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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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bringen müssen. Der Charakter des General Uork ist uns ein treues Bild eines
der wichtigsten Fundamente des preußischen Staats, jener militärischen Aristokratie,
deren Vernachlässigung im Jahre 1848 vielleicht einer der wichtigsten Gründe war,
daß die Reform scheiterte.

Historische Monographien haben eine sehr unerfreuliche Seite. Sie zerlegen
in einzelne mitwirkende Motive, was wir in der allgemeinen Geschichte als den
Heroismus eines freien, autonomen Entschlusses zu bewundern gelernt hatten.
In unserer Tradition hat Uork dnrch einen großen Entschluß das Schicksal der
preußischen Monarchie entschieden. Der Heroismus dieser That verliert allerdings
viel an seiner grandiosen Einfachheit, wenn wir die einzelnen Umstände in Rechnung
bringen, wie das bei jeder Analyse der Fall ist; allein wir würden im höchsten
Grade ungerecht sein, wenn wir den Maßstab unsers conventionellen Borurtheils
ein eine historische Thatsache legen wollten. Gerade durch die Betrachtung der
concreten, verwickelten und in mancher Beziehung sich widersprechenden Motive
gewinnt jene Thatsache an Bedeutung, wenn anch nicht an Größe. Es war eine
tragische Ironie, die überhaupt das Schicksal Preußens ist, und die vielleicht sehr
bald wieder eintreten kann, daß ein alter Soldat, der keinen andern Begriff der
Pflicht kannte, als den des unbedingten Gehorsams, zu einer autonomen Handlung
gezwungen wurde, die einen directen Ungehorsam und doch eine höhere Form
der Pflicht enthielt, denn sie rettete den Staat. Wir sind überzeugt, daß in
Preußen noch einmal die Idee allgemein werden wird, daß die höchste Treue mit
einer scheinbaren Verletzung der Treue uicht in Widerspruch steht. Darum wird
aber der Werth jener naiven disciplinirten Treue nicht verloren gehen, denn sie
gibt das nothwendige harte Material, ohne welches der Geist des Künstlers nur
ein flüchtiges, vorübergehendes Gebilde zu erzeugen im Stande wäre.

Da das Buch schon von allen Zeitungen hinreichend excerpirt ist, so begnügen
wir uns in Beziehung aus das Factische mit einzelnen Andeutungen- I)ort ist
1759 auf einem pommerschen Gütchen geboren, aus einer Familie, die sich schon
seit Menschengedenken dem Militairdicnste hingegeben hatte. Früh ins Militair
eingetreten, wurde er wegen eines Disciplinarvergehens, in welchem zum ersten
Mal sein starkes Ehrgefühl über den Buchstaben des Dienstes Hinansdrang, 1780
cassirt und trat in holländische Dienste, wo er zu Land und zu Wasser Gelegen¬
heit hatte, sich als guten Soldaten auszuzeichnen. Eine geraume Zeit hindurch
versuchte er dann vergebens, wieder in preußischen Dienst anzukommen, bis es
ihm 1787 gelang. Er machte die Campagne in Polen mit und zeichnete sich
dann im französischen Kriege im Gefecht bei Altcnzaun ans. Nach der Schlacht
bei Jena, an der er nicht Theil nahm, wurde er in Lübeck gefangen genommen,
nach dem Waffenstillstand zum Generalmajor ernannt und 1808 mit dem Kom¬
mando der Truppen in Westpreußen betraut. Bis dahin hatte er keine andre
Gelegenheit gehabt, selbstständig aufzutreten, als in der Energie, mit der er in


bringen müssen. Der Charakter des General Uork ist uns ein treues Bild eines
der wichtigsten Fundamente des preußischen Staats, jener militärischen Aristokratie,
deren Vernachlässigung im Jahre 1848 vielleicht einer der wichtigsten Gründe war,
daß die Reform scheiterte.

Historische Monographien haben eine sehr unerfreuliche Seite. Sie zerlegen
in einzelne mitwirkende Motive, was wir in der allgemeinen Geschichte als den
Heroismus eines freien, autonomen Entschlusses zu bewundern gelernt hatten.
In unserer Tradition hat Uork dnrch einen großen Entschluß das Schicksal der
preußischen Monarchie entschieden. Der Heroismus dieser That verliert allerdings
viel an seiner grandiosen Einfachheit, wenn wir die einzelnen Umstände in Rechnung
bringen, wie das bei jeder Analyse der Fall ist; allein wir würden im höchsten
Grade ungerecht sein, wenn wir den Maßstab unsers conventionellen Borurtheils
ein eine historische Thatsache legen wollten. Gerade durch die Betrachtung der
concreten, verwickelten und in mancher Beziehung sich widersprechenden Motive
gewinnt jene Thatsache an Bedeutung, wenn anch nicht an Größe. Es war eine
tragische Ironie, die überhaupt das Schicksal Preußens ist, und die vielleicht sehr
bald wieder eintreten kann, daß ein alter Soldat, der keinen andern Begriff der
Pflicht kannte, als den des unbedingten Gehorsams, zu einer autonomen Handlung
gezwungen wurde, die einen directen Ungehorsam und doch eine höhere Form
der Pflicht enthielt, denn sie rettete den Staat. Wir sind überzeugt, daß in
Preußen noch einmal die Idee allgemein werden wird, daß die höchste Treue mit
einer scheinbaren Verletzung der Treue uicht in Widerspruch steht. Darum wird
aber der Werth jener naiven disciplinirten Treue nicht verloren gehen, denn sie
gibt das nothwendige harte Material, ohne welches der Geist des Künstlers nur
ein flüchtiges, vorübergehendes Gebilde zu erzeugen im Stande wäre.

Da das Buch schon von allen Zeitungen hinreichend excerpirt ist, so begnügen
wir uns in Beziehung aus das Factische mit einzelnen Andeutungen- I)ort ist
1759 auf einem pommerschen Gütchen geboren, aus einer Familie, die sich schon
seit Menschengedenken dem Militairdicnste hingegeben hatte. Früh ins Militair
eingetreten, wurde er wegen eines Disciplinarvergehens, in welchem zum ersten
Mal sein starkes Ehrgefühl über den Buchstaben des Dienstes Hinansdrang, 1780
cassirt und trat in holländische Dienste, wo er zu Land und zu Wasser Gelegen¬
heit hatte, sich als guten Soldaten auszuzeichnen. Eine geraume Zeit hindurch
versuchte er dann vergebens, wieder in preußischen Dienst anzukommen, bis es
ihm 1787 gelang. Er machte die Campagne in Polen mit und zeichnete sich
dann im französischen Kriege im Gefecht bei Altcnzaun ans. Nach der Schlacht
bei Jena, an der er nicht Theil nahm, wurde er in Lübeck gefangen genommen,
nach dem Waffenstillstand zum Generalmajor ernannt und 1808 mit dem Kom¬
mando der Truppen in Westpreußen betraut. Bis dahin hatte er keine andre
Gelegenheit gehabt, selbstständig aufzutreten, als in der Energie, mit der er in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/188>, abgerufen am 14.05.2024.