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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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nothwendig, daß die Lerchenfeld'sche Partei sich einen Aufschwung gebe, wenn
sie nicht aller moralischen Achtung und alles politischen Ansehens verlustig gehen
wollte. Willkommen erschien daher das Notariatsgesetz und der hartnäckige Wider¬
stand der Reichsrathe gegen dasselbe. Der Kampf dafür gab der Partei eine
Art von Popularität zurück, und doch konnte sie vollkommen ministeriell bleiben.
Die persönliche Gereiztheit des Hrn. v. Lerchenfeld gegen einen der Reichsrathe
führte von einer unparlamentarischen Beleidigung zu einem Zweikampfe poli¬
tischen Aussehens. Damit war die erste Periode des Landtags zu Ende, gleich¬
zeitig aber die centrale Nachgiebigkeit gegen einen lange angeregten, früher hart
bekämpften und nun doch zugelassenen Antrag bes Ministeriums vergessen gemacht,
welcher das überaus gefährliche, dem frühern Ständewesen entlehnte Princip der
stellvertretenden Ausschüsse durch eine cvnscqueutiöse Thatsache in das moderne
parlamentarische Leben zurückführte. -- Und was war der praktische Erfolg dieser
Zulassung von Commissionen für Vorberathung der lange verheißenen organischen
Gesetze? Als im November die Kammern wegen des Budgets wieder versammelt
wurden, hatten die Ausschüsse keine bearbeitnngsfähigcn Entwürfe, noch weniger
also bearbeitete Gutachten aufzuweisen. Für die Plenarsitzungen selbst mangelte
es an Vorlagen; lange Wochen mußte pausirt werden, um das verspätet ein¬
laufende Material zu begutachten. Und damit keine Demüthigung fehle, mußse
Hr. v. Lerchenfeld bei der Prüfung der Staatshaushaltsrechnuilg vou 1848 ein-
gestehen, daß er während seiner neunmonatlichen Portefeuillesührung bedeutende
Summen erfolglos aus die Presse verwendet hatte, währeud seiue Partei sich
doch in ihren Organen so lant dagegen erklärte, daß das Ministerium Pfordten
1831 den Posten zur Unterstützung der ministeriellen Presse mit 20,000 Fi. jähr¬
lich in das Budget der nächsten Finanzperiode aufgenommen hatte.

Wie die Dinge heut in Bayern, in ganz Deutschland stehen, ist allerdings
das sogenannte Centrum des Münchener Ständehanses vollkommen sicher, in der
parlamentarischen Alleinherrschaft zu bleiben. Aber von irgend einer Selbststän-
digkeit dieser scheinbaren Partei ist keine Rede mehr. Sie kann nur als fraglos
ministerielle Masse durchsetzen, was das Ministerium heischt. Selbst in einer
Lieblingsfrage, in der Gesetzgebung über die Gerichtsorganisation, steht sie voll¬
kommen hoffnungslos. Hier hat sie einmal einen Gang gewagt, weil sie das
Ministerium hinter sich wußte. Aber Ministerium und Majorität erlahmten an
der widerwilligen Reactivnsphalaux der Reichsrathe. Das Nvtariatsgesetz mußte
zurückgezogen werden, und das Gesetz über Trennung der Justiz und Verwaltung
bleibt ein Blatt Papier. Jetzt steht man wirklich auf dem Punkte, daß das
Gespenst zur Wahrheit wird, womit bisher das sogenannte Centrum siegte: ent¬
weder muß das von Oestreich, wie von den aristokratischen Neactionsclementen
ausgenützte Ministerium Pfordten abtreten, um einem rücksichtslos reactionairen
Platz zu geben, oder es muß selbst in der Gerichtsorganisation seine früheren


nothwendig, daß die Lerchenfeld'sche Partei sich einen Aufschwung gebe, wenn
sie nicht aller moralischen Achtung und alles politischen Ansehens verlustig gehen
wollte. Willkommen erschien daher das Notariatsgesetz und der hartnäckige Wider¬
stand der Reichsrathe gegen dasselbe. Der Kampf dafür gab der Partei eine
Art von Popularität zurück, und doch konnte sie vollkommen ministeriell bleiben.
Die persönliche Gereiztheit des Hrn. v. Lerchenfeld gegen einen der Reichsrathe
führte von einer unparlamentarischen Beleidigung zu einem Zweikampfe poli¬
tischen Aussehens. Damit war die erste Periode des Landtags zu Ende, gleich¬
zeitig aber die centrale Nachgiebigkeit gegen einen lange angeregten, früher hart
bekämpften und nun doch zugelassenen Antrag bes Ministeriums vergessen gemacht,
welcher das überaus gefährliche, dem frühern Ständewesen entlehnte Princip der
stellvertretenden Ausschüsse durch eine cvnscqueutiöse Thatsache in das moderne
parlamentarische Leben zurückführte. — Und was war der praktische Erfolg dieser
Zulassung von Commissionen für Vorberathung der lange verheißenen organischen
Gesetze? Als im November die Kammern wegen des Budgets wieder versammelt
wurden, hatten die Ausschüsse keine bearbeitnngsfähigcn Entwürfe, noch weniger
also bearbeitete Gutachten aufzuweisen. Für die Plenarsitzungen selbst mangelte
es an Vorlagen; lange Wochen mußte pausirt werden, um das verspätet ein¬
laufende Material zu begutachten. Und damit keine Demüthigung fehle, mußse
Hr. v. Lerchenfeld bei der Prüfung der Staatshaushaltsrechnuilg vou 1848 ein-
gestehen, daß er während seiner neunmonatlichen Portefeuillesührung bedeutende
Summen erfolglos aus die Presse verwendet hatte, währeud seiue Partei sich
doch in ihren Organen so lant dagegen erklärte, daß das Ministerium Pfordten
1831 den Posten zur Unterstützung der ministeriellen Presse mit 20,000 Fi. jähr¬
lich in das Budget der nächsten Finanzperiode aufgenommen hatte.

Wie die Dinge heut in Bayern, in ganz Deutschland stehen, ist allerdings
das sogenannte Centrum des Münchener Ständehanses vollkommen sicher, in der
parlamentarischen Alleinherrschaft zu bleiben. Aber von irgend einer Selbststän-
digkeit dieser scheinbaren Partei ist keine Rede mehr. Sie kann nur als fraglos
ministerielle Masse durchsetzen, was das Ministerium heischt. Selbst in einer
Lieblingsfrage, in der Gesetzgebung über die Gerichtsorganisation, steht sie voll¬
kommen hoffnungslos. Hier hat sie einmal einen Gang gewagt, weil sie das
Ministerium hinter sich wußte. Aber Ministerium und Majorität erlahmten an
der widerwilligen Reactivnsphalaux der Reichsrathe. Das Nvtariatsgesetz mußte
zurückgezogen werden, und das Gesetz über Trennung der Justiz und Verwaltung
bleibt ein Blatt Papier. Jetzt steht man wirklich auf dem Punkte, daß das
Gespenst zur Wahrheit wird, womit bisher das sogenannte Centrum siegte: ent¬
weder muß das von Oestreich, wie von den aristokratischen Neactionsclementen
ausgenützte Ministerium Pfordten abtreten, um einem rücksichtslos reactionairen
Platz zu geben, oder es muß selbst in der Gerichtsorganisation seine früheren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/516>, abgerufen am 29.04.2024.