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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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weil sie fühlte, daß ein Kampf mit fremden Heeren am Ende doch nöthig sein
würde, um ihren Grundsätzen allgemeine Durchführung zu verschaffen. Jener Un¬
sinn, den die äußerste Linke der deutschen Nationalversammlung trieb, die fast in
einer und derselben Sitzung alle stehenden Heere-.abgeschafft, und einen Krieg gegen
Rußland mit Bürgerwchren und Freischaaren geführt haben wollte, wird von den
wildesten französischen Montagnards nie beantragt werden. Es kann in Frank¬
reich nie vorkommen, wie man es selbst in Schleswig-Holstein nur z,r sehr em¬
pfinden mußte, daß demokratische Agenten die Disciplin in einem Heere, das
gegen den Feind kämpft, zu zerstören suchen, blos weil der Begriff der Subor¬
dination nicht mit ihren Ansichten übereinstimmt. Der gleichsam militärische
Jnstinct und der'hohe Grad von Nativnalehre, der jedem Franzosen, mag er auch
noch so verschiedener politischer Ansicht sein, fast durchgängig innewohnt, wird
dergleichen Unfug von selbst verhüten. Das wildeste französische Freicorps, ans den
tollsten Pariser Gamins gebildet, wird in den ersten Tagen seines Bestehens gleich
eine ganz andere Disciplin bei sich einführen, seinen selbstgewählten Officieren viel
strenger gehorchen, wie z.B. die deutschen Freischaaren 184-8 und 18i9 in Schles¬
wig-Holstein und Baden thaten, denen Ordnung und Gehorsam ziemlich unbekannte
Begriffe waren. Schon der französische Recrut weiß, daß ein Heer noch immer
besser daran ist, wo Einer selbst schlechte Befehle giebt und die Anderen pünktlich
^horchen, als wenn Alle kluge Befehle geben wollen.

TroK dem pünktlichen Gehorsam, den die Befehle der Oberen finden, wird
das französische Heer sich nie ans lange zum willenlosen Werkzeug der Revolution im
eigenen Lande gebrauchen lasse". Es ist das Heer Frankreichs, nicht ein Heer
des Königs oder Präsidenten. Diesen großen Unterschied hält man in der
Armee stets fest. Gegen Emeuten, selbst wenn sie so groß sind, wie
z. B. im Juni 18i8 in Paris, kämpft der französische Soldat mit der größten
Hingebung; gegen die Mehrheit der Nationalgarde wird er sich auf die Länge
nie gebrauchen lassen. Sobald in Paris, dem Centrum Frankreichs, die National-
garde sich gegen eine Sache entschieden hat, werden die Soldaten einmüthig den
Befehlen ihrer Oberen, welche sie nach der entgegengesetzten Seite führen wollten,
den Gehorsam versagen. In den Jahren 30 und 48 hat man dies gesehen,
und man wird dies jetzt wieder erfahren, sobald ein ähnliches Ereigniß nochmals
eintreten sollte. Trotz aller Bankette wird der jetzige Präsident das Heer nicht
länger zu seinem Staatsstreich mißbrauchen können, bis der Kern des fran¬
zösischen Volkes sein Urtheil darüber abgegeben hat. Diese hohe Achtung, die
der französische Soldat vor der Volkssonverainetät (im bessern Sinne des Wortes)
hat, ist etwas Großes in ihm. Er ist als Einzelner oft sehr übermüthig, stolz
auf seinen Stand als Soldat, blickt mit Geringschätzung 'auf den "pv<Ma"
(Spießbürger) herab. Die längere Dienstzeit, die größere Entfernung vom
heimathlichen Herde, der häufige Wechsel der Garnisonen entfremdet ihn dem
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Grenzboten. IV, I8LI. , x-,

weil sie fühlte, daß ein Kampf mit fremden Heeren am Ende doch nöthig sein
würde, um ihren Grundsätzen allgemeine Durchführung zu verschaffen. Jener Un¬
sinn, den die äußerste Linke der deutschen Nationalversammlung trieb, die fast in
einer und derselben Sitzung alle stehenden Heere-.abgeschafft, und einen Krieg gegen
Rußland mit Bürgerwchren und Freischaaren geführt haben wollte, wird von den
wildesten französischen Montagnards nie beantragt werden. Es kann in Frank¬
reich nie vorkommen, wie man es selbst in Schleswig-Holstein nur z,r sehr em¬
pfinden mußte, daß demokratische Agenten die Disciplin in einem Heere, das
gegen den Feind kämpft, zu zerstören suchen, blos weil der Begriff der Subor¬
dination nicht mit ihren Ansichten übereinstimmt. Der gleichsam militärische
Jnstinct und der'hohe Grad von Nativnalehre, der jedem Franzosen, mag er auch
noch so verschiedener politischer Ansicht sein, fast durchgängig innewohnt, wird
dergleichen Unfug von selbst verhüten. Das wildeste französische Freicorps, ans den
tollsten Pariser Gamins gebildet, wird in den ersten Tagen seines Bestehens gleich
eine ganz andere Disciplin bei sich einführen, seinen selbstgewählten Officieren viel
strenger gehorchen, wie z.B. die deutschen Freischaaren 184-8 und 18i9 in Schles¬
wig-Holstein und Baden thaten, denen Ordnung und Gehorsam ziemlich unbekannte
Begriffe waren. Schon der französische Recrut weiß, daß ein Heer noch immer
besser daran ist, wo Einer selbst schlechte Befehle giebt und die Anderen pünktlich
^horchen, als wenn Alle kluge Befehle geben wollen.

TroK dem pünktlichen Gehorsam, den die Befehle der Oberen finden, wird
das französische Heer sich nie ans lange zum willenlosen Werkzeug der Revolution im
eigenen Lande gebrauchen lasse». Es ist das Heer Frankreichs, nicht ein Heer
des Königs oder Präsidenten. Diesen großen Unterschied hält man in der
Armee stets fest. Gegen Emeuten, selbst wenn sie so groß sind, wie
z. B. im Juni 18i8 in Paris, kämpft der französische Soldat mit der größten
Hingebung; gegen die Mehrheit der Nationalgarde wird er sich auf die Länge
nie gebrauchen lassen. Sobald in Paris, dem Centrum Frankreichs, die National-
garde sich gegen eine Sache entschieden hat, werden die Soldaten einmüthig den
Befehlen ihrer Oberen, welche sie nach der entgegengesetzten Seite führen wollten,
den Gehorsam versagen. In den Jahren 30 und 48 hat man dies gesehen,
und man wird dies jetzt wieder erfahren, sobald ein ähnliches Ereigniß nochmals
eintreten sollte. Trotz aller Bankette wird der jetzige Präsident das Heer nicht
länger zu seinem Staatsstreich mißbrauchen können, bis der Kern des fran¬
zösischen Volkes sein Urtheil darüber abgegeben hat. Diese hohe Achtung, die
der französische Soldat vor der Volkssonverainetät (im bessern Sinne des Wortes)
hat, ist etwas Großes in ihm. Er ist als Einzelner oft sehr übermüthig, stolz
auf seinen Stand als Soldat, blickt mit Geringschätzung 'auf den „pv<Ma"
(Spießbürger) herab. Die längere Dienstzeit, die größere Entfernung vom
heimathlichen Herde, der häufige Wechsel der Garnisonen entfremdet ihn dem
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/413>, abgerufen am 13.05.2024.