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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Wir müssen natürlicher, menschlicher und gesunder werden, wir müssen uns inner¬
halb der Schranken des allgemein Wahren und Verständlichen in edeln Formen
bewegen lernen, wir müssen von natürlichen und einfachen Grundlagen ans zu
den höchsten Spitzen der Poesie sowol als der Musik zu gelangen, die Fähigkeit
uns erwerben. Ob sür das instrumentale Gebiet und für das Lied auf diesem
Wege der Zukunft noch viel zu thun übrig bleibt, wissen wir nicht; nur scheint
es uns, daß diese Gattungen, deren Blüthezeit kurz hinter uns liegt, zunächst
wenig ersprießlich sind und erst durch eine inzwischen erfolgende Hebung anderer
Gattungen zu neuer Blüthe gelangen können; die Kirchenmusik und die Oper
aber sind unzweifelhaft noch einer weit höhern Vollendung fähig, als sie bis
jetzt erreicht haben; an diesen beiden Gattungen läßt sich das Mangelhafte aller
frühern Leistungen bestimmt erkennen, ja diese Erkenntniß ist großentheils schon
in das allgemeine Bewußtsein übergegangen; äußere und innere Gründe treffen
zusammen, um das Streben aller Musiker, die sich irgend etwas Größeres' zuzu-
trauen berechtigt sind, aus diese beiden Punkte zu concentriren. Wie sehr es
Noth thut, ans eine Rückkehr zu dein Natürlichen und Edeln und auf eine Um¬
gestaltung der Begriffe, die über musikalische Originalität gäng und gäbe sind,
zu dringen, dies hat uns nenerdings wieder ein von Dorn componirtes und hier
zur Aufführung gebrachtes Requiem bewiesen, ein Werk, das vielleicht bleibenden
Werth hat als ein Denkmal, wie weit Verirrungen gehen können. Schon in
der Grnndanffassung lag etwas Abnormes und Sonderbares. Der alte katholische
Kirchentext ist in vier Abtheilungen zerlegt, deren jede ein für sich bestehendes
Ganze bildet. Zuerst werden wir an das Bett des Sterbenden geführt, dann
findet eine Feierlichkeit im Todtenhanse Statt, darauf begleiten wir den Leichenzug
aus den Kirchhof, endlich, ein Jahr später, wohnen wir einer Gedächtnißfeier bei.
Wie um schon von Grund aus Alles eine dramatische Färbung erhält, so steigert
sich dies in der Behandlung des Einzelnen. Bei der Schilderung des jüngsten
Gerichts glauben wir die Wolfsschlucht als Decoration zu sehen, beim Begräbniß
hören wir die Erdhaufen fallen, die über den Sarg geschüttet werden, bei der
Gedächtnißseier ertönt in weiter Ferne eine Hirtenflöte, und dergl. mehr. Edle
und kirchliche Haltung fehlt fast gänzlich; es ist das Meyerbeer'sche Princip, in
den grellsten Farben zu malen und durch kurze Schlaglichter anzudeuten, das hier
ans einen kirchlichen und durch musikalische Tradition heiligen Stoff angewandt
wird. Es läßt sich nicht läugnen, daß das Werk geistreiche Züge hat und eine
geschickte Hand verräth; aber gerade an diesem Stoff wird auch dem blöderen
Ange mir zu offenbar, wie weit sich manche moderne Kunstrichtungen von dem
Ideale der Kunst entfernen. Mag Der, der in dieser Richtung sich heimisch fühlt,
zum Mindesten fern bleiben von Stoffen, deren historische Bedeutung uns an die
reinsten und edelsten Kuustteudeuzen erinnert; es thut Noth, darüber zu wachen,
daß wenigstens nicht Alles in den heutigen tollen Strudel hineingerissen wird.


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Wir müssen natürlicher, menschlicher und gesunder werden, wir müssen uns inner¬
halb der Schranken des allgemein Wahren und Verständlichen in edeln Formen
bewegen lernen, wir müssen von natürlichen und einfachen Grundlagen ans zu
den höchsten Spitzen der Poesie sowol als der Musik zu gelangen, die Fähigkeit
uns erwerben. Ob sür das instrumentale Gebiet und für das Lied auf diesem
Wege der Zukunft noch viel zu thun übrig bleibt, wissen wir nicht; nur scheint
es uns, daß diese Gattungen, deren Blüthezeit kurz hinter uns liegt, zunächst
wenig ersprießlich sind und erst durch eine inzwischen erfolgende Hebung anderer
Gattungen zu neuer Blüthe gelangen können; die Kirchenmusik und die Oper
aber sind unzweifelhaft noch einer weit höhern Vollendung fähig, als sie bis
jetzt erreicht haben; an diesen beiden Gattungen läßt sich das Mangelhafte aller
frühern Leistungen bestimmt erkennen, ja diese Erkenntniß ist großentheils schon
in das allgemeine Bewußtsein übergegangen; äußere und innere Gründe treffen
zusammen, um das Streben aller Musiker, die sich irgend etwas Größeres' zuzu-
trauen berechtigt sind, aus diese beiden Punkte zu concentriren. Wie sehr es
Noth thut, ans eine Rückkehr zu dein Natürlichen und Edeln und auf eine Um¬
gestaltung der Begriffe, die über musikalische Originalität gäng und gäbe sind,
zu dringen, dies hat uns nenerdings wieder ein von Dorn componirtes und hier
zur Aufführung gebrachtes Requiem bewiesen, ein Werk, das vielleicht bleibenden
Werth hat als ein Denkmal, wie weit Verirrungen gehen können. Schon in
der Grnndanffassung lag etwas Abnormes und Sonderbares. Der alte katholische
Kirchentext ist in vier Abtheilungen zerlegt, deren jede ein für sich bestehendes
Ganze bildet. Zuerst werden wir an das Bett des Sterbenden geführt, dann
findet eine Feierlichkeit im Todtenhanse Statt, darauf begleiten wir den Leichenzug
aus den Kirchhof, endlich, ein Jahr später, wohnen wir einer Gedächtnißfeier bei.
Wie um schon von Grund aus Alles eine dramatische Färbung erhält, so steigert
sich dies in der Behandlung des Einzelnen. Bei der Schilderung des jüngsten
Gerichts glauben wir die Wolfsschlucht als Decoration zu sehen, beim Begräbniß
hören wir die Erdhaufen fallen, die über den Sarg geschüttet werden, bei der
Gedächtnißseier ertönt in weiter Ferne eine Hirtenflöte, und dergl. mehr. Edle
und kirchliche Haltung fehlt fast gänzlich; es ist das Meyerbeer'sche Princip, in
den grellsten Farben zu malen und durch kurze Schlaglichter anzudeuten, das hier
ans einen kirchlichen und durch musikalische Tradition heiligen Stoff angewandt
wird. Es läßt sich nicht läugnen, daß das Werk geistreiche Züge hat und eine
geschickte Hand verräth; aber gerade an diesem Stoff wird auch dem blöderen
Ange mir zu offenbar, wie weit sich manche moderne Kunstrichtungen von dem
Ideale der Kunst entfernen. Mag Der, der in dieser Richtung sich heimisch fühlt,
zum Mindesten fern bleiben von Stoffen, deren historische Bedeutung uns an die
reinsten und edelsten Kuustteudeuzen erinnert; es thut Noth, darüber zu wachen,
daß wenigstens nicht Alles in den heutigen tollen Strudel hineingerissen wird.


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[0183] Wir müssen natürlicher, menschlicher und gesunder werden, wir müssen uns inner¬ halb der Schranken des allgemein Wahren und Verständlichen in edeln Formen bewegen lernen, wir müssen von natürlichen und einfachen Grundlagen ans zu den höchsten Spitzen der Poesie sowol als der Musik zu gelangen, die Fähigkeit uns erwerben. Ob sür das instrumentale Gebiet und für das Lied auf diesem Wege der Zukunft noch viel zu thun übrig bleibt, wissen wir nicht; nur scheint es uns, daß diese Gattungen, deren Blüthezeit kurz hinter uns liegt, zunächst wenig ersprießlich sind und erst durch eine inzwischen erfolgende Hebung anderer Gattungen zu neuer Blüthe gelangen können; die Kirchenmusik und die Oper aber sind unzweifelhaft noch einer weit höhern Vollendung fähig, als sie bis jetzt erreicht haben; an diesen beiden Gattungen läßt sich das Mangelhafte aller frühern Leistungen bestimmt erkennen, ja diese Erkenntniß ist großentheils schon in das allgemeine Bewußtsein übergegangen; äußere und innere Gründe treffen zusammen, um das Streben aller Musiker, die sich irgend etwas Größeres' zuzu- trauen berechtigt sind, aus diese beiden Punkte zu concentriren. Wie sehr es Noth thut, ans eine Rückkehr zu dein Natürlichen und Edeln und auf eine Um¬ gestaltung der Begriffe, die über musikalische Originalität gäng und gäbe sind, zu dringen, dies hat uns nenerdings wieder ein von Dorn componirtes und hier zur Aufführung gebrachtes Requiem bewiesen, ein Werk, das vielleicht bleibenden Werth hat als ein Denkmal, wie weit Verirrungen gehen können. Schon in der Grnndanffassung lag etwas Abnormes und Sonderbares. Der alte katholische Kirchentext ist in vier Abtheilungen zerlegt, deren jede ein für sich bestehendes Ganze bildet. Zuerst werden wir an das Bett des Sterbenden geführt, dann findet eine Feierlichkeit im Todtenhanse Statt, darauf begleiten wir den Leichenzug aus den Kirchhof, endlich, ein Jahr später, wohnen wir einer Gedächtnißfeier bei. Wie um schon von Grund aus Alles eine dramatische Färbung erhält, so steigert sich dies in der Behandlung des Einzelnen. Bei der Schilderung des jüngsten Gerichts glauben wir die Wolfsschlucht als Decoration zu sehen, beim Begräbniß hören wir die Erdhaufen fallen, die über den Sarg geschüttet werden, bei der Gedächtnißseier ertönt in weiter Ferne eine Hirtenflöte, und dergl. mehr. Edle und kirchliche Haltung fehlt fast gänzlich; es ist das Meyerbeer'sche Princip, in den grellsten Farben zu malen und durch kurze Schlaglichter anzudeuten, das hier ans einen kirchlichen und durch musikalische Tradition heiligen Stoff angewandt wird. Es läßt sich nicht läugnen, daß das Werk geistreiche Züge hat und eine geschickte Hand verräth; aber gerade an diesem Stoff wird auch dem blöderen Ange mir zu offenbar, wie weit sich manche moderne Kunstrichtungen von dem Ideale der Kunst entfernen. Mag Der, der in dieser Richtung sich heimisch fühlt, zum Mindesten fern bleiben von Stoffen, deren historische Bedeutung uns an die reinsten und edelsten Kuustteudeuzen erinnert; es thut Noth, darüber zu wachen, daß wenigstens nicht Alles in den heutigen tollen Strudel hineingerissen wird. 22 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/183>, abgerufen am 29.05.2024.