Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und macht er gute Ernten, so wird der Grundherr nicht lange zögern, ihm ein Stück
des Feldes wegzunehmen. Hat der Bauer in seiner Viehzucht Glück, erzieht er
vielleicht einige Stiere, oder vergrößert die Zahl seiner Schafe, so ist augenblicklich
der Grundherr da und nimmt ihm das überzählige Vieh mit der Behauptung,
daß er nicht mehr zu besitzen das Recht habe, als ihm übergeben sei, und ihm
nur daun ein Stück Vieh nachzuziehen erlaubt sei, wenn eins von dem Juventa-
tarium durch Schlachten oder Sterben in Abgang gekommen sei. Will der Bauer
also seiue Viehzucht nützen, so muß er wie ein Spitzbube verfahren, die nachge¬
zogenen Stücke auf alle mögliche Weise verbergen (wozu allerdings die Weide in
den finstern Wäldern ein Mittel bietet) und sie so pfiffig als möglich ans dem
Wochenmarkt der nächsten Stadt zum Verkauf bringen. Er muß der räuberi¬
schen Hand des Herrn mit spitzbübischer Schlauheit zuvorkommen. Der Herr
erfährt natürlich, daß der Bauer Vieh verkauft hat und fordert das Geld von
ihm. Der Bauer verweigert das unter Vorwänden aller Art und rettet es dann
wol, darf sich aber eine Ladung Stock- oder Knutenhiebe uicht verdrießen lassen,
deren Ertheilung der Herr zu Versöhnung seines Herzens nöthig hat. Ich
war Augenzeuge, daß ein Bauer in dem hier angegebenen Falle sechzig Hiebe be¬
kam. Die Execution fruchtete nicht, und aus Besehl des Herrn wurde sie an
verschiedenen Tagen fünf Mal wiederholt. Allein der Bauer war nicht zu be¬
wegen, sein Geld herauszugeben oder den Ort zu bezeichnen, an welchem er es
'aufbewahrte. Als er nun auch uach der sechsten Execution noch männlich be¬
hauptete, er dürfe das Geld nicht hergeben oder verrathen, weil ihm sein Patron,
der heilige Antonius, im Traum geboten habe, lieber den Tod zu erleiden, als
das zu thun, so war die Geduld des Herrn erschöpft. Wüthend reißt dieser die
Knute ans der Hand seines Aufsehers, wallt den Bauer eigenhändig noch mit
einigen furchtbaren Streichen uiid schließt den Proceß mit den Worten: "Jetzt
behalte Dein Geld, Hundsfott!" Wie von einem Gott ergriffen, springt der
Bauer, dessen Schmerzgebrüll eben noch das Gehöft erfüllte, empor von der Stroh¬
schütte, umarmt und küßt die Füße' des Herrn, stürzt wie toll unter ein nahes
Kreuz und umarmt dies unaufhörlich in höchster Freude schreiend: "Herr Gott,
um danke ich Dir, nun ist das Geld mein.

Um den Bauer nicht in Besitz von Geld gelangen zu lassen, wendet der pol¬
nische Edelherr selbst das schändlichste Mittel an. Es gibt keine größere Schänd¬
lichkeit, als den Arbeiter zu zwingen, seinen verdienten Lohn zum finanziellen Vor¬
theil des Lohngebers -- durch Trunk zu vernichten; und gleichwol geschieht dies
in ganz Polen. Die Arbeit, welche der Bauer über den Frohnsatz hat leisten
müssen, muß ihm nach dem Gesetz mit baarem Gelde bezahlt werden, statt dessen
aber gibt ihm der Edelmann Anweisungen aus den Schnaps in seinein Schenk¬
hanse. Dieser Gebrauch ist eine beinahe ausuahmlose Regel; ebenso eine andere:
den Kindern der Bauern, welche ans dem Edelhofe ihre zweijährige Dienst-


12*

und macht er gute Ernten, so wird der Grundherr nicht lange zögern, ihm ein Stück
des Feldes wegzunehmen. Hat der Bauer in seiner Viehzucht Glück, erzieht er
vielleicht einige Stiere, oder vergrößert die Zahl seiner Schafe, so ist augenblicklich
der Grundherr da und nimmt ihm das überzählige Vieh mit der Behauptung,
daß er nicht mehr zu besitzen das Recht habe, als ihm übergeben sei, und ihm
nur daun ein Stück Vieh nachzuziehen erlaubt sei, wenn eins von dem Juventa-
tarium durch Schlachten oder Sterben in Abgang gekommen sei. Will der Bauer
also seiue Viehzucht nützen, so muß er wie ein Spitzbube verfahren, die nachge¬
zogenen Stücke auf alle mögliche Weise verbergen (wozu allerdings die Weide in
den finstern Wäldern ein Mittel bietet) und sie so pfiffig als möglich ans dem
Wochenmarkt der nächsten Stadt zum Verkauf bringen. Er muß der räuberi¬
schen Hand des Herrn mit spitzbübischer Schlauheit zuvorkommen. Der Herr
erfährt natürlich, daß der Bauer Vieh verkauft hat und fordert das Geld von
ihm. Der Bauer verweigert das unter Vorwänden aller Art und rettet es dann
wol, darf sich aber eine Ladung Stock- oder Knutenhiebe uicht verdrießen lassen,
deren Ertheilung der Herr zu Versöhnung seines Herzens nöthig hat. Ich
war Augenzeuge, daß ein Bauer in dem hier angegebenen Falle sechzig Hiebe be¬
kam. Die Execution fruchtete nicht, und aus Besehl des Herrn wurde sie an
verschiedenen Tagen fünf Mal wiederholt. Allein der Bauer war nicht zu be¬
wegen, sein Geld herauszugeben oder den Ort zu bezeichnen, an welchem er es
'aufbewahrte. Als er nun auch uach der sechsten Execution noch männlich be¬
hauptete, er dürfe das Geld nicht hergeben oder verrathen, weil ihm sein Patron,
der heilige Antonius, im Traum geboten habe, lieber den Tod zu erleiden, als
das zu thun, so war die Geduld des Herrn erschöpft. Wüthend reißt dieser die
Knute ans der Hand seines Aufsehers, wallt den Bauer eigenhändig noch mit
einigen furchtbaren Streichen uiid schließt den Proceß mit den Worten: „Jetzt
behalte Dein Geld, Hundsfott!" Wie von einem Gott ergriffen, springt der
Bauer, dessen Schmerzgebrüll eben noch das Gehöft erfüllte, empor von der Stroh¬
schütte, umarmt und küßt die Füße' des Herrn, stürzt wie toll unter ein nahes
Kreuz und umarmt dies unaufhörlich in höchster Freude schreiend: „Herr Gott,
um danke ich Dir, nun ist das Geld mein.

Um den Bauer nicht in Besitz von Geld gelangen zu lassen, wendet der pol¬
nische Edelherr selbst das schändlichste Mittel an. Es gibt keine größere Schänd¬
lichkeit, als den Arbeiter zu zwingen, seinen verdienten Lohn zum finanziellen Vor¬
theil des Lohngebers — durch Trunk zu vernichten; und gleichwol geschieht dies
in ganz Polen. Die Arbeit, welche der Bauer über den Frohnsatz hat leisten
müssen, muß ihm nach dem Gesetz mit baarem Gelde bezahlt werden, statt dessen
aber gibt ihm der Edelmann Anweisungen aus den Schnaps in seinein Schenk¬
hanse. Dieser Gebrauch ist eine beinahe ausuahmlose Regel; ebenso eine andere:
den Kindern der Bauern, welche ans dem Edelhofe ihre zweijährige Dienst-


12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0103" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91296"/>
          <p xml:id="ID_294" prev="#ID_293"> und macht er gute Ernten, so wird der Grundherr nicht lange zögern, ihm ein Stück<lb/>
des Feldes wegzunehmen. Hat der Bauer in seiner Viehzucht Glück, erzieht er<lb/>
vielleicht einige Stiere, oder vergrößert die Zahl seiner Schafe, so ist augenblicklich<lb/>
der Grundherr da und nimmt ihm das überzählige Vieh mit der Behauptung,<lb/>
daß er nicht mehr zu besitzen das Recht habe, als ihm übergeben sei, und ihm<lb/>
nur daun ein Stück Vieh nachzuziehen erlaubt sei, wenn eins von dem Juventa-<lb/>
tarium durch Schlachten oder Sterben in Abgang gekommen sei. Will der Bauer<lb/>
also seiue Viehzucht nützen, so muß er wie ein Spitzbube verfahren, die nachge¬<lb/>
zogenen Stücke auf alle mögliche Weise verbergen (wozu allerdings die Weide in<lb/>
den finstern Wäldern ein Mittel bietet) und sie so pfiffig als möglich ans dem<lb/>
Wochenmarkt der nächsten Stadt zum Verkauf bringen. Er muß der räuberi¬<lb/>
schen Hand des Herrn mit spitzbübischer Schlauheit zuvorkommen. Der Herr<lb/>
erfährt natürlich, daß der Bauer Vieh verkauft hat und fordert das Geld von<lb/>
ihm. Der Bauer verweigert das unter Vorwänden aller Art und rettet es dann<lb/>
wol, darf sich aber eine Ladung Stock- oder Knutenhiebe uicht verdrießen lassen,<lb/>
deren Ertheilung der Herr zu Versöhnung seines Herzens nöthig hat. Ich<lb/>
war Augenzeuge, daß ein Bauer in dem hier angegebenen Falle sechzig Hiebe be¬<lb/>
kam. Die Execution fruchtete nicht, und aus Besehl des Herrn wurde sie an<lb/>
verschiedenen Tagen fünf Mal wiederholt. Allein der Bauer war nicht zu be¬<lb/>
wegen, sein Geld herauszugeben oder den Ort zu bezeichnen, an welchem er es<lb/>
'aufbewahrte. Als er nun auch uach der sechsten Execution noch männlich be¬<lb/>
hauptete, er dürfe das Geld nicht hergeben oder verrathen, weil ihm sein Patron,<lb/>
der heilige Antonius, im Traum geboten habe, lieber den Tod zu erleiden, als<lb/>
das zu thun, so war die Geduld des Herrn erschöpft. Wüthend reißt dieser die<lb/>
Knute ans der Hand seines Aufsehers, wallt den Bauer eigenhändig noch mit<lb/>
einigen furchtbaren Streichen uiid schließt den Proceß mit den Worten: &#x201E;Jetzt<lb/>
behalte Dein Geld, Hundsfott!" Wie von einem Gott ergriffen, springt der<lb/>
Bauer, dessen Schmerzgebrüll eben noch das Gehöft erfüllte, empor von der Stroh¬<lb/>
schütte, umarmt und küßt die Füße' des Herrn, stürzt wie toll unter ein nahes<lb/>
Kreuz und umarmt dies unaufhörlich in höchster Freude schreiend: &#x201E;Herr Gott,<lb/>
um danke ich Dir, nun ist das Geld mein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_295" next="#ID_296"> Um den Bauer nicht in Besitz von Geld gelangen zu lassen, wendet der pol¬<lb/>
nische Edelherr selbst das schändlichste Mittel an. Es gibt keine größere Schänd¬<lb/>
lichkeit, als den Arbeiter zu zwingen, seinen verdienten Lohn zum finanziellen Vor¬<lb/>
theil des Lohngebers &#x2014; durch Trunk zu vernichten; und gleichwol geschieht dies<lb/>
in ganz Polen. Die Arbeit, welche der Bauer über den Frohnsatz hat leisten<lb/>
müssen, muß ihm nach dem Gesetz mit baarem Gelde bezahlt werden, statt dessen<lb/>
aber gibt ihm der Edelmann Anweisungen aus den Schnaps in seinein Schenk¬<lb/>
hanse. Dieser Gebrauch ist eine beinahe ausuahmlose Regel; ebenso eine andere:<lb/>
den Kindern der Bauern, welche ans dem Edelhofe ihre zweijährige Dienst-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 12*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0103] und macht er gute Ernten, so wird der Grundherr nicht lange zögern, ihm ein Stück des Feldes wegzunehmen. Hat der Bauer in seiner Viehzucht Glück, erzieht er vielleicht einige Stiere, oder vergrößert die Zahl seiner Schafe, so ist augenblicklich der Grundherr da und nimmt ihm das überzählige Vieh mit der Behauptung, daß er nicht mehr zu besitzen das Recht habe, als ihm übergeben sei, und ihm nur daun ein Stück Vieh nachzuziehen erlaubt sei, wenn eins von dem Juventa- tarium durch Schlachten oder Sterben in Abgang gekommen sei. Will der Bauer also seiue Viehzucht nützen, so muß er wie ein Spitzbube verfahren, die nachge¬ zogenen Stücke auf alle mögliche Weise verbergen (wozu allerdings die Weide in den finstern Wäldern ein Mittel bietet) und sie so pfiffig als möglich ans dem Wochenmarkt der nächsten Stadt zum Verkauf bringen. Er muß der räuberi¬ schen Hand des Herrn mit spitzbübischer Schlauheit zuvorkommen. Der Herr erfährt natürlich, daß der Bauer Vieh verkauft hat und fordert das Geld von ihm. Der Bauer verweigert das unter Vorwänden aller Art und rettet es dann wol, darf sich aber eine Ladung Stock- oder Knutenhiebe uicht verdrießen lassen, deren Ertheilung der Herr zu Versöhnung seines Herzens nöthig hat. Ich war Augenzeuge, daß ein Bauer in dem hier angegebenen Falle sechzig Hiebe be¬ kam. Die Execution fruchtete nicht, und aus Besehl des Herrn wurde sie an verschiedenen Tagen fünf Mal wiederholt. Allein der Bauer war nicht zu be¬ wegen, sein Geld herauszugeben oder den Ort zu bezeichnen, an welchem er es 'aufbewahrte. Als er nun auch uach der sechsten Execution noch männlich be¬ hauptete, er dürfe das Geld nicht hergeben oder verrathen, weil ihm sein Patron, der heilige Antonius, im Traum geboten habe, lieber den Tod zu erleiden, als das zu thun, so war die Geduld des Herrn erschöpft. Wüthend reißt dieser die Knute ans der Hand seines Aufsehers, wallt den Bauer eigenhändig noch mit einigen furchtbaren Streichen uiid schließt den Proceß mit den Worten: „Jetzt behalte Dein Geld, Hundsfott!" Wie von einem Gott ergriffen, springt der Bauer, dessen Schmerzgebrüll eben noch das Gehöft erfüllte, empor von der Stroh¬ schütte, umarmt und küßt die Füße' des Herrn, stürzt wie toll unter ein nahes Kreuz und umarmt dies unaufhörlich in höchster Freude schreiend: „Herr Gott, um danke ich Dir, nun ist das Geld mein. Um den Bauer nicht in Besitz von Geld gelangen zu lassen, wendet der pol¬ nische Edelherr selbst das schändlichste Mittel an. Es gibt keine größere Schänd¬ lichkeit, als den Arbeiter zu zwingen, seinen verdienten Lohn zum finanziellen Vor¬ theil des Lohngebers — durch Trunk zu vernichten; und gleichwol geschieht dies in ganz Polen. Die Arbeit, welche der Bauer über den Frohnsatz hat leisten müssen, muß ihm nach dem Gesetz mit baarem Gelde bezahlt werden, statt dessen aber gibt ihm der Edelmann Anweisungen aus den Schnaps in seinein Schenk¬ hanse. Dieser Gebrauch ist eine beinahe ausuahmlose Regel; ebenso eine andere: den Kindern der Bauern, welche ans dem Edelhofe ihre zweijährige Dienst- 12*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/103
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/103>, abgerufen am 30.05.2024.