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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Aber was ist auch das für eine närrische Plastik! Um recht kindlich und naiv zu
sein, gebraucht der Dichter aus der gewöhnlichen sinnlichen Anschauung Bilder,
die weder ihrem Zweck entsprechen, noch einen reinen Eindruck machen, am wenig¬
sten einen komischen.

"Die Nose, ein Märchensragment," ist eine Mischung von altfränki¬
schen Wesen und dem phantastischen Idealismus von Novalis. Mitunter sind
die' verwirrten Bilder dieses Fragmentes sinnig genug, und wir möchten ihnen
lauschen, aber es klingt uus wie eine fremde Sprache, von der wir nichts verstehen,
als den sinnlichen Laut. So geht einmal ein König im Garten spazieren.
"Er ging mit all seinen Gedanken in der herrlichen Nacht herum .... Bald
sah er den fliehenden Wolken nach, bald blickte er zu den Sternen hinauf, die
ihm wie schöne Blumen erschienen, welche ihren Kelch auf der blauen Fläche des
Meeres wiegen, oder er sah in den Mond und glaubte, es sielen tausend goldene
Angeln aus ihm in sein Herz, und zögen seinen Sinn ganz mit hinaus. Be¬
trachtete er aber wieder den Garten, so gefiel er ihm gar nicht mehr; er dachte
dann, er sei ja doch sein, und wenn die schimmernden Blüthen, die über ihn
ausgestreut waren, nicht alle von da oben herabfielen, so wäre er doch nicht
mehr und nicht weniger als ein großer Kirchhof, und die Bildsäulen wären lauter
Grabsteine von Schönheiten, die wir gar nicht begreifen könnten, wenn sie leben¬
dig würden. So kam er sich selbst ganz verändert vor, und konnte nicht ergrün¬
den, wie das zuging." -- Wir auch nicht.

Das "Fragment ans Godwi" leidet zwar auch an einer ziemlichen
Zusammenhangslosigkeit und an einer unklaren Erzählung, aber wir haben es
doch mit wirtlichen Menschen zu thun, an deren Empfindungen und Vorstellungen
wir wenigstens anknüpfen können. Die beiden Frauen, die in demselben auftreten,
Marie und Annuuciata, sollen die beiden Schwestern des Dichters, Maure und
Bettine, bedeuten. Die Letztere, der ideale Charakter des Romans, schreibt
einmal in ihr Tagebuch: "Ich weiß nicht, woher es kommt, aber es ist wunder¬
bar, was ich Vieles empfinde, wenn ich so über die mancherlei Blumen hinsehe.
Mein Denken verliert sich dann, in jedem Kelch ertrinken einige Begriffe von
mir, und ich fühle mich leichter als vorher, und willenloser müde. Manchmal
-sehe ich meinem Gedanken ordentlich zu, wie er sich auf dem sanften Rand der
Lilie kindisch schaukelt; aber bald ängstigt ihn die Welt um ihn herum, es ist
ihm, als wären alle Bäume und Berge, ja Alles, die ganze Erde, eine Kette
von gebundenen Ewigkeiten, und er hält sich bange am sammtnen Blnmenblatte
fest u. s. w." Was das heißen soll, können wir freilich mehr ahnen als wissen,
aber charakteristisch ist es in der That, wenigstens hätte es Bettine eben so gut


Aber was ist auch das für eine närrische Plastik! Um recht kindlich und naiv zu
sein, gebraucht der Dichter aus der gewöhnlichen sinnlichen Anschauung Bilder,
die weder ihrem Zweck entsprechen, noch einen reinen Eindruck machen, am wenig¬
sten einen komischen.

„Die Nose, ein Märchensragment," ist eine Mischung von altfränki¬
schen Wesen und dem phantastischen Idealismus von Novalis. Mitunter sind
die' verwirrten Bilder dieses Fragmentes sinnig genug, und wir möchten ihnen
lauschen, aber es klingt uus wie eine fremde Sprache, von der wir nichts verstehen,
als den sinnlichen Laut. So geht einmal ein König im Garten spazieren.
„Er ging mit all seinen Gedanken in der herrlichen Nacht herum .... Bald
sah er den fliehenden Wolken nach, bald blickte er zu den Sternen hinauf, die
ihm wie schöne Blumen erschienen, welche ihren Kelch auf der blauen Fläche des
Meeres wiegen, oder er sah in den Mond und glaubte, es sielen tausend goldene
Angeln aus ihm in sein Herz, und zögen seinen Sinn ganz mit hinaus. Be¬
trachtete er aber wieder den Garten, so gefiel er ihm gar nicht mehr; er dachte
dann, er sei ja doch sein, und wenn die schimmernden Blüthen, die über ihn
ausgestreut waren, nicht alle von da oben herabfielen, so wäre er doch nicht
mehr und nicht weniger als ein großer Kirchhof, und die Bildsäulen wären lauter
Grabsteine von Schönheiten, die wir gar nicht begreifen könnten, wenn sie leben¬
dig würden. So kam er sich selbst ganz verändert vor, und konnte nicht ergrün¬
den, wie das zuging." — Wir auch nicht.

Das „Fragment ans Godwi" leidet zwar auch an einer ziemlichen
Zusammenhangslosigkeit und an einer unklaren Erzählung, aber wir haben es
doch mit wirtlichen Menschen zu thun, an deren Empfindungen und Vorstellungen
wir wenigstens anknüpfen können. Die beiden Frauen, die in demselben auftreten,
Marie und Annuuciata, sollen die beiden Schwestern des Dichters, Maure und
Bettine, bedeuten. Die Letztere, der ideale Charakter des Romans, schreibt
einmal in ihr Tagebuch: „Ich weiß nicht, woher es kommt, aber es ist wunder¬
bar, was ich Vieles empfinde, wenn ich so über die mancherlei Blumen hinsehe.
Mein Denken verliert sich dann, in jedem Kelch ertrinken einige Begriffe von
mir, und ich fühle mich leichter als vorher, und willenloser müde. Manchmal
-sehe ich meinem Gedanken ordentlich zu, wie er sich auf dem sanften Rand der
Lilie kindisch schaukelt; aber bald ängstigt ihn die Welt um ihn herum, es ist
ihm, als wären alle Bäume und Berge, ja Alles, die ganze Erde, eine Kette
von gebundenen Ewigkeiten, und er hält sich bange am sammtnen Blnmenblatte
fest u. s. w." Was das heißen soll, können wir freilich mehr ahnen als wissen,
aber charakteristisch ist es in der That, wenigstens hätte es Bettine eben so gut


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[0505] Aber was ist auch das für eine närrische Plastik! Um recht kindlich und naiv zu sein, gebraucht der Dichter aus der gewöhnlichen sinnlichen Anschauung Bilder, die weder ihrem Zweck entsprechen, noch einen reinen Eindruck machen, am wenig¬ sten einen komischen. „Die Nose, ein Märchensragment," ist eine Mischung von altfränki¬ schen Wesen und dem phantastischen Idealismus von Novalis. Mitunter sind die' verwirrten Bilder dieses Fragmentes sinnig genug, und wir möchten ihnen lauschen, aber es klingt uus wie eine fremde Sprache, von der wir nichts verstehen, als den sinnlichen Laut. So geht einmal ein König im Garten spazieren. „Er ging mit all seinen Gedanken in der herrlichen Nacht herum .... Bald sah er den fliehenden Wolken nach, bald blickte er zu den Sternen hinauf, die ihm wie schöne Blumen erschienen, welche ihren Kelch auf der blauen Fläche des Meeres wiegen, oder er sah in den Mond und glaubte, es sielen tausend goldene Angeln aus ihm in sein Herz, und zögen seinen Sinn ganz mit hinaus. Be¬ trachtete er aber wieder den Garten, so gefiel er ihm gar nicht mehr; er dachte dann, er sei ja doch sein, und wenn die schimmernden Blüthen, die über ihn ausgestreut waren, nicht alle von da oben herabfielen, so wäre er doch nicht mehr und nicht weniger als ein großer Kirchhof, und die Bildsäulen wären lauter Grabsteine von Schönheiten, die wir gar nicht begreifen könnten, wenn sie leben¬ dig würden. So kam er sich selbst ganz verändert vor, und konnte nicht ergrün¬ den, wie das zuging." — Wir auch nicht. Das „Fragment ans Godwi" leidet zwar auch an einer ziemlichen Zusammenhangslosigkeit und an einer unklaren Erzählung, aber wir haben es doch mit wirtlichen Menschen zu thun, an deren Empfindungen und Vorstellungen wir wenigstens anknüpfen können. Die beiden Frauen, die in demselben auftreten, Marie und Annuuciata, sollen die beiden Schwestern des Dichters, Maure und Bettine, bedeuten. Die Letztere, der ideale Charakter des Romans, schreibt einmal in ihr Tagebuch: „Ich weiß nicht, woher es kommt, aber es ist wunder¬ bar, was ich Vieles empfinde, wenn ich so über die mancherlei Blumen hinsehe. Mein Denken verliert sich dann, in jedem Kelch ertrinken einige Begriffe von mir, und ich fühle mich leichter als vorher, und willenloser müde. Manchmal -sehe ich meinem Gedanken ordentlich zu, wie er sich auf dem sanften Rand der Lilie kindisch schaukelt; aber bald ängstigt ihn die Welt um ihn herum, es ist ihm, als wären alle Bäume und Berge, ja Alles, die ganze Erde, eine Kette von gebundenen Ewigkeiten, und er hält sich bange am sammtnen Blnmenblatte fest u. s. w." Was das heißen soll, können wir freilich mehr ahnen als wissen, aber charakteristisch ist es in der That, wenigstens hätte es Bettine eben so gut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/505>, abgerufen am 19.05.2024.