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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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die werthvollsten derselben sind im Besitz des Geheimenrath Krüger in Minden.
Für die Kunst des Mittelalters hat Westphalen noch zwei berühmte Namen auf¬
zuweisen: Ludger tom Rink, der in Münster eine selbstständige Malerschule stiftete,
und Aldegrever, der Kupferstecher in Soest (geb. 1S02).

Zum Regierungsbezirk Minden gehört eine Städtegruppe, von der es sich
der Mühe verlohnen würde, im Vorübergehen eine Silhouette zu entwerfen. Das
alte heilige Herford war einst berühmt durch seinen Reichthum an Reliquien, die zu
vermehren es auch uoch die Gebeine Wittekind's aus dem nahen Enger gewaltsam
hatte entführen lassen; aber die Sattelmeier holten sich den kostbaren Schatz der
Engern zurück und bewahrten ihn sorgfältiger als vorher. Herford hat noch seine
Stiftskirche "ans dem Berge", wo schon 789 eine gefürstete Franenabtei gegründet
war; die letzte fürstliche Aebtissin war eine Enkelin der Bvhmenkvnigin Elisabeth,
eine Verwandte des preußischen Königshauses. Eine deutsche Meile weit davon
entsernt liegt Bielefeld, in der reizendsten Gegend der Grafschaft Navensberg,
deren diplomatische und kriegerische Geschichte die malerische Ruine des Sparren¬
bergs repräsentier. Wie eine Citadelle krönen ihre grauen Thürme das freund¬
liche Städtchen, das aus seinen Wiesen durch den Schnee seiner Leinwandproduction
eine anmuthige Staffage erhält. Nach Süden wird hier der Regierungsbezirk
Minden durch die Rauchkammern der berühmten westfälischen Schinken, Nheda,
Gütersloh und Wiedenbrück begrenzt, nach Osten durch die Ausläufer des Teuto-
burger Waldes und die Wildniß der Senne. Die altpreußischen Bestandtheile
der Provinz Westphalen, die beiläufig um einige Quadraturen größer ist, als
das Königreich Würtemberg, unterscheiden sich wesentlich von dem Theile des
Herzogthums Westphalen, zu dem das Fürstenthum Münster gehörte und der erst
seit dem Reichsdeputationshauptschluß vom 23. Febr. 1803 der Krone Preußen
überantwortet wurde. Die französische Fremdherrschaft zerriß das kaum geknüpfte Band
wieder und die Confessionsverschiedenheit lockert es noch immer, nachdem länger als
30 Jahre von Seiten der Regierung die Verbindung befördert und behütet worden ist.
Es wäre eine lohnende Parallele zu ziehen zwischen den Städten des altpreußischen
Antheils und denen, die später sich anschließen mußten. Eine Familienähnlichkeit,
welche alle drei westfälischen Regierungsbezirke gemeinsam haben, tritt auf dem Lande
mehr hervor als in den Städten: es gibt wenig oder gar keine geschlossene Dörfer;
wie Tacitus sie schilderte, liegen noch jetzt die Höfe einsam zwischen den Kämpen
und Feldern der Besitzung. Dörfer mit Häuserreihen wie im übrigen Deutsch¬
land findet man in Westphalen nicht. Diese Abgeschiedenheit hat unstreitig zur
Erhaltung des conservativen Elementes unter den westfälischen Bauern viel bei¬
getragen, so wie die Ursprünglichkeit, das natürliche Wiedererzeugen derselben
Sitten und Ansichten durch keine Störungen von außen verwischt worden ist.
Selbst die Nachbarschaft der Henerlinge ist vermieden, indem meistens an den ent¬
ferntesten Punkten der Ländereien, die der Bauer uicht selbst bewirthschaften mag,


die werthvollsten derselben sind im Besitz des Geheimenrath Krüger in Minden.
Für die Kunst des Mittelalters hat Westphalen noch zwei berühmte Namen auf¬
zuweisen: Ludger tom Rink, der in Münster eine selbstständige Malerschule stiftete,
und Aldegrever, der Kupferstecher in Soest (geb. 1S02).

Zum Regierungsbezirk Minden gehört eine Städtegruppe, von der es sich
der Mühe verlohnen würde, im Vorübergehen eine Silhouette zu entwerfen. Das
alte heilige Herford war einst berühmt durch seinen Reichthum an Reliquien, die zu
vermehren es auch uoch die Gebeine Wittekind's aus dem nahen Enger gewaltsam
hatte entführen lassen; aber die Sattelmeier holten sich den kostbaren Schatz der
Engern zurück und bewahrten ihn sorgfältiger als vorher. Herford hat noch seine
Stiftskirche „ans dem Berge", wo schon 789 eine gefürstete Franenabtei gegründet
war; die letzte fürstliche Aebtissin war eine Enkelin der Bvhmenkvnigin Elisabeth,
eine Verwandte des preußischen Königshauses. Eine deutsche Meile weit davon
entsernt liegt Bielefeld, in der reizendsten Gegend der Grafschaft Navensberg,
deren diplomatische und kriegerische Geschichte die malerische Ruine des Sparren¬
bergs repräsentier. Wie eine Citadelle krönen ihre grauen Thürme das freund¬
liche Städtchen, das aus seinen Wiesen durch den Schnee seiner Leinwandproduction
eine anmuthige Staffage erhält. Nach Süden wird hier der Regierungsbezirk
Minden durch die Rauchkammern der berühmten westfälischen Schinken, Nheda,
Gütersloh und Wiedenbrück begrenzt, nach Osten durch die Ausläufer des Teuto-
burger Waldes und die Wildniß der Senne. Die altpreußischen Bestandtheile
der Provinz Westphalen, die beiläufig um einige Quadraturen größer ist, als
das Königreich Würtemberg, unterscheiden sich wesentlich von dem Theile des
Herzogthums Westphalen, zu dem das Fürstenthum Münster gehörte und der erst
seit dem Reichsdeputationshauptschluß vom 23. Febr. 1803 der Krone Preußen
überantwortet wurde. Die französische Fremdherrschaft zerriß das kaum geknüpfte Band
wieder und die Confessionsverschiedenheit lockert es noch immer, nachdem länger als
30 Jahre von Seiten der Regierung die Verbindung befördert und behütet worden ist.
Es wäre eine lohnende Parallele zu ziehen zwischen den Städten des altpreußischen
Antheils und denen, die später sich anschließen mußten. Eine Familienähnlichkeit,
welche alle drei westfälischen Regierungsbezirke gemeinsam haben, tritt auf dem Lande
mehr hervor als in den Städten: es gibt wenig oder gar keine geschlossene Dörfer;
wie Tacitus sie schilderte, liegen noch jetzt die Höfe einsam zwischen den Kämpen
und Feldern der Besitzung. Dörfer mit Häuserreihen wie im übrigen Deutsch¬
land findet man in Westphalen nicht. Diese Abgeschiedenheit hat unstreitig zur
Erhaltung des conservativen Elementes unter den westfälischen Bauern viel bei¬
getragen, so wie die Ursprünglichkeit, das natürliche Wiedererzeugen derselben
Sitten und Ansichten durch keine Störungen von außen verwischt worden ist.
Selbst die Nachbarschaft der Henerlinge ist vermieden, indem meistens an den ent¬
ferntesten Punkten der Ländereien, die der Bauer uicht selbst bewirthschaften mag,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/107>, abgerufen am 09.06.2024.