Republikaner im Heere weiß, daß se"^ Wünsche nicht ohne Krieg ausgeführt werdeu können, und in diesem Kriege eine strenge Disciplin dann ein unendlicher Vorzug jedes Heeres sein wird. ES gie^ im französischen Heere eine Menge rother Republikaner, die nichts sehnlicher wün¬ schen, als die rothen Fahnen auf allen Thürmen der europäischen Städte aufzu- pflanzen. Aber gerade die wüthendsten Socialdemokraten sind im Dienst die p>>»^ liebsten Soldaten, ja wachen darüber, daß selbst bei ihren Kameraden eine muste^ hafte Disciplin bestehe. Selbst die provisorische Regierung im Februar hat die Armee nicht reducirt, die Disciplin der Regimenter nicht erschüttern lasse»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/412>, abgerufen am 28.04.2024.