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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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dar; das Portrait war nicht sehr geschmeichelt, und vielleicht eben deshalb hatte
es Brummell zur Verzierung gewählt. Auf der Straße zog er vor Niemandem
den Hut, selbst nicht vor einer Dame; es hätte zu viel Mühe gekostet, ihn wieder
gehörig an Ort und Stelle zu bringen, denn er setzte ihn stets mit der aller¬
größten Sorgfalt auf; außerdem hätte die Frisur leicht in Unordnung kommen
können, und dieses Unglück mußte um jeden Preis vermieden werden. Bei schönem
Wetter erwiderte er den Gruß seiner Freunde durch eine leichte Kopfneigung
oder eine Bewegung der Hand. Bei schlechtem Wetter hatte er viel zu viel zu
thun, um die sichern Steine auszusuchen, als daß er sich um etwas Anderes hätte
bekümmern können. Wenn ich bei nassem Wetter mit ihm ausging, unterließ er
nie mich zu bitten, ihm nicht zu nahe zu kommen, ein Wunsch, dem ich zuletzt
ganz mechanisch zuvorkam."

In Caen befand sich Brummell bei weitem nicht so wohl als in Calais.
Seine Freunde hielten ihn für versorgt, und schickten ihm kein Geld mehr. Auch
war sein neuer Aufenthaltsort vou der großen Heerstraße der Touristen abgelegen,
und bei weitem keine so gute Station wie Calais für eiuen Mann wie Brummell,
der von seinen vornehmen Freunden stets Tribut zu erheben wußte. Er saß schon
wieder bis über die Ohren in Schulden, als Lord Palmerston sich zur Aufhebung des
Konsulats von Caen veranlaßt sah, das nach Brummelis eigener, nicht ganz un¬
eigennütziger Aussage -- er hoffte nach Italien versetzt zu werden, -- ganz
unnütz war. Plötzlich seines ganzen Einkommens beraubt, sah sich Brummell nun
genöthigt, sich an seine Freunde in London zu wenden, und er sandte zu diesem
Zwecke einen in Caen ansässigen englischen Kaufmann, Armstrong, nach England.
Dieser fand dort geneigtes Gehör; die vornehmen Freunde Brummells, Lord
Wellington und Lord Alvcmley an der Spitze, eröffneten eine Subscription, und
der Gesandte Brummells kam mit einer ziemlich beträchtlichen Summe zurück,
welche aber doch nur zur Deckung der laufenden Schulden genügte. Der
Hauptgläubiger, der Banquier von Calais, blieb immer noch unbefriedigt.
Er verlor die Geduld, und ließ im Frühjahr -1833 seinen Schuldner verhaften.
Brummell lag uoch im Bett und schlief, als die Gerichtsdiener erschienen. Um¬
sonst verlangte er, allein gelassen zu werden, um sich anzukleiden. "Wer Brummell
gekannt hat," sagt sein Biograph, "kann sich denken, welche Wirkung diese
Weigerung ans den eitlen Dandy, der gewohnt war, mit so ausgesuchter Sorg¬
falt Toilette zu machen, hervorbringen mußte. Vielleicht das erste Mal in seinein
Leben mußte er sich in Eile anziehen."

Die ersten Tage seines Gesaugeuenlebens verbrachte er in der größten Nieder¬
gedrücktheit. Alle die Ueberflüssigkeiten des Lebens, die ihm allmählich unentbehrlich
geworden waren, fehlten ihm nun aus einmal. Er fing erst wieder an auszu¬
leben, als er sich wieder im Besitz seiner Seifen, seiner Pommciden, seines Lau
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dar; das Portrait war nicht sehr geschmeichelt, und vielleicht eben deshalb hatte
es Brummell zur Verzierung gewählt. Auf der Straße zog er vor Niemandem
den Hut, selbst nicht vor einer Dame; es hätte zu viel Mühe gekostet, ihn wieder
gehörig an Ort und Stelle zu bringen, denn er setzte ihn stets mit der aller¬
größten Sorgfalt auf; außerdem hätte die Frisur leicht in Unordnung kommen
können, und dieses Unglück mußte um jeden Preis vermieden werden. Bei schönem
Wetter erwiderte er den Gruß seiner Freunde durch eine leichte Kopfneigung
oder eine Bewegung der Hand. Bei schlechtem Wetter hatte er viel zu viel zu
thun, um die sichern Steine auszusuchen, als daß er sich um etwas Anderes hätte
bekümmern können. Wenn ich bei nassem Wetter mit ihm ausging, unterließ er
nie mich zu bitten, ihm nicht zu nahe zu kommen, ein Wunsch, dem ich zuletzt
ganz mechanisch zuvorkam."

In Caen befand sich Brummell bei weitem nicht so wohl als in Calais.
Seine Freunde hielten ihn für versorgt, und schickten ihm kein Geld mehr. Auch
war sein neuer Aufenthaltsort vou der großen Heerstraße der Touristen abgelegen,
und bei weitem keine so gute Station wie Calais für eiuen Mann wie Brummell,
der von seinen vornehmen Freunden stets Tribut zu erheben wußte. Er saß schon
wieder bis über die Ohren in Schulden, als Lord Palmerston sich zur Aufhebung des
Konsulats von Caen veranlaßt sah, das nach Brummelis eigener, nicht ganz un¬
eigennütziger Aussage — er hoffte nach Italien versetzt zu werden, — ganz
unnütz war. Plötzlich seines ganzen Einkommens beraubt, sah sich Brummell nun
genöthigt, sich an seine Freunde in London zu wenden, und er sandte zu diesem
Zwecke einen in Caen ansässigen englischen Kaufmann, Armstrong, nach England.
Dieser fand dort geneigtes Gehör; die vornehmen Freunde Brummells, Lord
Wellington und Lord Alvcmley an der Spitze, eröffneten eine Subscription, und
der Gesandte Brummells kam mit einer ziemlich beträchtlichen Summe zurück,
welche aber doch nur zur Deckung der laufenden Schulden genügte. Der
Hauptgläubiger, der Banquier von Calais, blieb immer noch unbefriedigt.
Er verlor die Geduld, und ließ im Frühjahr -1833 seinen Schuldner verhaften.
Brummell lag uoch im Bett und schlief, als die Gerichtsdiener erschienen. Um¬
sonst verlangte er, allein gelassen zu werden, um sich anzukleiden. „Wer Brummell
gekannt hat," sagt sein Biograph, „kann sich denken, welche Wirkung diese
Weigerung ans den eitlen Dandy, der gewohnt war, mit so ausgesuchter Sorg¬
falt Toilette zu machen, hervorbringen mußte. Vielleicht das erste Mal in seinein
Leben mußte er sich in Eile anziehen."

Die ersten Tage seines Gesaugeuenlebens verbrachte er in der größten Nieder¬
gedrücktheit. Alle die Ueberflüssigkeiten des Lebens, die ihm allmählich unentbehrlich
geworden waren, fehlten ihm nun aus einmal. Er fing erst wieder an auszu¬
leben, als er sich wieder im Besitz seiner Seifen, seiner Pommciden, seines Lau
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[0429] dar; das Portrait war nicht sehr geschmeichelt, und vielleicht eben deshalb hatte es Brummell zur Verzierung gewählt. Auf der Straße zog er vor Niemandem den Hut, selbst nicht vor einer Dame; es hätte zu viel Mühe gekostet, ihn wieder gehörig an Ort und Stelle zu bringen, denn er setzte ihn stets mit der aller¬ größten Sorgfalt auf; außerdem hätte die Frisur leicht in Unordnung kommen können, und dieses Unglück mußte um jeden Preis vermieden werden. Bei schönem Wetter erwiderte er den Gruß seiner Freunde durch eine leichte Kopfneigung oder eine Bewegung der Hand. Bei schlechtem Wetter hatte er viel zu viel zu thun, um die sichern Steine auszusuchen, als daß er sich um etwas Anderes hätte bekümmern können. Wenn ich bei nassem Wetter mit ihm ausging, unterließ er nie mich zu bitten, ihm nicht zu nahe zu kommen, ein Wunsch, dem ich zuletzt ganz mechanisch zuvorkam." In Caen befand sich Brummell bei weitem nicht so wohl als in Calais. Seine Freunde hielten ihn für versorgt, und schickten ihm kein Geld mehr. Auch war sein neuer Aufenthaltsort vou der großen Heerstraße der Touristen abgelegen, und bei weitem keine so gute Station wie Calais für eiuen Mann wie Brummell, der von seinen vornehmen Freunden stets Tribut zu erheben wußte. Er saß schon wieder bis über die Ohren in Schulden, als Lord Palmerston sich zur Aufhebung des Konsulats von Caen veranlaßt sah, das nach Brummelis eigener, nicht ganz un¬ eigennütziger Aussage — er hoffte nach Italien versetzt zu werden, — ganz unnütz war. Plötzlich seines ganzen Einkommens beraubt, sah sich Brummell nun genöthigt, sich an seine Freunde in London zu wenden, und er sandte zu diesem Zwecke einen in Caen ansässigen englischen Kaufmann, Armstrong, nach England. Dieser fand dort geneigtes Gehör; die vornehmen Freunde Brummells, Lord Wellington und Lord Alvcmley an der Spitze, eröffneten eine Subscription, und der Gesandte Brummells kam mit einer ziemlich beträchtlichen Summe zurück, welche aber doch nur zur Deckung der laufenden Schulden genügte. Der Hauptgläubiger, der Banquier von Calais, blieb immer noch unbefriedigt. Er verlor die Geduld, und ließ im Frühjahr -1833 seinen Schuldner verhaften. Brummell lag uoch im Bett und schlief, als die Gerichtsdiener erschienen. Um¬ sonst verlangte er, allein gelassen zu werden, um sich anzukleiden. „Wer Brummell gekannt hat," sagt sein Biograph, „kann sich denken, welche Wirkung diese Weigerung ans den eitlen Dandy, der gewohnt war, mit so ausgesuchter Sorg¬ falt Toilette zu machen, hervorbringen mußte. Vielleicht das erste Mal in seinein Leben mußte er sich in Eile anziehen." Die ersten Tage seines Gesaugeuenlebens verbrachte er in der größten Nieder¬ gedrücktheit. Alle die Ueberflüssigkeiten des Lebens, die ihm allmählich unentbehrlich geworden waren, fehlten ihm nun aus einmal. Er fing erst wieder an auszu¬ leben, als er sich wieder im Besitz seiner Seifen, seiner Pommciden, seines Lau ü«; <^i»xnc; und seiner übrigen Toilettenbedurfnisse sah. Er nahm nun seine ' Grenzboten. IV. -ILll-I. 5t

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/429>, abgerufen am 14.05.2024.