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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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zum Theil sehr verwahrlosten Regimentern die Disciplin herstellte. Er erhielt
jetzt eine politische Stellung. Im Jahre 1811 wurde ihm eine Vollmacht zu
Theil, die nahe darauf hinausging, unter Umständen über Krieg und Frieden zu
entscheiden. Es war ihm nämlich anheimgestellt, unier dringenden Umständen
mit dem nächsten russischen General in Communication zu treten. Man konnte
ihm die Vollmacht ertheilen, weil man eben so auf seine Vorsicht wie auf seinen
Patriotismus bauen konnte; man ertheilte sie, weil man in den leitenden Regionen
der Politik damals eben so willenlos war, als hente^ Selten ist uns ein kläg¬
licheres Bild von der Zerfahrenheit aller öffentlichen Verhältnisse aufgestellt worden;
allein wir müssen auch hinzufügen, daß die Genauigkeit, mit der wir die Lage
zu übersehen im Stande sind, unser Urtheil mildert. Es hatte sich bereits die
Idee einer allgemeinen Volkserhebung im Bunde mit den Russen gegen die franzö¬
sische Tyrannei so populair gemacht, daß sich überall eine erschreckende Über¬
raschung verbreitete, als die Nachricht vou dem Abschluß eines Allianzvertrags
mit Frankreich gegen Rußland bekannt wurde. Eine große Anzahl patriotisch
gesinnter Officiere traten in russische Dienste. York, dem jede ordnungswidrige
Eigenmächtigkeit verhaßt war, mißbilligte dieses Verfahren mit der größten Härte
und blieb auf seinem Posten, obgleich seine Lage immer unleidlicher wurde, denn
er konnte nie genau erfahren, was man in Berlin eigentlich vornahm. Endlich
wurde die Sache dadurch erledigt, daß man ihm neben dem General v. Grawert
den Oberbefehl über das preußische Hilfscorps anvertraute, welches nach Rußland
ging. Als kurze Zeit daraus General Grawert erkrankte, erhielt York ausschließlich
das Kommando. Sein Hauptaugenmerk in diesem Feldzuge war darauf gerichtet,
das preußische Corps vor einer verhängnisvollen Zersplitterung zu bewahren,
und so gut es angehen wollte, die Unabhängigkeit des preußischen Befehlshabers
den Anmaßungen der Franzosen gegenüber zu vertreten. Gleich nach dem Rück¬
züge Napoleons aus Moskau suchten die russischen Befehlshaber mit York Unter¬
handlungen anzuknüpfen; er blieb kalt und verschlossen. Ein vollständiges Zer-
würfniß mit seinem nächsten Oberbefehlshaber, dem Marschall Macdonald, im
October 1812 machte seine Stellung noch schwieriger. Außerdem blieb er ohne
alle Jnstructionen aus Berlin; ja, die letzte Depesche, die er erhielt, war von
der Art, daß sie die bereits sehr weit getriebenen Unterhandlungen mit den Russen
eigentlich hätte rückgängig machen müssen. Trotz dem schloß er am 30. Decbr.
mit Diebitsch die bekannte Convention von Tauroggen. .

Aus diesem historischen Skelett läßt sich über die eigentliche Beschaffenheit
seiner That wenig ersehen. Einen übersichtlichen Auszug läßt das verwickelte
Material nicht zu, daher müssen wir uns bei unserm Urtheil auf Reflexionen
beschränken.

York hat, wie das jetzt bis zur Evidenz festgestellt ist, keine geheimen In.
structionen gehabt; im Gegentheil war ihm in allen officiellen Depeschen einge-


Grenzboten. II. 1831. 23

zum Theil sehr verwahrlosten Regimentern die Disciplin herstellte. Er erhielt
jetzt eine politische Stellung. Im Jahre 1811 wurde ihm eine Vollmacht zu
Theil, die nahe darauf hinausging, unter Umständen über Krieg und Frieden zu
entscheiden. Es war ihm nämlich anheimgestellt, unier dringenden Umständen
mit dem nächsten russischen General in Communication zu treten. Man konnte
ihm die Vollmacht ertheilen, weil man eben so auf seine Vorsicht wie auf seinen
Patriotismus bauen konnte; man ertheilte sie, weil man in den leitenden Regionen
der Politik damals eben so willenlos war, als hente^ Selten ist uns ein kläg¬
licheres Bild von der Zerfahrenheit aller öffentlichen Verhältnisse aufgestellt worden;
allein wir müssen auch hinzufügen, daß die Genauigkeit, mit der wir die Lage
zu übersehen im Stande sind, unser Urtheil mildert. Es hatte sich bereits die
Idee einer allgemeinen Volkserhebung im Bunde mit den Russen gegen die franzö¬
sische Tyrannei so populair gemacht, daß sich überall eine erschreckende Über¬
raschung verbreitete, als die Nachricht vou dem Abschluß eines Allianzvertrags
mit Frankreich gegen Rußland bekannt wurde. Eine große Anzahl patriotisch
gesinnter Officiere traten in russische Dienste. York, dem jede ordnungswidrige
Eigenmächtigkeit verhaßt war, mißbilligte dieses Verfahren mit der größten Härte
und blieb auf seinem Posten, obgleich seine Lage immer unleidlicher wurde, denn
er konnte nie genau erfahren, was man in Berlin eigentlich vornahm. Endlich
wurde die Sache dadurch erledigt, daß man ihm neben dem General v. Grawert
den Oberbefehl über das preußische Hilfscorps anvertraute, welches nach Rußland
ging. Als kurze Zeit daraus General Grawert erkrankte, erhielt York ausschließlich
das Kommando. Sein Hauptaugenmerk in diesem Feldzuge war darauf gerichtet,
das preußische Corps vor einer verhängnisvollen Zersplitterung zu bewahren,
und so gut es angehen wollte, die Unabhängigkeit des preußischen Befehlshabers
den Anmaßungen der Franzosen gegenüber zu vertreten. Gleich nach dem Rück¬
züge Napoleons aus Moskau suchten die russischen Befehlshaber mit York Unter¬
handlungen anzuknüpfen; er blieb kalt und verschlossen. Ein vollständiges Zer-
würfniß mit seinem nächsten Oberbefehlshaber, dem Marschall Macdonald, im
October 1812 machte seine Stellung noch schwieriger. Außerdem blieb er ohne
alle Jnstructionen aus Berlin; ja, die letzte Depesche, die er erhielt, war von
der Art, daß sie die bereits sehr weit getriebenen Unterhandlungen mit den Russen
eigentlich hätte rückgängig machen müssen. Trotz dem schloß er am 30. Decbr.
mit Diebitsch die bekannte Convention von Tauroggen. .

Aus diesem historischen Skelett läßt sich über die eigentliche Beschaffenheit
seiner That wenig ersehen. Einen übersichtlichen Auszug läßt das verwickelte
Material nicht zu, daher müssen wir uns bei unserm Urtheil auf Reflexionen
beschränken.

York hat, wie das jetzt bis zur Evidenz festgestellt ist, keine geheimen In.
structionen gehabt; im Gegentheil war ihm in allen officiellen Depeschen einge-


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[0189] zum Theil sehr verwahrlosten Regimentern die Disciplin herstellte. Er erhielt jetzt eine politische Stellung. Im Jahre 1811 wurde ihm eine Vollmacht zu Theil, die nahe darauf hinausging, unter Umständen über Krieg und Frieden zu entscheiden. Es war ihm nämlich anheimgestellt, unier dringenden Umständen mit dem nächsten russischen General in Communication zu treten. Man konnte ihm die Vollmacht ertheilen, weil man eben so auf seine Vorsicht wie auf seinen Patriotismus bauen konnte; man ertheilte sie, weil man in den leitenden Regionen der Politik damals eben so willenlos war, als hente^ Selten ist uns ein kläg¬ licheres Bild von der Zerfahrenheit aller öffentlichen Verhältnisse aufgestellt worden; allein wir müssen auch hinzufügen, daß die Genauigkeit, mit der wir die Lage zu übersehen im Stande sind, unser Urtheil mildert. Es hatte sich bereits die Idee einer allgemeinen Volkserhebung im Bunde mit den Russen gegen die franzö¬ sische Tyrannei so populair gemacht, daß sich überall eine erschreckende Über¬ raschung verbreitete, als die Nachricht vou dem Abschluß eines Allianzvertrags mit Frankreich gegen Rußland bekannt wurde. Eine große Anzahl patriotisch gesinnter Officiere traten in russische Dienste. York, dem jede ordnungswidrige Eigenmächtigkeit verhaßt war, mißbilligte dieses Verfahren mit der größten Härte und blieb auf seinem Posten, obgleich seine Lage immer unleidlicher wurde, denn er konnte nie genau erfahren, was man in Berlin eigentlich vornahm. Endlich wurde die Sache dadurch erledigt, daß man ihm neben dem General v. Grawert den Oberbefehl über das preußische Hilfscorps anvertraute, welches nach Rußland ging. Als kurze Zeit daraus General Grawert erkrankte, erhielt York ausschließlich das Kommando. Sein Hauptaugenmerk in diesem Feldzuge war darauf gerichtet, das preußische Corps vor einer verhängnisvollen Zersplitterung zu bewahren, und so gut es angehen wollte, die Unabhängigkeit des preußischen Befehlshabers den Anmaßungen der Franzosen gegenüber zu vertreten. Gleich nach dem Rück¬ züge Napoleons aus Moskau suchten die russischen Befehlshaber mit York Unter¬ handlungen anzuknüpfen; er blieb kalt und verschlossen. Ein vollständiges Zer- würfniß mit seinem nächsten Oberbefehlshaber, dem Marschall Macdonald, im October 1812 machte seine Stellung noch schwieriger. Außerdem blieb er ohne alle Jnstructionen aus Berlin; ja, die letzte Depesche, die er erhielt, war von der Art, daß sie die bereits sehr weit getriebenen Unterhandlungen mit den Russen eigentlich hätte rückgängig machen müssen. Trotz dem schloß er am 30. Decbr. mit Diebitsch die bekannte Convention von Tauroggen. . Aus diesem historischen Skelett läßt sich über die eigentliche Beschaffenheit seiner That wenig ersehen. Einen übersichtlichen Auszug läßt das verwickelte Material nicht zu, daher müssen wir uns bei unserm Urtheil auf Reflexionen beschränken. York hat, wie das jetzt bis zur Evidenz festgestellt ist, keine geheimen In. structionen gehabt; im Gegentheil war ihm in allen officiellen Depeschen einge- Grenzboten. II. 1831. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/189>, abgerufen am 31.05.2024.