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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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alten Lebensgewohnheiten wieder an, und einer seiner Kerkergenvssen erzählt:
"Er brauchte stets drei Stunden zu seiner Toilette, rasirte sich täglich, und wusch
sich jeden Morgen am ganzen Körper. Zu diesem in der Geschichte des Gefäng¬
nisses unerhörten Neinignngsproceß brauchte er stets -12 ---Il> Litres Wasser und
zwei Kannen Milch." Der Gläubiger Brummells hatte sich in seiner Rech¬
nung, daß die Freunde des alten Dandy sich durch seine Noth, zur Bezahlung
seiner Schulden bewegen lassen würden, nicht getäuscht. Der getreue Armstrong
eilte abermals nach London, und brachte durch Vermittelung des Herzogs von
Beaufort und Lord Alvanleys eine beträchtliche Summe zusammen, zu welcher
Lord Palmerstvw noch 200 Louisd'vrs als Entschädigung für die Aushebung des
Consulats in Caen fügte. Mit dem Ertrag konnte nicht nur der Banquier in Calais,
der mehr als -13,000 Fr. zu fordern hatte, sondern auch sämmtliche Gläubiger
in Caen befriedigt werden. Außerdem setzten einige Freunde Brnmmells ihm eine
jährliche Pension von 3000 Fr. aus.

An demselben Tage, wo Brnmmell das Schuldgefängniß verließ, erschien er
auf dem Ball. Er hatte seine ganze Heiterkeit wieder gewonnen. "Heute ist der
schönste Tag meines Lebens," sagte er ernst, "denn ich habe den Schuldthurm hinter
mir und .. . ich habe Lachs gegessen." Doch sing er von diesem Augenblicke schnell
zu sinken an. Er war Gourmand geblieben, und da er nicht mehr auf eigene
Kosten seine Neigung befriedigen konnte, dinirte er ohne Scrupel auf Anderer
Unkosten. Er war allmählich eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt und ein
unentbehrlicher Schmuck der 6'Kot.c; geworden. Der früher so Exclusive ver¬
schmähte jetzt nicht mehr, von einem Fremden eine Flasche Champagner anzunehmen.
Außerdem gab er einen großen Theil seiner Pension für b>!in alö <.!c>1oM"z und
Firniß für seine Stiefeln aus, den er direct aus Paris kommen ließ. Zuletzt
sah sich Armstrong, sein Agent, zu der öffentlichen Anzeige genöthigt, daß er nur
Rechnungen bezahlen könne, die vorher von ihm selbst vidimirt worden. Den¬
noch entschloß sich Brnmmell damals zu einer großen Einschränkung in seiner
Lebensweise; er begnügte sich schwarze Halstücher zu tragen. Das war für ihn
ein Ereigniß, ein Abschied von der Welt der Fashion; aber es war anch der Anfang
des Endes. Der alte Dandy fing bald an, die Sorgfalt für sein Aeußeres zu ver¬
nachlässigen, die früher die Hauptbeschäftigung seines Lebens gewesen -- ein sicheres
Zeichen, daß sein Geist schwach wurde. Er hatte nur noch den animalischen Trieb des
Appetits, und aß mit einer solchen Gefräßigkeit, daß mau ihm die labt" ä'todt!
kündigen mußte. Bald verwirrte sich sein Geist so, daß man ihm einen Wächter
geben mußte. In diesem Zustande gewährte er einen traurigen Anblick. "Manch¬
mal," erzählt Capitain Jesse, "verfiel er in seinem Irrsinn ans den.Gedanke",
ein Festin zu geben, und alle Gefährten seiner frühern glänzenden Laufbahn, deren
viele schon todt waren, einzuladen. Er ließ dann seine Zimmer einrichten,
den Whisttisch hinstellen, und die Kerzen (simple Talglichter) anbrennen. UM


alten Lebensgewohnheiten wieder an, und einer seiner Kerkergenvssen erzählt:
„Er brauchte stets drei Stunden zu seiner Toilette, rasirte sich täglich, und wusch
sich jeden Morgen am ganzen Körper. Zu diesem in der Geschichte des Gefäng¬
nisses unerhörten Neinignngsproceß brauchte er stets -12 —-Il> Litres Wasser und
zwei Kannen Milch." Der Gläubiger Brummells hatte sich in seiner Rech¬
nung, daß die Freunde des alten Dandy sich durch seine Noth, zur Bezahlung
seiner Schulden bewegen lassen würden, nicht getäuscht. Der getreue Armstrong
eilte abermals nach London, und brachte durch Vermittelung des Herzogs von
Beaufort und Lord Alvanleys eine beträchtliche Summe zusammen, zu welcher
Lord Palmerstvw noch 200 Louisd'vrs als Entschädigung für die Aushebung des
Consulats in Caen fügte. Mit dem Ertrag konnte nicht nur der Banquier in Calais,
der mehr als -13,000 Fr. zu fordern hatte, sondern auch sämmtliche Gläubiger
in Caen befriedigt werden. Außerdem setzten einige Freunde Brnmmells ihm eine
jährliche Pension von 3000 Fr. aus.

An demselben Tage, wo Brnmmell das Schuldgefängniß verließ, erschien er
auf dem Ball. Er hatte seine ganze Heiterkeit wieder gewonnen. „Heute ist der
schönste Tag meines Lebens," sagte er ernst, „denn ich habe den Schuldthurm hinter
mir und .. . ich habe Lachs gegessen." Doch sing er von diesem Augenblicke schnell
zu sinken an. Er war Gourmand geblieben, und da er nicht mehr auf eigene
Kosten seine Neigung befriedigen konnte, dinirte er ohne Scrupel auf Anderer
Unkosten. Er war allmählich eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt und ein
unentbehrlicher Schmuck der 6'Kot.c; geworden. Der früher so Exclusive ver¬
schmähte jetzt nicht mehr, von einem Fremden eine Flasche Champagner anzunehmen.
Außerdem gab er einen großen Theil seiner Pension für b>!in alö <.!c>1oM«z und
Firniß für seine Stiefeln aus, den er direct aus Paris kommen ließ. Zuletzt
sah sich Armstrong, sein Agent, zu der öffentlichen Anzeige genöthigt, daß er nur
Rechnungen bezahlen könne, die vorher von ihm selbst vidimirt worden. Den¬
noch entschloß sich Brnmmell damals zu einer großen Einschränkung in seiner
Lebensweise; er begnügte sich schwarze Halstücher zu tragen. Das war für ihn
ein Ereigniß, ein Abschied von der Welt der Fashion; aber es war anch der Anfang
des Endes. Der alte Dandy fing bald an, die Sorgfalt für sein Aeußeres zu ver¬
nachlässigen, die früher die Hauptbeschäftigung seines Lebens gewesen — ein sicheres
Zeichen, daß sein Geist schwach wurde. Er hatte nur noch den animalischen Trieb des
Appetits, und aß mit einer solchen Gefräßigkeit, daß mau ihm die labt« ä'todt!
kündigen mußte. Bald verwirrte sich sein Geist so, daß man ihm einen Wächter
geben mußte. In diesem Zustande gewährte er einen traurigen Anblick. „Manch¬
mal," erzählt Capitain Jesse, „verfiel er in seinem Irrsinn ans den.Gedanke»,
ein Festin zu geben, und alle Gefährten seiner frühern glänzenden Laufbahn, deren
viele schon todt waren, einzuladen. Er ließ dann seine Zimmer einrichten,
den Whisttisch hinstellen, und die Kerzen (simple Talglichter) anbrennen. UM


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[0430] alten Lebensgewohnheiten wieder an, und einer seiner Kerkergenvssen erzählt: „Er brauchte stets drei Stunden zu seiner Toilette, rasirte sich täglich, und wusch sich jeden Morgen am ganzen Körper. Zu diesem in der Geschichte des Gefäng¬ nisses unerhörten Neinignngsproceß brauchte er stets -12 —-Il> Litres Wasser und zwei Kannen Milch." Der Gläubiger Brummells hatte sich in seiner Rech¬ nung, daß die Freunde des alten Dandy sich durch seine Noth, zur Bezahlung seiner Schulden bewegen lassen würden, nicht getäuscht. Der getreue Armstrong eilte abermals nach London, und brachte durch Vermittelung des Herzogs von Beaufort und Lord Alvanleys eine beträchtliche Summe zusammen, zu welcher Lord Palmerstvw noch 200 Louisd'vrs als Entschädigung für die Aushebung des Consulats in Caen fügte. Mit dem Ertrag konnte nicht nur der Banquier in Calais, der mehr als -13,000 Fr. zu fordern hatte, sondern auch sämmtliche Gläubiger in Caen befriedigt werden. Außerdem setzten einige Freunde Brnmmells ihm eine jährliche Pension von 3000 Fr. aus. An demselben Tage, wo Brnmmell das Schuldgefängniß verließ, erschien er auf dem Ball. Er hatte seine ganze Heiterkeit wieder gewonnen. „Heute ist der schönste Tag meines Lebens," sagte er ernst, „denn ich habe den Schuldthurm hinter mir und .. . ich habe Lachs gegessen." Doch sing er von diesem Augenblicke schnell zu sinken an. Er war Gourmand geblieben, und da er nicht mehr auf eigene Kosten seine Neigung befriedigen konnte, dinirte er ohne Scrupel auf Anderer Unkosten. Er war allmählich eine der Sehenswürdigkeiten der Stadt und ein unentbehrlicher Schmuck der 6'Kot.c; geworden. Der früher so Exclusive ver¬ schmähte jetzt nicht mehr, von einem Fremden eine Flasche Champagner anzunehmen. Außerdem gab er einen großen Theil seiner Pension für b>!in alö <.!c>1oM«z und Firniß für seine Stiefeln aus, den er direct aus Paris kommen ließ. Zuletzt sah sich Armstrong, sein Agent, zu der öffentlichen Anzeige genöthigt, daß er nur Rechnungen bezahlen könne, die vorher von ihm selbst vidimirt worden. Den¬ noch entschloß sich Brnmmell damals zu einer großen Einschränkung in seiner Lebensweise; er begnügte sich schwarze Halstücher zu tragen. Das war für ihn ein Ereigniß, ein Abschied von der Welt der Fashion; aber es war anch der Anfang des Endes. Der alte Dandy fing bald an, die Sorgfalt für sein Aeußeres zu ver¬ nachlässigen, die früher die Hauptbeschäftigung seines Lebens gewesen — ein sicheres Zeichen, daß sein Geist schwach wurde. Er hatte nur noch den animalischen Trieb des Appetits, und aß mit einer solchen Gefräßigkeit, daß mau ihm die labt« ä'todt! kündigen mußte. Bald verwirrte sich sein Geist so, daß man ihm einen Wächter geben mußte. In diesem Zustande gewährte er einen traurigen Anblick. „Manch¬ mal," erzählt Capitain Jesse, „verfiel er in seinem Irrsinn ans den.Gedanke», ein Festin zu geben, und alle Gefährten seiner frühern glänzenden Laufbahn, deren viele schon todt waren, einzuladen. Er ließ dann seine Zimmer einrichten, den Whisttisch hinstellen, und die Kerzen (simple Talglichter) anbrennen. UM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/430>, abgerufen am 28.04.2024.