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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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überall seine Subjectivität hervor und wird nicht müde, sich als den bedeutenden,
aber unbegriffenen Mann darzustellen. Walter Scott ist ihm nicht tief genug;
es finden sich in ihm keine Bemerkungen, die blenden und frappiren, darum
wendet sich Bulwer mit großer Vorliebe zu den deutschen Dichtern, namentlich zu
Goethe, dessen zweite und dritte Periode erst damals in England Eingang fand,
nachdem die Dichtungen seiner ersten Periode die Walter Scott'sche Zeit erfüllt
hatten, und einen seiner Romane hat er dem großen deutschen Volk gewidmet,
einem Volk vou Kritikern und Philosophen, wie er sich ausdrückt. Das Com-
pliment ist etwas zweideutiger Natur und nicht geeignet, uns zu bestechen.

Die Richtung des Geistes, in welche seine Dichtung fällt, und als deren
Vertreter wir ihn zum Theil betrachten können, ist der Walter Scott'schen entge¬
gengesetzt, viel schärfer entgegengesetzt, als das junge Deutschland der romantischen
Schule, als Victor Hugo den Poesien des Herrn von Chateaubriand, denn bei
den Deutschen und Franzosen hatten die beiden einander bekämpfenden Phasen
der Romantik wenigstens das Gemeinsame, daß sie Ausflüsse der Subjectivität
waren; Bulwer dagegen bildet gegen seinen Vorgänger ebensowol in der Form
wie im Inhalt einen entschiedenen Contrast, und wir müssen als vermittelndes
Glied Byron und Shelley hinzunehmen, von denen der Eine, ohne die ethische
Grundlage seines Volks aufzugeben, ihr wenigstens die volle Gewalt einer ener¬
gischen, wenn auch in ihrem Rechte unsichern Individualität entgegensetzte, während
der Andre ohne diese leidenschaftliche Subjectivität durch seinen philosophischen
Skepticismus jene ethische Grundlage zu zerstören suchte. Bei Bulwer ist Beides
vereinigt, und es kommt uoch die Unsicherheit eines eitlen Gemüths hinzu, welches
zwar durch Paradoxien gefallen, aber doch immer gefallen will, nud welches in
demselben Augenblick von der Meinung bestimmt wird, in dem es ihr Trotz bietet.

Bulwer ist der Zeitgenosse der Victor Hugo'schen Romantik und des jungen
Deutschland. Obgleich das Gemeinsame dieser Richtungen auf den ersten Blick
zu erkennen ist, hat sich Bulwer gegen die Solidarität derselben entschieden ge-
sträubt, .er hat Victor Hugo, Jules Janin u. s. w. sehr bitter angegriffen und
ihnen gegenüber sogar das altfranzösische Theater hervorgehoben. Zum Theil
beruht diese Antipathie ans einem wesentlichen Unterschied, denn der Engländer
wird nie so formlos, und verliert anch trotz seiner verkehrten ethischen und psycho¬
logischen Probleme nie so ganz die reale Grundlage der Sittlichkeit aus den Augen;
zum Theil ist es aber auch Paradoxie. Es ist ein ganz ähnlicher Fall, wie mit
seiner bewundernden Anerkennung von Talleyrand, wozu bei der damaligen sittli¬
chen Convenienz fast ebenso viel Muth gehörte, als zu seiner relativen Aner¬
kennung von Raubmördern und Dieben. Darin eben unterscheidet sich die zweite
Phase der Romantik von ihrer Vorgängerin; während diese mit ihrer Opposition
gegen den Geist des Zeitalters wenigstens ungefähr in einer Richtung blieb, wenn
auch bei ihr die subjective Willkür eine große Rolle spielte, so verfließen die Ter-


überall seine Subjectivität hervor und wird nicht müde, sich als den bedeutenden,
aber unbegriffenen Mann darzustellen. Walter Scott ist ihm nicht tief genug;
es finden sich in ihm keine Bemerkungen, die blenden und frappiren, darum
wendet sich Bulwer mit großer Vorliebe zu den deutschen Dichtern, namentlich zu
Goethe, dessen zweite und dritte Periode erst damals in England Eingang fand,
nachdem die Dichtungen seiner ersten Periode die Walter Scott'sche Zeit erfüllt
hatten, und einen seiner Romane hat er dem großen deutschen Volk gewidmet,
einem Volk vou Kritikern und Philosophen, wie er sich ausdrückt. Das Com-
pliment ist etwas zweideutiger Natur und nicht geeignet, uns zu bestechen.

Die Richtung des Geistes, in welche seine Dichtung fällt, und als deren
Vertreter wir ihn zum Theil betrachten können, ist der Walter Scott'schen entge¬
gengesetzt, viel schärfer entgegengesetzt, als das junge Deutschland der romantischen
Schule, als Victor Hugo den Poesien des Herrn von Chateaubriand, denn bei
den Deutschen und Franzosen hatten die beiden einander bekämpfenden Phasen
der Romantik wenigstens das Gemeinsame, daß sie Ausflüsse der Subjectivität
waren; Bulwer dagegen bildet gegen seinen Vorgänger ebensowol in der Form
wie im Inhalt einen entschiedenen Contrast, und wir müssen als vermittelndes
Glied Byron und Shelley hinzunehmen, von denen der Eine, ohne die ethische
Grundlage seines Volks aufzugeben, ihr wenigstens die volle Gewalt einer ener¬
gischen, wenn auch in ihrem Rechte unsichern Individualität entgegensetzte, während
der Andre ohne diese leidenschaftliche Subjectivität durch seinen philosophischen
Skepticismus jene ethische Grundlage zu zerstören suchte. Bei Bulwer ist Beides
vereinigt, und es kommt uoch die Unsicherheit eines eitlen Gemüths hinzu, welches
zwar durch Paradoxien gefallen, aber doch immer gefallen will, nud welches in
demselben Augenblick von der Meinung bestimmt wird, in dem es ihr Trotz bietet.

Bulwer ist der Zeitgenosse der Victor Hugo'schen Romantik und des jungen
Deutschland. Obgleich das Gemeinsame dieser Richtungen auf den ersten Blick
zu erkennen ist, hat sich Bulwer gegen die Solidarität derselben entschieden ge-
sträubt, .er hat Victor Hugo, Jules Janin u. s. w. sehr bitter angegriffen und
ihnen gegenüber sogar das altfranzösische Theater hervorgehoben. Zum Theil
beruht diese Antipathie ans einem wesentlichen Unterschied, denn der Engländer
wird nie so formlos, und verliert anch trotz seiner verkehrten ethischen und psycho¬
logischen Probleme nie so ganz die reale Grundlage der Sittlichkeit aus den Augen;
zum Theil ist es aber auch Paradoxie. Es ist ein ganz ähnlicher Fall, wie mit
seiner bewundernden Anerkennung von Talleyrand, wozu bei der damaligen sittli¬
chen Convenienz fast ebenso viel Muth gehörte, als zu seiner relativen Aner¬
kennung von Raubmördern und Dieben. Darin eben unterscheidet sich die zweite
Phase der Romantik von ihrer Vorgängerin; während diese mit ihrer Opposition
gegen den Geist des Zeitalters wenigstens ungefähr in einer Richtung blieb, wenn
auch bei ihr die subjective Willkür eine große Rolle spielte, so verfließen die Ter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/134>, abgerufen am 13.05.2024.