Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

plötzlich zu ihrem Schrecken findet, daß sie ihr eigentlich entgegengesetzt ist, daß
sie Ideen hat, und daß diese Ideen unter Umständen ein ebenso extremes
Auftreten hervorrufen können, als die rothe Republik und die rothe Monarchie,
so betrachtet sie diese Enttäuschung als eine persönliche Beleidigung.

So hat der sogenannte "Bauch" der Nationalversammlung seine ehemaligen
Führer, die Girondisten, ebenfalls im Stich gelassen, als es sich ergab, daß auch
sie bestimmte Ideen über die Neugestaltung Frankreichs hätten. Das möchte wol
der einzige Moment sein, ans den man einen Vergleich gründen könnte. Im
Uebrigen haben die Tendenzen der Gironde, welche Frankreich decentralifiren und
zur Föderativrepublik machen wollten, mit denen unsrer Partei, welche dahin
gingen, das föderative Deutschland zu einem monarchischen Einheitsstaat zusam¬
menzuschweißen, ziemlich wenig Ähnlichkeit. Aber freilich, sie waren auch gegen
die Reaction und die Anarchie und hatten doch Ideen!

Die eigentliche Masse des Spießbürgertums hat keine Ideen und keine
Doctrin, dagegen hat sie einen Katechismus ihrer Grundsätze, welchen Don Basilio
in Figaro's Hochzeit in einer liebenswürdigen Ane ausspricht. Wir setzen ihn her,
weil wir keinen bessern Ausdruck finden.


In den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht,
War ich auch voll wilden Feuers, hörte ihre Stimme nicht.
Doch ich lernte durch Erfahrung, Alles dies sei eitler Dunst,
Mich zu fügen, mich zu schmiegen, das ist jetzo meine Kunst.
Laß ein Märchen Dir erzählen, es bekräftigt meine Sätze.
Einstens träumte ich, ich suchte in der Erde reiche Schätze,
Groß und schwer war meine Mühe,
Endlich fand ich auch, doch siehe,
Es war eine Esclshaut.
Höhnisch verachtet' ich, was ich gefunden,
All' meine Hoffnung war verschwunden,
Als schnell am Firmament der Donner krachte,
Es floß ein ganzes Meer von Hagel und Regen,
Voll Angst und Sorgen, des Wetters wegen,
Zog ich die Eselshaut her über mich.
Das Wetter legte sich, ich eilte weiter,
Als ich ein wildes Thier bei mir erblickte,
Ich sah den Rachen -- was sollt' ich machen?
Allein das alte Fell half mir auch hier;
Die garstige Esclshaut, worin ich steckte,
Hielt von mir abgelenkt, was mich erschreckte,
Denn mit Verachtung ging das Thier vorbei.
Drum ist es doch kein übles Ding, steh in die Zeit zu schicken,
Sich krümmen, erniedrigen, bescheiden sich bücken,
Dadurch gewinnen wir mehr, als man denkt.



19*

plötzlich zu ihrem Schrecken findet, daß sie ihr eigentlich entgegengesetzt ist, daß
sie Ideen hat, und daß diese Ideen unter Umständen ein ebenso extremes
Auftreten hervorrufen können, als die rothe Republik und die rothe Monarchie,
so betrachtet sie diese Enttäuschung als eine persönliche Beleidigung.

So hat der sogenannte „Bauch" der Nationalversammlung seine ehemaligen
Führer, die Girondisten, ebenfalls im Stich gelassen, als es sich ergab, daß auch
sie bestimmte Ideen über die Neugestaltung Frankreichs hätten. Das möchte wol
der einzige Moment sein, ans den man einen Vergleich gründen könnte. Im
Uebrigen haben die Tendenzen der Gironde, welche Frankreich decentralifiren und
zur Föderativrepublik machen wollten, mit denen unsrer Partei, welche dahin
gingen, das föderative Deutschland zu einem monarchischen Einheitsstaat zusam¬
menzuschweißen, ziemlich wenig Ähnlichkeit. Aber freilich, sie waren auch gegen
die Reaction und die Anarchie und hatten doch Ideen!

Die eigentliche Masse des Spießbürgertums hat keine Ideen und keine
Doctrin, dagegen hat sie einen Katechismus ihrer Grundsätze, welchen Don Basilio
in Figaro's Hochzeit in einer liebenswürdigen Ane ausspricht. Wir setzen ihn her,
weil wir keinen bessern Ausdruck finden.


In den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht,
War ich auch voll wilden Feuers, hörte ihre Stimme nicht.
Doch ich lernte durch Erfahrung, Alles dies sei eitler Dunst,
Mich zu fügen, mich zu schmiegen, das ist jetzo meine Kunst.
Laß ein Märchen Dir erzählen, es bekräftigt meine Sätze.
Einstens träumte ich, ich suchte in der Erde reiche Schätze,
Groß und schwer war meine Mühe,
Endlich fand ich auch, doch siehe,
Es war eine Esclshaut.
Höhnisch verachtet' ich, was ich gefunden,
All' meine Hoffnung war verschwunden,
Als schnell am Firmament der Donner krachte,
Es floß ein ganzes Meer von Hagel und Regen,
Voll Angst und Sorgen, des Wetters wegen,
Zog ich die Eselshaut her über mich.
Das Wetter legte sich, ich eilte weiter,
Als ich ein wildes Thier bei mir erblickte,
Ich sah den Rachen — was sollt' ich machen?
Allein das alte Fell half mir auch hier;
Die garstige Esclshaut, worin ich steckte,
Hielt von mir abgelenkt, was mich erschreckte,
Denn mit Verachtung ging das Thier vorbei.
Drum ist es doch kein übles Ding, steh in die Zeit zu schicken,
Sich krümmen, erniedrigen, bescheiden sich bücken,
Dadurch gewinnen wir mehr, als man denkt.



19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91352"/>
          <p xml:id="ID_448" prev="#ID_447"> plötzlich zu ihrem Schrecken findet, daß sie ihr eigentlich entgegengesetzt ist, daß<lb/>
sie Ideen hat, und daß diese Ideen unter Umständen ein ebenso extremes<lb/>
Auftreten hervorrufen können, als die rothe Republik und die rothe Monarchie,<lb/>
so betrachtet sie diese Enttäuschung als eine persönliche Beleidigung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_449"> So hat der sogenannte &#x201E;Bauch" der Nationalversammlung seine ehemaligen<lb/>
Führer, die Girondisten, ebenfalls im Stich gelassen, als es sich ergab, daß auch<lb/>
sie bestimmte Ideen über die Neugestaltung Frankreichs hätten. Das möchte wol<lb/>
der einzige Moment sein, ans den man einen Vergleich gründen könnte. Im<lb/>
Uebrigen haben die Tendenzen der Gironde, welche Frankreich decentralifiren und<lb/>
zur Föderativrepublik machen wollten, mit denen unsrer Partei, welche dahin<lb/>
gingen, das föderative Deutschland zu einem monarchischen Einheitsstaat zusam¬<lb/>
menzuschweißen, ziemlich wenig Ähnlichkeit. Aber freilich, sie waren auch gegen<lb/>
die Reaction und die Anarchie und hatten doch Ideen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_450"> Die eigentliche Masse des Spießbürgertums hat keine Ideen und keine<lb/>
Doctrin, dagegen hat sie einen Katechismus ihrer Grundsätze, welchen Don Basilio<lb/>
in Figaro's Hochzeit in einer liebenswürdigen Ane ausspricht. Wir setzen ihn her,<lb/>
weil wir keinen bessern Ausdruck finden.</p><lb/>
          <quote> In den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht,<lb/>
War ich auch voll wilden Feuers, hörte ihre Stimme nicht.<lb/>
Doch ich lernte durch Erfahrung, Alles dies sei eitler Dunst,<lb/>
Mich zu fügen, mich zu schmiegen, das ist jetzo meine Kunst.<lb/>
Laß ein Märchen Dir erzählen, es bekräftigt meine Sätze.<lb/>
Einstens träumte ich, ich suchte in der Erde reiche Schätze,<lb/>
Groß und schwer war meine Mühe,<lb/>
Endlich fand ich auch, doch siehe,<lb/>
Es war eine Esclshaut.<lb/>
Höhnisch verachtet' ich, was ich gefunden,<lb/>
All' meine Hoffnung war verschwunden,<lb/>
Als schnell am Firmament der Donner krachte,<lb/>
Es floß ein ganzes Meer von Hagel und Regen,<lb/>
Voll Angst und Sorgen, des Wetters wegen,<lb/>
Zog ich die Eselshaut her über mich.<lb/>
Das Wetter legte sich, ich eilte weiter,<lb/>
Als ich ein wildes Thier bei mir erblickte,<lb/>
Ich sah den Rachen &#x2014; was sollt' ich machen?<lb/>
Allein das alte Fell half mir auch hier;<lb/>
Die garstige Esclshaut, worin ich steckte,<lb/>
Hielt von mir abgelenkt, was mich erschreckte,<lb/>
Denn mit Verachtung ging das Thier vorbei.<lb/>
Drum ist es doch kein übles Ding, steh in die Zeit zu schicken,<lb/>
Sich krümmen, erniedrigen, bescheiden sich bücken,<lb/>
Dadurch gewinnen wir mehr, als man denkt.</quote><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 19*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0159] plötzlich zu ihrem Schrecken findet, daß sie ihr eigentlich entgegengesetzt ist, daß sie Ideen hat, und daß diese Ideen unter Umständen ein ebenso extremes Auftreten hervorrufen können, als die rothe Republik und die rothe Monarchie, so betrachtet sie diese Enttäuschung als eine persönliche Beleidigung. So hat der sogenannte „Bauch" der Nationalversammlung seine ehemaligen Führer, die Girondisten, ebenfalls im Stich gelassen, als es sich ergab, daß auch sie bestimmte Ideen über die Neugestaltung Frankreichs hätten. Das möchte wol der einzige Moment sein, ans den man einen Vergleich gründen könnte. Im Uebrigen haben die Tendenzen der Gironde, welche Frankreich decentralifiren und zur Föderativrepublik machen wollten, mit denen unsrer Partei, welche dahin gingen, das föderative Deutschland zu einem monarchischen Einheitsstaat zusam¬ menzuschweißen, ziemlich wenig Ähnlichkeit. Aber freilich, sie waren auch gegen die Reaction und die Anarchie und hatten doch Ideen! Die eigentliche Masse des Spießbürgertums hat keine Ideen und keine Doctrin, dagegen hat sie einen Katechismus ihrer Grundsätze, welchen Don Basilio in Figaro's Hochzeit in einer liebenswürdigen Ane ausspricht. Wir setzen ihn her, weil wir keinen bessern Ausdruck finden. In den Jahren, wo die Stimme der Vernunft vergebens spricht, War ich auch voll wilden Feuers, hörte ihre Stimme nicht. Doch ich lernte durch Erfahrung, Alles dies sei eitler Dunst, Mich zu fügen, mich zu schmiegen, das ist jetzo meine Kunst. Laß ein Märchen Dir erzählen, es bekräftigt meine Sätze. Einstens träumte ich, ich suchte in der Erde reiche Schätze, Groß und schwer war meine Mühe, Endlich fand ich auch, doch siehe, Es war eine Esclshaut. Höhnisch verachtet' ich, was ich gefunden, All' meine Hoffnung war verschwunden, Als schnell am Firmament der Donner krachte, Es floß ein ganzes Meer von Hagel und Regen, Voll Angst und Sorgen, des Wetters wegen, Zog ich die Eselshaut her über mich. Das Wetter legte sich, ich eilte weiter, Als ich ein wildes Thier bei mir erblickte, Ich sah den Rachen — was sollt' ich machen? Allein das alte Fell half mir auch hier; Die garstige Esclshaut, worin ich steckte, Hielt von mir abgelenkt, was mich erschreckte, Denn mit Verachtung ging das Thier vorbei. Drum ist es doch kein übles Ding, steh in die Zeit zu schicken, Sich krümmen, erniedrigen, bescheiden sich bücken, Dadurch gewinnen wir mehr, als man denkt. 19*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/159
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/159>, abgerufen am 14.05.2024.