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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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rung des Vorredners" nichts zu sagen übrig bleibt; oder er paraphrasirt dessen
Rede, wenn er sich gern sprechen hört. Allerdings giebt es im sogenannten
Centrum auch einige Mitglieder, die besondere Ansichten zu haben wagten. Aber
im Wesentlichen bleiben sie doch der just dominirenden Farbe ihrer buntschillernden
Fahne treu, oder wenn sie im Eifer des Gefechts wesentlich davon abweichen, so
kann man sicher sein, sie bald zurückgeführt zu sehen -- wär'S auch nur darum,
weil die Linke von dieser Abweichung "Act zu nehmen" sich erlaubte.

Herr v. Lerchenfeld spricht weder schon, noch schlecht, meistens fließend und
mit etwas weniger Accent, als viele seiner Genossen. Obgleich seine Reden stereo¬
typ mit der (^Mtw denovolentmö beginnen: "nnr wenige Worte, in. Hrn."--
so ist er doch immer äußerst wortreich. Er verbraucht durchschnittlich eine Stunde
zu einer Rede, und giebt manchmal deren zwei, auch drei. Seine Sätze find
ausgedehnt und vielverschlnngen; das, was man nennt: den Nagel ans den Kopf
treffen, erreicht er selten. In Citaten aus diesem oder jenem Buche ist er uner¬
schöpflich, und wer die politischen Beilageartikel der Allgemeinen Zeitung liest,
muß häusig das treffliche Gedächtniß des "staatsmännischen" Sprechers bewundern,
obgleich er die Quelle derartiger Recitationen unerwähnt zu lassen pflegt. Viel¬
leicht kommt es daher, daß manche Leute den edlen Freiherrn mich "die lebendig-
gcwordene Augsburgerin" nennen. Und die tiefe, fast bis zur Zärtlichkeit ge¬
steigerte Bewunderung, welche die Allgemeine Zeitung dem Hrn. v. Lerchenfeld
ausschließlich unter den öffentlichen Charakteren Bayerns widmet, deutet wenigstens
ans enge wahlverwandschaftliche Beziehungen.

Wenn das parlamentarische Gefecht sich nicht sofort durch Hru. v. Lerchen¬
feld erledigt, so ist sein Nachbar, der Oekonom Joseph Hirschberger, mit großem
Eifer bereit, genau dasselbe, was sein Vorgänger in gebildeteren Formen ausge¬
drückt hatte, in recht breiter und alltäglicher Bearbeitung zu wiederholen. Trägt
dann auch Herr Forndrau schwere Bedenken, ob nicht "allein" statt "aber", "ob-
zwar" statt "zwar" den eigentlichen Kern der Staatssrage Heller emporleuchten
lassen werde, so stellt er deshalb doch keinen besondern Antrag, indem er die
Bemerkung macht, daß die gestimmte Kammer sich unterdessen mit interessanteren
Dingen beschäftigte. Dagegen glaubt Herr Domcapitular or. Thieres nie ver¬
säumen zu dürfen, seine vollkommene Uebereinstimmung mit den Vorrednern eine
gute halbe Stunde lang zu versichern, obgleich er beinahe niemals einen neuen
Grund dafür anzugeben hat. Und wenn hierauf der Vizepräsident, Herr or. Weiß,
sich erhebt, um den Beweis zu führen, daß genau dasselbe, was jene Herren gleich¬
sam als eigene Erfindung von sich gaben, in den Ausdrücken und Absichten der
Regierungsvorlagen gegeben sei, so bringt dies wenigstens einige Abwechselung
in die weit ausgedehnte Debatte. -- Doch hinter diesem grünen Eiland schlagen
die Wasserwvgen jener Paraphrastischen Reden wieder zusammen, welche immer
von Neuem .versuchen, den Ccntralamcndemcnts ganz selbstständige Gedanken und


rung des Vorredners" nichts zu sagen übrig bleibt; oder er paraphrasirt dessen
Rede, wenn er sich gern sprechen hört. Allerdings giebt es im sogenannten
Centrum auch einige Mitglieder, die besondere Ansichten zu haben wagten. Aber
im Wesentlichen bleiben sie doch der just dominirenden Farbe ihrer buntschillernden
Fahne treu, oder wenn sie im Eifer des Gefechts wesentlich davon abweichen, so
kann man sicher sein, sie bald zurückgeführt zu sehen — wär'S auch nur darum,
weil die Linke von dieser Abweichung „Act zu nehmen" sich erlaubte.

Herr v. Lerchenfeld spricht weder schon, noch schlecht, meistens fließend und
mit etwas weniger Accent, als viele seiner Genossen. Obgleich seine Reden stereo¬
typ mit der (^Mtw denovolentmö beginnen: „nnr wenige Worte, in. Hrn."—
so ist er doch immer äußerst wortreich. Er verbraucht durchschnittlich eine Stunde
zu einer Rede, und giebt manchmal deren zwei, auch drei. Seine Sätze find
ausgedehnt und vielverschlnngen; das, was man nennt: den Nagel ans den Kopf
treffen, erreicht er selten. In Citaten aus diesem oder jenem Buche ist er uner¬
schöpflich, und wer die politischen Beilageartikel der Allgemeinen Zeitung liest,
muß häusig das treffliche Gedächtniß des „staatsmännischen" Sprechers bewundern,
obgleich er die Quelle derartiger Recitationen unerwähnt zu lassen pflegt. Viel¬
leicht kommt es daher, daß manche Leute den edlen Freiherrn mich „die lebendig-
gcwordene Augsburgerin" nennen. Und die tiefe, fast bis zur Zärtlichkeit ge¬
steigerte Bewunderung, welche die Allgemeine Zeitung dem Hrn. v. Lerchenfeld
ausschließlich unter den öffentlichen Charakteren Bayerns widmet, deutet wenigstens
ans enge wahlverwandschaftliche Beziehungen.

Wenn das parlamentarische Gefecht sich nicht sofort durch Hru. v. Lerchen¬
feld erledigt, so ist sein Nachbar, der Oekonom Joseph Hirschberger, mit großem
Eifer bereit, genau dasselbe, was sein Vorgänger in gebildeteren Formen ausge¬
drückt hatte, in recht breiter und alltäglicher Bearbeitung zu wiederholen. Trägt
dann auch Herr Forndrau schwere Bedenken, ob nicht „allein" statt „aber", „ob-
zwar" statt „zwar" den eigentlichen Kern der Staatssrage Heller emporleuchten
lassen werde, so stellt er deshalb doch keinen besondern Antrag, indem er die
Bemerkung macht, daß die gestimmte Kammer sich unterdessen mit interessanteren
Dingen beschäftigte. Dagegen glaubt Herr Domcapitular or. Thieres nie ver¬
säumen zu dürfen, seine vollkommene Uebereinstimmung mit den Vorrednern eine
gute halbe Stunde lang zu versichern, obgleich er beinahe niemals einen neuen
Grund dafür anzugeben hat. Und wenn hierauf der Vizepräsident, Herr or. Weiß,
sich erhebt, um den Beweis zu führen, daß genau dasselbe, was jene Herren gleich¬
sam als eigene Erfindung von sich gaben, in den Ausdrücken und Absichten der
Regierungsvorlagen gegeben sei, so bringt dies wenigstens einige Abwechselung
in die weit ausgedehnte Debatte. — Doch hinter diesem grünen Eiland schlagen
die Wasserwvgen jener Paraphrastischen Reden wieder zusammen, welche immer
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/518>, abgerufen am 30.04.2024.