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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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die Heuerhäuser erbaut werden. Der beste Beweis, wie lange der Westphale das
Althergebrachte festhält, ist die Bauart seiner Wohnungen, die seit Jahrhunderten
unverändert einfach und roh geblieben ist. Das Hans des reichen Hofbesitzers ist
ganz dem Heuerhaus seines Miethsmanncs gleich gebaut. Eine Tenne mit Lehm¬
boden (Hausflur), die Wohnzimmer und Küche zugleich ist, von beiden Seiten die
Viehställe, deren Krippen sich nach dem Wohnplatz hiu öffnen und die breitge-
stirntcn Kühe, die wiehernden Pferde an der Geselligkeit gewissermaßen theilneh¬
men lassen. Ueber den Kühen schlafen in niedrigen Kammern die Mägde und
über den Pferden die Knechte; für die Familie des Bauern sind einige Schlafge¬
lasse unter und für den Winter auch eine heizbare Spinnstube vorhanden.
Justus Möser und andere ältere ökonomische Schriftsteller preisen diese Bauart,
besonders auch die Strohdächer, als zweckmäßig für den Landmann, der möglichst
eng verbunden sein soll mit der Scholle, die er bearbeitet und dem Viehstand,
dessen Schöpfer und Erhalter er ist. Daran mag es wol liegen, daß bis jetzt
keine Reform der Bauart Platz greifen konnte, obwol sie von vielen Seiten vor¬
geschlagen und versucht worden ist. Die Bauerhöfe haben gewöhnlich je nach
ihrer Größe und ihrem Rang eine bestimmte Bezeichnung wie Schulter-, Voll-
meyer-, Halbmeyerhof, in einigen Gegenden heißen sie auch Colonate oder Wehr-
festern, zum Unterschiede von Heuerliugen, die gegen Natnraldienste und einen
mäßigen Miethöpreis Haus und Land in Pacht erhalten. Die Neubauern sind
meistens Heuerliuge, die ein kleines Eigenthum erworben haben. Trotz der ge¬
setzlich zulässigen Theilbarkeit der Bauerngüter hat sich die Zerstückelung noch
nicht fühlbar gemacht, der conservative Jnstinct des Landmannes sucht das freie
Erbfvlgerecht durch testamentarische Bestimmungen für den großen Grundbesitz un¬
schädlich zu machen. Der väterliche Verwalter der Provinz, der Oberpräsident
Vinke, hat seiner Zeit vergeblich seine warnende Stimme gegen die Zersplitterung
des Besitzes erhoben, die nothwendig aus dem freien Erbfolgerecht hervorgeht
und den Reichthum des Landes aufhebt. Allein es war vergebens; die Erhal¬
tung der angestammten Höfe wird den Besitzern bald zu schwer werden, da sie
die Abfindungssummen jetzt bedeutend erhöhen müssen; früher hatten die Eltern
Muße, die Kiuder, welche den Hof verlassen mußten, gut zu versorgen, da in
vielen Gegenden Westphalens der jüngste Sohn des Hofes Erbe war. Con-
venienzeheu sind unter den Bauern mehr gebräuchlich als unter den höchsten Stän¬
den; heirathet einer die Erbtochter eines Hoses, so nimmt er den Namen desselben
an und schreibt sich wie eine neuvermählte Frau, geb. so nett so. Eine National¬
tracht hat sich nur in einzelnen Gegenden uuter den Landleuten erhalten, städtisch
modern tragen sie sich zwar in ganz Westphalen nirgends, aber charakteristisch und
bestimmt ist das Costum nur im Minden-Navensbergischen geblieben, wo die Frauen
die kleidsamen Schneppenmützchen mit Goldstickerei, kurze faltige Röcke von schar¬
lachrothen Tuch und Zwickelstrümpse mit hohen Hackenschuhen tragen. Die Männer


die Heuerhäuser erbaut werden. Der beste Beweis, wie lange der Westphale das
Althergebrachte festhält, ist die Bauart seiner Wohnungen, die seit Jahrhunderten
unverändert einfach und roh geblieben ist. Das Hans des reichen Hofbesitzers ist
ganz dem Heuerhaus seines Miethsmanncs gleich gebaut. Eine Tenne mit Lehm¬
boden (Hausflur), die Wohnzimmer und Küche zugleich ist, von beiden Seiten die
Viehställe, deren Krippen sich nach dem Wohnplatz hiu öffnen und die breitge-
stirntcn Kühe, die wiehernden Pferde an der Geselligkeit gewissermaßen theilneh¬
men lassen. Ueber den Kühen schlafen in niedrigen Kammern die Mägde und
über den Pferden die Knechte; für die Familie des Bauern sind einige Schlafge¬
lasse unter und für den Winter auch eine heizbare Spinnstube vorhanden.
Justus Möser und andere ältere ökonomische Schriftsteller preisen diese Bauart,
besonders auch die Strohdächer, als zweckmäßig für den Landmann, der möglichst
eng verbunden sein soll mit der Scholle, die er bearbeitet und dem Viehstand,
dessen Schöpfer und Erhalter er ist. Daran mag es wol liegen, daß bis jetzt
keine Reform der Bauart Platz greifen konnte, obwol sie von vielen Seiten vor¬
geschlagen und versucht worden ist. Die Bauerhöfe haben gewöhnlich je nach
ihrer Größe und ihrem Rang eine bestimmte Bezeichnung wie Schulter-, Voll-
meyer-, Halbmeyerhof, in einigen Gegenden heißen sie auch Colonate oder Wehr-
festern, zum Unterschiede von Heuerliugen, die gegen Natnraldienste und einen
mäßigen Miethöpreis Haus und Land in Pacht erhalten. Die Neubauern sind
meistens Heuerliuge, die ein kleines Eigenthum erworben haben. Trotz der ge¬
setzlich zulässigen Theilbarkeit der Bauerngüter hat sich die Zerstückelung noch
nicht fühlbar gemacht, der conservative Jnstinct des Landmannes sucht das freie
Erbfvlgerecht durch testamentarische Bestimmungen für den großen Grundbesitz un¬
schädlich zu machen. Der väterliche Verwalter der Provinz, der Oberpräsident
Vinke, hat seiner Zeit vergeblich seine warnende Stimme gegen die Zersplitterung
des Besitzes erhoben, die nothwendig aus dem freien Erbfolgerecht hervorgeht
und den Reichthum des Landes aufhebt. Allein es war vergebens; die Erhal¬
tung der angestammten Höfe wird den Besitzern bald zu schwer werden, da sie
die Abfindungssummen jetzt bedeutend erhöhen müssen; früher hatten die Eltern
Muße, die Kiuder, welche den Hof verlassen mußten, gut zu versorgen, da in
vielen Gegenden Westphalens der jüngste Sohn des Hofes Erbe war. Con-
venienzeheu sind unter den Bauern mehr gebräuchlich als unter den höchsten Stän¬
den; heirathet einer die Erbtochter eines Hoses, so nimmt er den Namen desselben
an und schreibt sich wie eine neuvermählte Frau, geb. so nett so. Eine National¬
tracht hat sich nur in einzelnen Gegenden uuter den Landleuten erhalten, städtisch
modern tragen sie sich zwar in ganz Westphalen nirgends, aber charakteristisch und
bestimmt ist das Costum nur im Minden-Navensbergischen geblieben, wo die Frauen
die kleidsamen Schneppenmützchen mit Goldstickerei, kurze faltige Röcke von schar¬
lachrothen Tuch und Zwickelstrümpse mit hohen Hackenschuhen tragen. Die Männer


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[0108] die Heuerhäuser erbaut werden. Der beste Beweis, wie lange der Westphale das Althergebrachte festhält, ist die Bauart seiner Wohnungen, die seit Jahrhunderten unverändert einfach und roh geblieben ist. Das Hans des reichen Hofbesitzers ist ganz dem Heuerhaus seines Miethsmanncs gleich gebaut. Eine Tenne mit Lehm¬ boden (Hausflur), die Wohnzimmer und Küche zugleich ist, von beiden Seiten die Viehställe, deren Krippen sich nach dem Wohnplatz hiu öffnen und die breitge- stirntcn Kühe, die wiehernden Pferde an der Geselligkeit gewissermaßen theilneh¬ men lassen. Ueber den Kühen schlafen in niedrigen Kammern die Mägde und über den Pferden die Knechte; für die Familie des Bauern sind einige Schlafge¬ lasse unter und für den Winter auch eine heizbare Spinnstube vorhanden. Justus Möser und andere ältere ökonomische Schriftsteller preisen diese Bauart, besonders auch die Strohdächer, als zweckmäßig für den Landmann, der möglichst eng verbunden sein soll mit der Scholle, die er bearbeitet und dem Viehstand, dessen Schöpfer und Erhalter er ist. Daran mag es wol liegen, daß bis jetzt keine Reform der Bauart Platz greifen konnte, obwol sie von vielen Seiten vor¬ geschlagen und versucht worden ist. Die Bauerhöfe haben gewöhnlich je nach ihrer Größe und ihrem Rang eine bestimmte Bezeichnung wie Schulter-, Voll- meyer-, Halbmeyerhof, in einigen Gegenden heißen sie auch Colonate oder Wehr- festern, zum Unterschiede von Heuerliugen, die gegen Natnraldienste und einen mäßigen Miethöpreis Haus und Land in Pacht erhalten. Die Neubauern sind meistens Heuerliuge, die ein kleines Eigenthum erworben haben. Trotz der ge¬ setzlich zulässigen Theilbarkeit der Bauerngüter hat sich die Zerstückelung noch nicht fühlbar gemacht, der conservative Jnstinct des Landmannes sucht das freie Erbfvlgerecht durch testamentarische Bestimmungen für den großen Grundbesitz un¬ schädlich zu machen. Der väterliche Verwalter der Provinz, der Oberpräsident Vinke, hat seiner Zeit vergeblich seine warnende Stimme gegen die Zersplitterung des Besitzes erhoben, die nothwendig aus dem freien Erbfolgerecht hervorgeht und den Reichthum des Landes aufhebt. Allein es war vergebens; die Erhal¬ tung der angestammten Höfe wird den Besitzern bald zu schwer werden, da sie die Abfindungssummen jetzt bedeutend erhöhen müssen; früher hatten die Eltern Muße, die Kiuder, welche den Hof verlassen mußten, gut zu versorgen, da in vielen Gegenden Westphalens der jüngste Sohn des Hofes Erbe war. Con- venienzeheu sind unter den Bauern mehr gebräuchlich als unter den höchsten Stän¬ den; heirathet einer die Erbtochter eines Hoses, so nimmt er den Namen desselben an und schreibt sich wie eine neuvermählte Frau, geb. so nett so. Eine National¬ tracht hat sich nur in einzelnen Gegenden uuter den Landleuten erhalten, städtisch modern tragen sie sich zwar in ganz Westphalen nirgends, aber charakteristisch und bestimmt ist das Costum nur im Minden-Navensbergischen geblieben, wo die Frauen die kleidsamen Schneppenmützchen mit Goldstickerei, kurze faltige Röcke von schar¬ lachrothen Tuch und Zwickelstrümpse mit hohen Hackenschuhen tragen. Die Männer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/108>, abgerufen am 29.05.2024.