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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Aber diese Auffassung der Rolle des Mephisto hat ihre sehr zweifelhaften Seiten.
Faust weiß sehr wohl, daß er sich dem Bösen ergibt. Er verschreibt sich dem
Teufel nicht aus Lust am Genusse, sondern weil er das letzte Mittel darin sieht,
um zu dem unbekannten Gefühl des Genusses zu gelangen. Er bleibt auch im
Genusse selbst immer der denkende, speculative Faust. Mit der sentimentalen Be¬
hauptung, das Böse müsse hier, um nicht abzuschrecken, sondern zu verführen, der
menschlichen Phantasie in verlockender Gestalt erscheinen, ist es nichts. Auch kleidet
Goethe seiue Mephisto-Idee selbst in das Gewand der Tradition. Er schildert
uns zwar den stutzernden Junker des fünfzehnten Jahrhunderts in der Modetracht,
dem "rothen, goldverbrämten Kleide, das Mäntelchen von starrer Seide", aber
die Hahnenfeder geht schon darüber hinaus. Und wenn er ihn ans einem sehr
derbsinnlichen, auch dem trocknen Wagner bemerkbaren Pudel sich entpuppen, mit
Feuer und Schwefelgestank, mit Hexen - und Zauberwirthschaft und mit dem Blocks¬
berg umgehen läßt, so gibt er uns eben den Teufel des Aberglaubens und der
Volkssage, dessen idealer Begriff im Kopfe des Faust stecken bleibt. Es möchte
ganz interessant sein, wenn ein genialer Darsteller die ideale Auffassung fern von
aller sentimentalen Färbung zu verkörpern verstände, nur fürchte ich, es würde
etwas von Shakspeare's Irrungen dabei herauskommen. Jedenfalls ist Döring
nicht berufen, abstracten Ideen einen Körper zu schaffen, da er durch die Natur
seines Talents entschieden auf das Gestalten nach Vorbild und Muster des sinnlich
Anschanbaren hingewiesen wird. Für ihn muß die Gewißheit den Ausschlag geben,
daß er nnr in der Volkssage, welche dem Teufel wenigstens einen historischen
und allegorisch bildlichen Charakter gibt, den Körper findet für das phantastische
Geschöpf der Goethe'schen Idee. Beide Auffassungen lassen sich aus dem Gedichte
heraus deduciren, weil keine vollständig paßt. Aber für eine muß der Darsteller
sich entscheiden, und da wähle dann Jeder nach richtiger Schätzung seiner Fähig¬
keit und seines Talents. Döring ist durch sein Experimentiren mit Auffassung
und Darstellung des Mephisto in eine Znsammenhanglosigkeit und Unklarheit
gerathen, die weder auf die eine noch auf die andre Weise zu einem Ganzen
kommt. Erst gab er den Teufel roth, dann hechtgrau und nun schwarz mit rothen
Puffen, und aus der ironischen Färbung des Accents ist ein Moduliren und Co-
loriren der Rede in allen möglichen Tönen, ein Suchen nach unmöglichen, phan¬
tastischem Ausdruck in Wort und Geberde geworden, die nur um so mehr die
Rückkehr zur einfach derben, beschränkt schlauen, ironisirend prahlerischer Teufels¬
natur der Volkssage wünschen lassen. Aber freilich, das Grimassenschneiden
macht den Teufel nicht aus, und gerade dazu läßt sich Döring dnrch sein mimi¬
sches Talent in überschwänglichem Maße verleiten, während er die dibolische
Schwelgerei im Pfuhl der Sinnlichkeit trotz eines übertriebenen Farbenauftrags
nicht in ihrer cynischen Lust und Energie versinnlicht.

Auch der Jago in Othello ist eine von den Rollen, in denen Döring sich


Aber diese Auffassung der Rolle des Mephisto hat ihre sehr zweifelhaften Seiten.
Faust weiß sehr wohl, daß er sich dem Bösen ergibt. Er verschreibt sich dem
Teufel nicht aus Lust am Genusse, sondern weil er das letzte Mittel darin sieht,
um zu dem unbekannten Gefühl des Genusses zu gelangen. Er bleibt auch im
Genusse selbst immer der denkende, speculative Faust. Mit der sentimentalen Be¬
hauptung, das Böse müsse hier, um nicht abzuschrecken, sondern zu verführen, der
menschlichen Phantasie in verlockender Gestalt erscheinen, ist es nichts. Auch kleidet
Goethe seiue Mephisto-Idee selbst in das Gewand der Tradition. Er schildert
uns zwar den stutzernden Junker des fünfzehnten Jahrhunderts in der Modetracht,
dem „rothen, goldverbrämten Kleide, das Mäntelchen von starrer Seide", aber
die Hahnenfeder geht schon darüber hinaus. Und wenn er ihn ans einem sehr
derbsinnlichen, auch dem trocknen Wagner bemerkbaren Pudel sich entpuppen, mit
Feuer und Schwefelgestank, mit Hexen - und Zauberwirthschaft und mit dem Blocks¬
berg umgehen läßt, so gibt er uns eben den Teufel des Aberglaubens und der
Volkssage, dessen idealer Begriff im Kopfe des Faust stecken bleibt. Es möchte
ganz interessant sein, wenn ein genialer Darsteller die ideale Auffassung fern von
aller sentimentalen Färbung zu verkörpern verstände, nur fürchte ich, es würde
etwas von Shakspeare's Irrungen dabei herauskommen. Jedenfalls ist Döring
nicht berufen, abstracten Ideen einen Körper zu schaffen, da er durch die Natur
seines Talents entschieden auf das Gestalten nach Vorbild und Muster des sinnlich
Anschanbaren hingewiesen wird. Für ihn muß die Gewißheit den Ausschlag geben,
daß er nnr in der Volkssage, welche dem Teufel wenigstens einen historischen
und allegorisch bildlichen Charakter gibt, den Körper findet für das phantastische
Geschöpf der Goethe'schen Idee. Beide Auffassungen lassen sich aus dem Gedichte
heraus deduciren, weil keine vollständig paßt. Aber für eine muß der Darsteller
sich entscheiden, und da wähle dann Jeder nach richtiger Schätzung seiner Fähig¬
keit und seines Talents. Döring ist durch sein Experimentiren mit Auffassung
und Darstellung des Mephisto in eine Znsammenhanglosigkeit und Unklarheit
gerathen, die weder auf die eine noch auf die andre Weise zu einem Ganzen
kommt. Erst gab er den Teufel roth, dann hechtgrau und nun schwarz mit rothen
Puffen, und aus der ironischen Färbung des Accents ist ein Moduliren und Co-
loriren der Rede in allen möglichen Tönen, ein Suchen nach unmöglichen, phan¬
tastischem Ausdruck in Wort und Geberde geworden, die nur um so mehr die
Rückkehr zur einfach derben, beschränkt schlauen, ironisirend prahlerischer Teufels¬
natur der Volkssage wünschen lassen. Aber freilich, das Grimassenschneiden
macht den Teufel nicht aus, und gerade dazu läßt sich Döring dnrch sein mimi¬
sches Talent in überschwänglichem Maße verleiten, während er die dibolische
Schwelgerei im Pfuhl der Sinnlichkeit trotz eines übertriebenen Farbenauftrags
nicht in ihrer cynischen Lust und Energie versinnlicht.

Auch der Jago in Othello ist eine von den Rollen, in denen Döring sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/145>, abgerufen am 04.06.2024.